Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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Es versteht sich, daß ich mit der Berufung auf Engels auch nicht einen Satz meines Buches vor einer sachlich einschneidenden Kritik sichern will, aber gegenüber einem Fanfaron, dessen sogenannter »Marxismus« darin besteht, daß er die von Marx und Engels endlich ins reine gebrachten Theorien wieder in die plattesten Gemeinplätze der Vulgärökonomie verschleimen will, genügt mir die Berufung auf Engels.

      Ungleich anständiger, ehrlicher und sachlicher hat eine Reihe literarischer Wochenschriften und politischer Tagesblätter, die nicht das Glück haben, von Professoren redigiert zu werden, über mein Buch geurteilt. Doch will ich darauf nicht näher eingehen und nur noch kurz erwähnen, daß von sozialistischer Seite zwei schroff ablehnende Kritiken erschienen sind, von Paul Ernst in der »Neuen Zeit« und von Jaurès in seiner Geschichte der Französischen Revolution. Ich habe mich mit beiden schon in der »Neuen Zeit« auseinandergesetzt. Paul Ernst, Mehrings Lessing-Legende und die materialistische Geschichtsauffassung, »Neue Zeit«, XII, 2, S. 7 ff. Mehring, Zur historisch-materialistischen Methode, »Neue Zeit«, XII, 2, S. 142 ff. Mehring, Pour le roi de Prusse, »Neue Zeit«, XXI, 1, S. 517 ff. Aber wenn dem auch nicht so wäre, würde ich heute nicht mehr mit ihnen streiten. Paul Ernst hat dem Sozialismus längst den Rücken gekehrt, und Jaurès vertritt in den Fragen, um die es sich hier handelt, den Standpunkt Sybels und Treitschkes, einen Standpunkt, den die bürgerlichen Historiker in Deutschland, soweit sie überhaupt wissenschaftlich arbeiten, längst als gänzlich unhaltbar aufgegeben haben. Sosehr sie sonst unter sich uneinig sind, worauf ich gleich in einem entscheidenden Punkte zurückkomme, so lehnen sie doch einmütig ab, in Friedrich einen »Helden der nationalen Wiedergeburt« zu sehen, der, wie Sybel einmal sagt, die furchtbaren Gefahren des Siebenjährigen Krieges auf sich genommen habe, damit Belgien und infolgedessen das linke Rheinufer nicht französisch werde.

      Jaurès würde sicherlich auch die Diskussion mit einem deutschen Parteigenossen ablehnen, der die Auffassung, die Jaurès von der französischen Geschichte hat, kritisieren würde, vom Standpunkt der napoleonischen Legende aus, wie sie einst der brave Thiers vertrat.

      Was nun die allgemeine Entwicklung der historischen Probleme anbetrifft, um die es sich in meinem Buche handelt, so kann davon, soweit es auf Lessing ankommt, überhaupt nicht gesprochen werden. Es ist allerdings noch eine neue Biographie Lessings erschienen, von Karl Borinski, aber sie bildet einen gewaltigen Absturz gegen das Werk Erich Schmidts und entzieht sich jeder fruchtbaren Kritik. Mit Lessings Namen wird freilich noch immer der alte Unfug getrieben, aber es steckt immer weniger dahinter, und das bourgeoise Zerrbild Lessings verwittert in einer Weise, die nicht anders als freudig begrüßt werden kann.

      Ebenso hat die Auflösung der friderizianischen Legende seit dem Jahre 1892 erfreuliche Fortschritte gemacht. Der patriotische Trödel Sybels, Treitschkes und ähnlicher Historiker ist völlig aufgegeben worden, auch in der großen Biographie Friedrichs, die Reinhold Koser, der Direktor der preußischen Staatsarchive, veröffentlicht hat. Von ihr lag, als ich mein Buch herausgab, nur der Anfang vor, die erste Hälfte des ersten Bandes, und ich habe gelegentlich – siehe Seite 204/205 f. – gegen Koser polemisiert. An ähnlichen Verstößen, wie ich hier gerügt habe, fehlt es auch in den späteren Bänden nicht; selbst das schon von Nicolai beseitigte Histörchen vom »Niedrigerhängen« der Pamphlete, die an den Berliner Straßenecken gegen den König angeschlagen worden sein sollen, wärmt Koser wieder auf, wie denn seine ganze Darstellung in den beschränkten Voraussetzungen preußischer Staatsgesinnung befangen und von diplomatischer Behutsamkeit keineswegs frei ist. Aber sosehr seine historische Auffassung von der meinen abweicht, so hindert mich das natürlich nicht, sondern gebietet mir vielmehr anzuerkennen, daß Köser von seinem Standpunkt aus den Dingen mit subjektiver Wahrhaftigkeit gerecht zu werden sucht und eine Menge patriotischer Märchen, die sich bei Sybel, Treitschke, Freytag, Bernhardi und ähnlichen Historikern finden, rücksichtslos über Bord geworfen hat, so den geweihten Hut und Degen, womit der Papst den österreichischen Feldmarschall Daun für den Überfall bei Hochkirch ausgezeichnet haben soll, so den Briefwechsel zwischen der Kaiserin Maria Theresia und der Marquise Pompadour, so noch manches andere, was der alte Fritz unter richtiger Spekulation auf den beschränkten Untertanenverstand seiner Borussen erfunden hat, um seine Feinde lächerlich zu machen. Für einen geborenen Preußen ist es immer sehr schwer, diesen ganzen Wust loszuwerden, und ich gestehe, daß ich auch noch der friderizianischen Legende allzu große Zugeständnisse gemacht habe, so in dem, was ich über Friedrichs Abscheu vor dem Menschenhandel der deutschen Kleinfürsten gesagt habe. Es ist richtig, daß Friedrich im Herbst 1777 den von England gekauften Landeskindern bei Minden die Weserfahrt sperrte, aber seine Beweggründe beurteilt Koser nüchterner und richtiger als ich, wenn er meint, daß Friedrich die deutschen Werbeplätze, die er selbst brauchte, habe schonen und übrigens den Engländern einen kleinen Schabernack spielen wollen, wie er denn auch den Flußpaß bald wieder freigab, als er politische Rücksichten auf England nehmen mußte.

      Am meisten hätte ich gegen Kosers Darstellung der friderizianischen Finanzwirtschaft einzuwenden, die offenbar von dem immerhin unbewußten Wunsche beeinflußt ist, dem Märchen von Friedrichs »sozialem Königtum« nicht gar zu hart vor den Kopf zu stoßen. Hier hat der Historiker allerdings mit »brüchigem und bröckligem« Material zu kämpfen, da es keine erschöpfenden und zuverlässigen Quellen gibt, aus den Gründen, die ich Seite 171 angegeben habe. Man kann hier nur mit »ungewissen Ziffern« rechnen, und ich selbst habe meine Aufstellung unter allem Vorbehalt aufgemacht. Kosers und meine Rechnung stimmen darin überein, daß die jährlichen Staatseinnahmen in Friedrichs Spätzeit etwa 22 Millionen betragen haben. Die Höhe des Kriegsschatzes, den Friedrich nach dem Siebenjährigen Kriege gesammelt hat, gibt Koser auf 51 302 010 Taler an, wodurch meine Vermutung bestätigt wird, daß ich ihn mit 40 Millionen zu niedrig geschätzt habe. Dagegen setzt Koser die jährlichen laufenden Ausgaben für das Kriegswesen, die ich nach Boyen und anderen auf 13 Millionen angenommen hatte, auf etwas über 12¼ Millionen herab und ebenso die Kosten des Bayerischen Erbfolgekriegs, die ich nach Preuß auf 29 Millionen beziffert hatte, auf 17 Millionen. Es ist aber nicht ersichtlich, ob er dafür zuverlässigere Belege hat als eine gelegentliche briefliche Äußerung des Königs, der gegenüber Preuß seine Annahme ausdrücklich aufrechterhält. Die Angabe Retzows, daß der Bau des Neuen Palais alles in allem 22 Millionen gekostet haben soll, habe ich »arg übertrieben« genannt; Koser nennt sie »vielleicht um das Zehnfache« zu hoch, was er jedoch auch nur aus unvollständigen Baurechnungen vermuten kann. Schlimmer ist, daß er überhaupt keine Übersicht über die vielen Millionen zu geben versucht, die Friedrich durch seine despotische Baulust verschwendet hat. Nach einer gelegentlichen Andeutung scheint er sie samt und sonders unter die Ausgaben für Landeskultur zu rechnen, was mindestens für die Pracht- und Prunkbauten in Berlin und Potsdam, wie eben das Neue Palais, in keiner Weise zutrifft. So meint denn Koser, daß der Minister Hertzberg die Gesamtsumme dessen, was der König seit dem Siebenjährigen Kriege an außerordentlichen Unterstützungen aufgewandt habe, auf mehr als 40 Millionen »annahm«, während Preuß, dem ich darin gefolgt bin, aus der »detaillierten Berechnung« desselben Hertzbergs noch nicht 25 Millionen für diesen Zweck herausrechnet.

      Eine zuverlässige Übersicht läßt sich heute nicht mehr entwerfen, zumal da auch das unvollständige Material, wonach Hertzberg seinerzeit gearbeitet hat, nicht mehr erhalten ist. Im allgemeinen und unter den kritischen Vorbehalten, die ich in meinem Buche selbst gemacht habe, bin ich der Ansicht, daß die 25 Millionen der historischen Wahrheit näherkommen als die 40 Millionen. Ich habe die abweichenden Ziffern Kosers nicht verschweigen wollen, allein von einer gewissen Tendenz ist seine Darstellung der friderizianischen Finanzwirtschaft unmöglich freizusprechen. Immer aber, auch wenn sie vollkommen zutreffend wäre, so würde sie an dem, worauf es mir ankommt, nicht das mindeste ändern. Hätte Friedrich wirklich bei 22 Millionen Jahreseinnahmen im jährlichen Durchschnitt 16 Millionen für Militärzwecke (Heeresetat, Kriegsschatz, Bayerischer Erbfolgekrieg, Subsidien für die russischen Türkenkriege) und lange noch nicht 2 – hauptsächlich in die Taschen der Junker fließende – Millionen für das »Retablissement« des grauenhaft verwüsteten Landes verwandt, so würde das offiziell gepflegte Gerede von seiner »sozialistischen Staatsfürsorge« und seinem »sozialen Königtum« nicht minder ein trostloser Humbug sein.

      Wenn es nun ein unzweifelhaftes Verdienst der neueren preußischen Historiker ist, in dem alten patriotischen Gerumpel einigermaßen aufgeräumt zu haben, so