Ich kippe das hinter, was vom Whiskey noch übrig ist, dann schnappe ich mir die Flasche zur Gesellschaft. Hill wird keinen Protest einlegen – ihm gefällt es, wenn wir richtig betrunken sind – und auch wenn Gracie sauer sein mag, dass sie ein paar Dollar verloren hat, wird sie ebenfalls nichts sagen. Sie weiß nur zu gut, was dreckige Arbeit ist.
Ich stehe auf und klimpere mit den Schlüsseln in meiner Hand. »Wenn es vorbei ist«, sage ich ihm, »sind Sie der Einzige, der in der Hölle landet.«
Er antwortet nicht. Stattdessen schiebt er mein Glas vor sich und hält seinen Daumen über den Fingerabdruck. Er passt haargenau. Er gluckst ein Lachen und dreht seinen Stuhl herum, sodass er zur Theke schaut. Flo weicht seinem Blick aus und legt ihre Hand über Wintrys. Alle sind wieder dabei, so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre.
Hinter meinem Rücken knurrt Cobb vor sich hin.
Die paar Schritte zur Tür fühlen sich wie die eines verurteilten Mannes auf dem Weg zum elektrischen Stuhl an, wobei die Blitze hinter den Fenstern den Effekt nur noch verstärken.
Als ich die Tür erreiche und den Messinggriff berühre, enthüllt ein Blitz das skelettöse Profil, das danebenkauert und von den Schatten der Münztürme wie von Messern in die Brust gestochen wird. Er schaut aus dem Fenster, und Dunkelheit sammelt sich in seinen Augenhöhlen, als er in einem Tonfall, der für ihn als Flüstern durchgeht, sagt: »Es kommt wer.« Dann höre ich es. Schnelle Schritte, verwirrtes Hin- und Hertrappeln, und ich trete gerade noch rechtzeitig zur Seite, um zu vermeiden, dass mein Gesicht von massivem, verwittertem Eichenholz zertrümmert wird, als die Tür mit einer Wucht aufspringt, die sie fast aus den Angeln reißt. Regen, Wind und Schatten füllen den Türrahmen aus. Ohne zu wissen oder mir Gedanken zu machen, wer es ist, der auf der Türschwelle steht, springe ich vorwärts, klatsche meine Hand in die Mitte des Brustkorbs der Gestalt und schubse sie wieder raus in den Sturm. »Verpiss dich«, brülle ich mit der harten Stimme, die ich unter solchen Umständen habe. Hill würde begeistert sein: Mehr Rekruten für sein perverses Spiel. Aber wer auch immer es war, den ich gerade abzuwimmeln versucht habe, wirbelt auf dem Absatz herum, kracht auf der Suche nach Gleichgewicht gegen die Tür, und streckt einen Arm dahin, wo ich stehe.
Eine Pistole wird plötzlich in mein Gesicht gehalten, von deren Edelstahllauf der Regen tropft. »Beweg deinen Arsch da rein«, sagt eine Männerstimme, und dann stolpert eine Frau aus der Dunkelheit und bricht auf dem Boden zusammen. Der von ihrer durchweichten Gestalt tropfende Regen ist rosa. Sie blutet, aber im Moment ist meine ganze Aufmerksamkeit auf das schwarze Auge des Revolvers gerichtet, das sich zehn Zentimeter vor meiner Nase befindet.
»Flo, Gracie … hilf doch jemand der Frau«, rufe ich.
»Keiner fasst sie an«, sagt der Mann. Ich wünsche mir, ich könnte sein Gesicht sehen, aber bisher ist er nur eine Stimme und ein blasser Ärmel mit einem Colt Kaliber .45 am Ende.
Ich bin es wirklich leid, dass ständig Waffen auf mich zielen.
3
»Los, zurück«, sagt der Mann mit dem Revolver. »Und zwar sofort, sonst dekoriere ich diese Absteige mit deinem Hirn.«
»Weiß der Himmel, das würde dem Ambiente helfen«, fällt der Reverend ein und klingt nicht im Mindesten verärgert über die Eindringlinge.
Die Frau schaudert und das verdammte instinktive Bedürfnis zu helfen, sie zu berühren und sicherzustellen, dass sie in Ordnung ist, lodert auf, aber die Knarre hält mich in Schach.
»Wieso bist du nicht bewaffnet?«, fragt der Mann.
»Bin ich ja, aber nicht hier drinnen.«
»Sonst noch wer, der vielleicht den Helden spielen will?«
Kyle fällt mir ein. Er hat eine Waffe, und der Typ wird das vermutlich früher oder später herausfinden. Aber: »Nein«, sage ich. Es ist besser, wenn er es erst später merkt.
»Du lügst mich besser nicht an.«
»Nein.«
»Carla, lebst du noch?«
Auf dem Fußboden, mit gebeugtem Kopf und dem dunklen nassen Haar fast die Bohlen berührend, schüttelt das Mädchen langsam den Kopf. Sie blutet recht stark.
»Sie braucht Hilfe.« Das ist offensichtlich, aber angesichts der Tatsache, dass der Typ immer noch im Türrahmen steht und mit einem Revolver auf mich zielt, denke ich, dass er vielleicht daran erinnert werden muss.
»Ja, ach nee. Ich nehm‘ an, dass wohl kein Doktor hier ist?«
»Nein, aber wir können sie zumindest verbinden, die Blutung stoppen, ihr was gegen die Schmerzen geben. Sie tun ihr keinen Gefallen, wenn Sie sie da auf dem Boden lassen.«
Es dauert nicht lange, bis er begreift, dass ich Recht habe. Er wedelt mit dem Revolver in meinem Gesicht herum. »Los, nach hinten. Ganz bis zur Theke, und behalt deine Hände da, wo ich sie sehen kann.«
Ich stelle die Whiskeyflasche auf den Boden und mache, was er gesagt hat, gehe mit erhobenen Händen rückwärts, bis ich fast auf gleicher Höhe mit dem Tisch des Reverend bin. »Haben Sie das geplant?« frage ich ihn, obwohl ich irgendwie weiß, dass das nicht der Fall ist – solange er nicht plötzlich Schuldgefühle bekommen und sich entschieden hat, mir Benzingeld zu sparen.
»Es sieht so aus«, antwortet er, »als ob wir uns mit einem ungeplanten Zwischenfall abgeben müssen.«
»Es fällt mir schwer zu glauben, dass Sie so was nicht mit eingerechnet haben.«
»Oh, aber das hab ich doch. Bevor die Nacht vorüber ist, werden der Mann und seine kleine Schlampe nur zermatschtes Fleisch mit dem Abdruck Ihrer Truckreifen sein, Tom. Es ist egal, wie sie die Zwischenzeit verbringen.«
»Maul halten«, sagt der Mann mit der Waffe. Er tritt ins Licht und endlich kann ich das Gesicht meines geplanten Opfers sehen. Es scheint, dass er kaum mehr als ein Kind ist, nicht viel älter als Kyle. Er trägt einen cremefarbenen Anzug, der vermutlich schick war bis das Blut ihn verdreckt hat, und ein am Hals offenes weißes Hemd. Schulterlange blonde Haare rahmen ein Gesicht ein, das von den vielen Zwischenstopps auf seiner Fahrt zur Hölle hart geworden ist. Er knallt die Tür hinter sich zu und steht mit dem Revolver auf mich zielend da, dann richtet er ihn auf die anderen im Raum, bevor er wieder auf mich zielt.
»So geht das nicht, Junge«, sagt Kadaver und der Dieb fährt fast aus seinem Anzug und der Haut darunter. Ich zucke zusammen, warte darauf, dass er ein paar Kugeln in den Schatten in der Ecke pumpt, aber er kann sich zurückzuhalten. »Scheiße, was ist das denn?«
»Kadaver«, kläre ich ihn auf. »Er ist bloß ein alter Mann. Lass ihn in Ruhe.«
»Shit auch, wieso versteckt der sich?«
»Tut er nicht. Das ist sein Tisch. Die Beleuchtung ist halt nicht so gut. Das gefällt ihm.«
»Oh ja?« Der Junge klingt nicht gerade überzeugt und seine Finger tanzen auf dem Kolben des Revolvers, als ob er überlegt, Kadavers Ecke mit etwas Mündungsfeuer zu beleuchten. »Beweg dich zu den andern hier rüber.«
Kadaver gibt keinen Laut von sich und bewegt sich nicht.
Der Junge klickt den Hahn zurück. Es klingt so wie Kadaver, wenn er schluckt.
»Pass auf, Junge …« Ich mache einen Schritt nach vorn und merke einen Sekundenbruchteil später, dass es ein Fehler gewesen war. Der Revolver zielt wieder auf mich. Jetzt hab ich zwei davon auf mich gerichtet. Wenn Kyle und dieser Typ zur gleichen Zeit abdrücken, kann ich zwei Schatten werfen, während ich zu Boden falle. Ich hebe die Hände, die Handflächen nach außen. »Jetzt warte doch mal, ja? Niemand braucht verletzt zu werden.« Was eine gottverdammte Lüge ist. Früher oder später wird jemand verletzt werden, und zwar auf die Satin-Kissen-in-einer-Kiefernkiste-Art. Aber im Moment ist die Frage nicht wer, sondern wie viele, und das kann ich so nicht stehenlassen.
Der Junge entdeckt Cobbs, runzelt die Stirn. »Wieso ist der nackt?«
»Weil ich das so