SEELENHANDEL. Kealan Patrick Burke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kealan Patrick Burke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350465
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das?«

      »Du hast das Richtige getan. Hättest du’s nicht getan, dann wäre das jetzt Wintry, der da auf dem Fußboden verbluten würde. Jeder von uns hätte das Gleiche getan.«

      »Aber ihr habt’s nicht getan.«

      »Hätten wir, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten.«

      Er schaut langsam zu mir hoch und blinzelt. Alle Feindlichkeit ist aus seinem Gesicht verschwunden, inklusive jeglicher Farbe. »Ist er tot?«

      »Nein, aber ziemlich schwer verletzt.«

      »Wird er sterben?«

      Ich überlege mir eine Antwort und entscheide mich für die Wahrheit. »Na, jeder wird mal sterben. Aber vielleicht nicht heute Abend.«

      »Ich werde in die Hölle kommen.«

      »Warum sagst du das?«

      »Weil ich ihn ermordet habe.«

      »Nein, hast du doch noch gar nicht. Und selbst wenn es zu spät ist und er durch die Kugel in seinem Bauch stirbt, dann hast du bloß beschleunigt, was heute Nacht sowieso auf ihn zukommt.«

      »Wir werden alle in die Hölle kommen.«

      »Vermutlich. Das heißt aber nicht, dass wir uns dabei beeilen müssen.«

      »Die Kugel war nicht für ihn gedacht.«

      »Ich weiß, aber wir können entweder hier stehen und ausdiskutieren, wer tot sein sollte und wer nicht, oder wir können den beiden helfen.«

      »Warum?« Er runzelt die Stirn. Schweiß sammelt sich in den Falten. Mich überfällt der plötzliche und beunruhigende Drang, den Bengel in den Arm zu nehmen, die Angst einfach aus ihm rauszudrücken. Aber um das zu tun, müsste ich selbst ruhig sein, und davon bin ich im Moment sehr weit entfernt. Außerdem bin ich schon einmal überrascht worden, und auch wenn ich vermute, dass dies der letzte Mann ist, den er je erschießen wird, habe ich es nicht weiter eilig, die Theorie auch zu testen. Zumindest nicht jetzt gleich.

      »Weil sie Hilfe brauchen.«

      Er lacht lautlos, ein Keuchen, das aus Kadavers Mund hätte kommen können. »Ich könnte mir jetzt die Pistole in den Mund stecken.«

      »Klar könntest du das.«

      »Würdest du mich davon abhalten?«

      »Ich denk mal, ich würde es versuchen.«

      »Wieso?« Als er zu mir hochschaut, haben die Emotionen in seinen Augen mehr Kraft als ein Schuss, haben so viel Schlagkraft, dass ich meinen Blick abwende und mich sofort dafür schäme.

      Ich räuspere mich, und die Worte kratzen sich wie Glas meine Kehle hoch, zerschneiden mir die Zunge. »Weil du immer noch mein Sohn bist, egal, was du von mir denkst.«

      Er lacht höhnisch. »Mein Vater ist tot.«

      »Nein, bin ich nicht, ich stehe ja hier. Du guckst mich an, so wie du mich jeden Abend angeguckt hast, seit deine Mutter gestorben ist.«

      »Seit du sie umgebracht hast.«

      »Ich hab sie nicht getötet.«

      »Klar hast du das. Du hast euch beide umgebracht.«

      »Wenn das stimmt, wieso kommst du dann jeden Samstagabend her und zielst mit einem Revolver auf mich? Einen Toten kann man nicht umbringen, wie du weißt.«

      Ich bin nahe dran, den Kampf um meine Fassung zu verlieren. Ich will den kleinen Scheißer in den Arm nehmen, den Hass aus ihm rausquetschen, ihn wieder zurückgewinnen, solange ich noch kann, ihn dazu zwingen, zu verstehen.

      Aber ich verstehe es ja selbst nicht.

      »Die Kugel war nicht für dich gemeint«, sagt er zu mir und holt endlich den Revolver unter dem Tisch hervor. Ich kenne die Waffe, da sie mal einen Platz in meinem Halfter hatte. In Milestone gibt es keine Polizeiwaffen. Man nimmt sich einfach das, was man meint zu brauchen, um seinen Job zu erledigen. Damals, als es noch einen Job zu erledigen gab, meine ich.

      »Sie war für mich gedacht«, sagt er und ich spüre, wie mein Herz in tausend Splitter zerbricht.

      Was auch immer ich hätte sagen können, welche magischen Worte ich auch aus der Luft hätte schnappen können, wird vom Schrei der jungen Frau erstickt. Beide drehen wir uns zur Bar um und sehen, wie Carla sich vor Schmerzen krümmt. Der Schrei wird zu einem gestotterten Wimmern, als Flo zusammenzuckend einen feuchten Lappen auf die Brust des Mädchens presst.

      »Himmel auch.« Ich schaue meinen Bengel ein letztes Mal an, hoffe, dass er die Bitte um eine zweite Chance, uns noch einmal auszusprechen darin sieht, und dann renne ich zu dem Mädchen, während mein Herz und meine Seele in Schutt und Asche liegen, als würde ich und nicht sie ausgestreckt auf der Theke liegen.

      Ich bin noch nicht weit gekommen, als Brody, der über Wintrys Schulter hängt, ruft: »Passt auf mit ihr. Sie ist schwanger.«

      Und das raubt mir sofort das allerletzte bisschen Wind, das ich noch in den Segeln habe.

      Ich mache auf dem Absatz kehrt. Reverend Hill knallt sein Glas auf den Tisch und steht auf. »Es reicht.«

      Ich will ihn umbringen. Von den Qualen über Kyle und sein Vorhaben zusätzlich angefacht, brodelt blinde Wut in mir empor, Wut über meine eigene Blindheit, meine Feigheit, darüber, dass ich nie die Schnelligkeit, mit der es in meiner Welt dunkel wurde, hinterfragt habe, und auch nicht das Leid, das ich all den Menschen zugefügt habe, die darin umhertappen. »Du Arschloch. Du hast nie was von einem Kind gesagt.«

      »Und was für einen Unterschied macht das? Menschen, die tödliche Verkehrsunfälle verursachen, haben selten den Luxus, vorher ihre Opfer zu zählen. Wenn hier alles so gelaufen wäre, wie es verdammt noch mal hätte laufen sollen, wüssten Sie das gar nicht, und Ihrem Mördergewissen wäre eine kleine extra Portion Realität erspart worden.« Er kommt näher, bis sich unsere Nasen fast berühren. »Vergessen Sie nie, Sheriff, dass ich das Einzige bin, das zwischen Ihnen und der ewigen Verdammung steht. Ich bin das Gottähnlichste, was Sie haben, und deshalb gehören Sie mir. Daher ist es Ihre Pflicht, mit dem Zweifeln aufzuhören und die Wahrheit zu akzeptieren.«

      »Das hier ist die ewige Verdammung«, entgegne ich, »und mir scheint, dass Gott wohl wissen wird, was hier los ist – während Sie‘s ganz offensichtlich nicht wissen.«

      Brody stöhnt vor Schmerzen, als Wintry ihn auf dem Hocker neben Flo absetzt. Selbst unter solch extremen Umständen weiß er Cobbs Barhocker zu meiden.

      Der Reverend schaut den Jungen über meine Schulter an. Dann lächelt er. »Lassen Sie uns doch herausfinden, warum die Dinge nicht wie geplant gelaufen sind, ja?«

      Kadaver zieht sich auf seinen Stammplatz im Dunklen zurück.

      Gracie schüttet Bourbon über die entblößte Brust des Mädchens – die Wunde ist tief –, was einen weiteren gequälten Schrei von ihr hervorruft, und ich weiß, dass ich Recht habe. Das hier ist die ewige Verdammung oder zumindest eine Art von Warteraum, in dem wir alle sitzen und schwitzen können und darauf warten, dass unsere Nummer aufgerufen wird. In diesem Moment entscheide ich, dass heute Abend mehr als nur die Nummern dieser beiden jungen Menschen aufgerufen werden – auch wenn ich keine Ahnung habe, wie es ausgehen wird.

      Der Reverend steht vor dem Jungen, der sich mit einer blutüberströmten Hand den Bauch hält. »Tja«, sagt er, »sieht so aus, als ob ihr etwas in Schwierigkeiten wärt.«

      »Wir brauchen einen Arzt«, sagt Brody mit bleichem, schweißnassem Gesicht. »Bitte.«

      Der Reverend legt den Kopf schief. »Und warum sollten wir was für einen Mann tun, der sich mit einer Pistole vorgestellt hat, die er in das Gesicht eines Gesetzeshüters gestoßen und dann damit gedroht hat, den einzigen Mann hier drinnen zu erschießen, der ihm anscheinend helfen wollte?«

      »Gracie, ruf Doktor Hendricks an«, sage ich, aber der Reverend hebt seine Hand, die wir für etwas halten sollen, das Sünder zurück auf den rechten Pfad bringt.

      »Lass