Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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anders die Schererschen. Zwar wenn Herr Erich Schmidt mich kurzerhand als »Rabulisten« abfertigte, so will ich deshalb nicht mit ihm rechten. Ich habe ihn scharf kritisiert, und es wäre töricht, wenn ich mich darnach über ein scharfes Wort beklagen wollte, das er gegen mich richtet. Genug, daß er mir meine »Rabulisterei« nicht nachgewiesen hat und auch nicht nachweisen kann! Ich habe nichts von dem zurückzunehmen, was ich gegen ihn gesagt habe, aber ich erkenne bereitwillig an, daß sein Werk über Lessing nicht minder alle Vorzüge der Schererschen Schule zeigt als alle ihre Schwächen.

      Dagegen sein Famulus Sauer, der ihm bei der Korrektur des ersten Bandes geholfen hat, ein Prager Professor, vermöbelte mich in der »Deutschen Literaturzeitung« zum Gotterbarmen. Ich schenke ihm natürlich die »drollige Weise« und die »einseitige Verbohrtheit«, die er in meinem »breimäuligen und schwatzschweifigen« Buche gefunden haben will; auch daß ich keine Ahnung von der »treibenden Kraft religiöser Ideen« und von der »selbständigen Macht der Poesie« haben soll, nehme ich gern als vernichtendes Donnerwort an. Aber bei den tatsächlichen und speziell literarhistorischen Einwänden, die Herr Sauer gegen meine Darstellung erhebt, will ich ein wenig verweilen, um zu zeigen, daß die Schule Scherers, sobald ihre sterbliche Seite berührt wird, sich genau ebenso als eine mit den traurigsten Waffen kämpfende Literatenclique entpuppt, wie es nur je der »blutige Oskar« und Konsorten getan haben. Herr Sauer schreibt also von mir:

      »Er nimmt aus den eifrig durchforschten Quellen nur das heraus, was seine von vornherein feststehende Meinung zu bestätigen vermag, läßt zum Beispiel im Kleistischen Briefwechsel alle Stellen beiseite,, in denen von dem König mit Begeisterung geredet wird, und verschweigt Friedrichs Unterredung mit dem ›Preußen‹ Gottsched, wenn er behauptet, Gleim sei der einzige preußische Dichter, den der König wenigstens einmal von Angesicht zu Angesicht gesehen habe. An den Stellen aber, wo Mehring seine Dynamitpatronen triumphierend einsetzt, ist das Gestein ohne Schuld der modernen Lessingforscher seit jeher brüchig und bröcklig gewesen (Verhältnis zu Voltaire, Berufung an die Berliner Bibliothek), und wo er alte Prozesse wiederaufgenommen wissen will, wie den über Simon Lemnius, da spielt ihm seine Verachtung der Büchergelehrsamkeit einen Possen: Er weiß nichts von der neuerlichen Publikation der ›Schutzschrift‹ durch Höfler. (Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften, 1892.)«

      Um zunächst diesen letzten Punkt zu erledigen, so erfindet Herr Sauer, daß ich den Prozeß über Simon Lemnius wiederaufgenommen wissen wolle. Ich sage im Gegenteil – siehe Seite 315-316 –, dieser Prozeß sei durch Lessing längst entschieden worden, und beklage nur, daß die von Lessing vernichtete Geschichtslüge von der lutherischen Geschichtschreibung, wofür ich Ranke, Köstlin und Heidemann zitiere, wieder an unseren hohen Schulen kolportiert werde. Was haben damit nun die »Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften« und die Publikation der »Schutzschrift« des Lemnius durch Höfler zu tun? Mit demselben Rechte könnte ich Herrn Sauer für einen Ignoranten erklären, weil er nicht wisse, daß die »Schutzschrift« des Lemnius längst in Hansens Pragmatischer Geschichte der Protestanten in Deutschland neu gedruckt worden ist. Das eine wäre eine sinnlose Verdächtigung wie das andere.

      Ferner: Allerdings ist es die Schuld der modernen Lessing-Forscher, daß sie das Gestein über Lessings Verhältnis zu Voltaire und Lessings Berufung an die Berliner Bibliothek »brüchig und bröcklig« gelassen haben. Besäßen sie vor dem Manne Lessing eine Spur jener Achtung und vor dem Schriftsteller Lessing eine Spur jener »philologischen Akribie«, womit sie bis zum Überdruß einherprunken, so hätten sie es nicht meinem »breimäuligen und schwatzschweifigen« Buche überlassen dürfen, sondern es wäre ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen, die handgreiflichen Flunkereien K. G. Lessings und Nicolais aus dem Wege zu räumen.

      Weiter Gleim und Gottsched! Gegen einen modernen Literaturhistoriker, der sich darüber aufhält, daß Goethe an Lessing, Ramler und Gleim den Einfluß Friedrichs auf die deutsche Literatur entdeckt habe, führe ich Seite 58 f. aus, an diesen dreien sei er menschenmöglicherweise überhaupt nur nachzuweisen, und in diesem Zusammenhange sage ich: »Auch ist Gleim der einzige preußische Dichter, der den König Friedrich wenigstens einmal von Angesicht zu Angesicht gesehen hat.« Dann schildere ich Seite 234 f. Friedrichs Unterhaltung mit Gottsched, den Friedrich als »sächsischen. Schwan« ansang, und erwähne auch Seite 318, daß Gottsched ein geborener Preuße gewesen sei. Aus alledem fabelt Herr Sauer zusammen, ich hätte Friedrichs Unterhaltung mit Gottsched verschwiegen, um dem König nachreden zu können, er habe nur mit einem preußischen Dichter gesprochen.

      Endlich soll ich in tendenziöser Weise aus dem Kleistischen Briefwechsel alle Stellen verschwiegen haben, in denen von dem König mit Begeisterung geredet werde. Ein Vorwurf, der nur dann etwa einen Sinn haben würde, wenn ich wenigstens eine von den Stellen zitiert hätte, in denen Kleist mit dem Gegenteil von Begeisterung von Friedrich redet. Aber es ist mir nicht eingefallen, auch nur eine dieser Stellen zu zitieren, weil sie für meine Darstellung ohne jeden Belang waren. Ich ziehe Kleists Briefwechsel auf Seite 341 nur an, um Lessings Freundschaft für Kleist zu erklären. Ich sage da, im Felde, wo Lessing ihn kennenlernte, habe sich Kleist als menschenfreundlicher, milder und tapferer Mann bewährt, während er vordem in seiner Potsdamer Friedensgarnison immerhin als ein seltsamer Heiliger erschienen sei: Ich zitiere eine Äußerung Kleists, wonach ihm der »pure Gedanke«, noch zwanzig oder dreißig Jahre in Potsdam zu leben, als eine »Hölle« vorkomme, und füge hinzu: Diese Stimmung sei unter dem eisernen Drucke Friedrichs wohl verständlich gewesen. Ist das nun aber nicht wahr? Ein bürgerlicher Literarhistoriker schreibt: »Es war kein idealer Ort, in dem Kleist die besten Jahre seines Lebens verbringen mußte. Von dem Lärm der nahen Hauptstadt abgeschlossen, hatte Potsdam das Aussehen einer großen Kaserne; hier unter den Augen des Königs wurde der Dienst strenge, pedantisch, rücksichtslos gehandhabt ... Solange Friedrich selbst an Ort und Stelle war, konnte an einen noch so kurzen Urlaub nicht gedacht werden. Wie viele Reisepläne Kleists gingen in die Brüche, wie selten riß er sich auf wenige Tage oder Stunden aus dem Gefängnis los! Denn als Gefängnis, gestehen wir es uns offen, hat er Potsdam gefühlt. Seine Briefe sind voll der tiefsten Seufzer und der lautesten Flüche über diese Existenz, sind von der Sehnsucht nach Freiheit getränkt. Ein langweiliges, geisttötendes Garnisonleben« usw. Der so schreibt, ist aber niemand anders als Herr Sauer in der Einleitung zu seiner Ausgabe von Kleists Werken. Freilich läßt er in dieser Einleitung aus feurigem Patriotismus auch ein allgemeines Avancement unter den Hohenzollern eintreten, indem er einen Markgrafen der Nebenlinie Brandenburg-Schwedt zu des »Königs Bruder« und des Königs wirklichen Bruder, den Prinzen von Preußen, zum »Kronprinzen«, zu Friedrichs Sohn ernennt. Aber dieser revolutionäre Umsturz der Genealogie fällt ganz auf Herrn Sauers Kappe; Kleist ist daran völlig unschuldig, und Herr Sauer muß es meiner »einseitigen Verbohrtheit« zugute halten, wenn ich mich zu diesem fanatischen Hohenzollernkultus nicht aufzuschwingen vermag.

      Doch nunmehr genug von Herrn Sauers Kritik! Ich würde bei dem Quark um seiner selbst willen nicht einen Augenblick verweilt haben, aber ich mußte in die Einzelheiten eingehen, um dem Leser einmal handgreiflich zu zeigen, welche halb kindischen, halb tückischen »Rabulistereien« die Scherersche Schule allein gegen meine Kritik des Byzantinismus aufzubieten weiß, womit sie die deutsche Literaturgeschichte verseucht.

      Ungleich kürzer fasse ich mich mit einem anderen österreichischen Gelehrten, einem sichern Herrn J. E. Wackernell, der sich im »Österreichischen Literaturblatt« als »Universitätsprofessor in Innsbruck« vorführt, um mich abzuschlachten. Es genügt mir, festzustellen, daß dieser scherzhafte Genius das Banner der »Wahrheit« gegen mich entfaltet, erstens weil ich Lessing »zu einem sozialdemokratischen Revolutionär und Materialisten« gemacht, und zweitens weil Marx »bekanntlich« den historischen Materialismus »von den Engländern abgeschrieben« haben soll.

      Eine dritte professorale Größe, Herr Werner Sombart in Breslau, orakelt also: »Mehrings historische Mission liegt wesentlich in der Ad-absurdum-Führung (beiläufig reizendes Deutsch) leitender Sätze des marxistischen Systems. Wie die materialistische Geschichtsauffassung nicht verstanden sein will, zeigt seine Lessing-Legende.« Dagegen schrieb mir Engels, der neben Marx den historischen Materialismus begründet hat, als ich ihm mein Buch übersandte: »Ich kann von dem Buch nur wiederholen, was ich schon von den Artikeln, als sie in der ›Neuen Zeit‹ erschienen, wiederholt gesagt habe: Es ist bei