SEELENHANDEL. Kealan Patrick Burke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kealan Patrick Burke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350465
Скачать книгу
ihres Haares um einen blutroten Fingernagel.

      »Ich denk mal.«

      Sie seufzt und dreht mir den Rücken zu. Flo will Hoffnung, will, dass ich sage, vielleicht wird heute Abend etwas Besonderes sein, dass vielleicht zum ersten Samstagabend in Jahren der Reverend Hill nicht um elf Uhr durch die Tür schlendern wird – aber ich kann nicht. Vor langer Zeit ist mir klargeworden, dass ich ein schlechter Lügner bin. Trotz dem goldfarbenen Abzeichen auf meinem Hemd sollte sich niemand mit Hoffnungen an mich wenden, oder mit überhaupt irgendwas.

      Aus der Ecke kommt ein Geräusch wie von einem zerbrechenden toten Ast. Es ist Kadaver, der mit der Zunge schnalzt. Anscheinend ist eine Münze von einem seiner Miniaturkupfertürme gerutscht.

      Gracie tut wieder so, als ob sie den Tresen abwischt.

      Cobb brummelt über seinem Bier.

      Hin und wieder erwische ich Wintry dabei, meine Reflektion im Spiegel zu betrachten. Was ich in seinen dunklen Augen sehe, könnte Sorge oder sogar Mitleid sein, aber wenn ich er wäre, würde ich mich nicht mit dem Spiegel beschäftigen, nicht, wenn Flo in sein Ohr haucht. Ich bin nicht auf der Suche nach Mitleid, bloß nach Lösungen, und ich nehme nicht an, dass sich an diesem Abend – oder irgendeinem andern – welche finden lassen werden.

      Das Brennen des wilden Blicks, den der Bengel auf mich gerichtet hält, ist so zuverlässig wie ein Feuer in der Winternacht.

      Dies sind meine Freunde.

      2

      Die Uhr zieht die Sekunden lang; die langsame Bewegung des schmalen schwarzen Minutenzeigers ist außerstande, den Staub eines Jahrzehnts vom Ziffernblatt zu fegen. Als er schließlich ohne irgendein Anzeichen unter uns Trinkern, dass Zeit vergangen ist, dreiundzwanzig Uhr erreicht, ertönt der Klang von auf Kies knirschenden Schuhen.

      Mühsam versuchen alle, nicht zur Tür zu sehen, aber es liegt so viel Spannung in der Luft, dass man seine Wäsche daran aufhängen könnte.

      Reverend Hill tritt ein, und mit ihm kommt der Regen – nicht die Spritzer, die Kadaver angekündigt hatte, sondern ein richtiger Nägel-aufs-Metalldach-geschütteter Sturzregen. Der Bastard hätte kein besseres Timing haben können, obwohl er es schwer haben wird, wen davon zu überzeugen, dass Gott dafür verantwortlich ist – sofern es ihn zu einer spontanen Predigt anregen sollte. Ebenso wenig würden wir ihm abnehmen, dass die silbrigen Fäden Regen auf seinen Schultern Schnüre sind, die zur Hand eines himmlischen Puppenspielers führen.

      Für ihn knarrt die Tür, als er den Sturm wegschließt.

      Er hält nicht inne, um einen nach dem anderen von uns anzusehen, wie es jeder andere Mann machen würde, um die Gesellschaft einzuschätzen, die er haben wird, oder um die Sündiger zu zählen. Stattdessen tragen diese selbstsicheren Schritte seine magere, schwarzgekleidete Gestalt bis an die Theke heran, wo Gracie aufgehört hat sauberzumachen und ihn auf ganz ähnliche Art beobachtet wie der Bengel am nächsten Tisch mich beobachtet. Außer, dass Kyle mich im Moment natürlich nicht anschaut. Alle Augen sind auf den heiligen Mann gerichtet.

      Die Stadt Milestone ist von Pech besessen, ebenso die Menschen, die sie ihr Zuhause nennen – aber um ehrlich zu sein, haben wir uns mit der Zeit vielleicht zu sehr damit angefreundet, den Dingen, die wir uns selbst einbrocken, oder dem Schicksal die Schuld zuzuschieben. Wahrscheinlicher ist, dass schlechte Menschen, die mehr auf dem Kerbholz haben als ihre Heimatstädte tolerieren können, von diesem Ort angezogen werden, wo niemand Fragen stellt und man die Meinung über andere in seinen Augen, aber nie auf der Zunge trägt.

      Als Reverend Hill nach Milestone kam, um einen schon seit Jahren leeren Posten zu füllen, trug er sich mit der Hoffnung, dass religiöse Belehrung die dunklen Wolken verjagen würde, die über der Bevölkerung hingen, seit Reverend Lewis seinen Gürtel, einen klapprigen alten Stuhl und einen niedrigen Balken in seinem Schlafzimmer dazu benutzt hatte, das Zusammentreffen mit seinem Schöpfer zu beschleunigen.

      Aber passend zur Stadtgeschichte vom ständigen Pech oder wie auch immer man es nennen will, war, was Hill Milestone brachte, nicht Hoffnung, sondern Angst.

      »Rum, mein Kind«, sagt er zu Gracie und lehnt sich genau neben Cobb an die Theke. Er bemüht sich nicht, seine Abscheu für den nackten Mann zu verbergen. Hill hat Knopfaugen, die zu konzentriert, selbstgefällig und intensiv sind, als dass sie sich die Mühe irgendeiner bestimmten Farbe geben würden. Ich bin überzeugt davon, dass diese Augen durch Wände gucken können – was auch erklären würde, warum niemand in Milestone mehr zur Beichte geht. Er hat Augenbrauen, für die eine Frau töten würde, gezupft und gebogen wie das Mittelschiff einer Kirche, eine lange dünne Nase, die sich an der Spitze verbreitert um die nötige Menge Luft, die sein Geschimpfe benötigt, inhalieren zu können, und einen dünnen, blasslippigen Mund, der wie eine Narbe über einem spitzen Kinn sitzt. Ich würde ihn auf ungefähr Sechzig schätzen, aber sein Alter scheint mit seiner Stimmung zu schwanken. Das trübe Licht meidet sein pomadiertes schwarzes Haar, das künstlich gefärbt ist. Alles an dem Typen ist künstlich, wie wir kurz, nachdem er im Ort auftauchte, herausfanden.

      Manche Leute glauben, dass er der Teufel ist.

      Ich nicht, aber ich bin mir sicher, dass die zwei sich kennen.

      »‘n Abend, Reverend«, sagt Cobb, ohne den Mann anzusehen. Cobb hat Angst vor Hill. Die haben wir alle, aber der Nudist ist der Einzige, der ihn grüßt.

      »Was sollen die kleinen Kinder von Milestone denken, wenn sie auf der Straße Ihr Sündenwerkzeug direkt vor ihren Gesichtern pendeln sehen, Cobb?«, fragt der Reverend lauter als notwendig. »Unanständigkeit ist ein Pflasterstein des Weges in die Hölle, oder laufen Sie mit der irrigen Vorstellung herum, dass die Nacktheit gleich nach der Gottesfurcht kommt? Glauben Sie, dass Ihre Gabe Sie davon freispricht, den Anstand zu bewahren?«

      Cobb läuft rot an und antwortet nicht.

      Der Reverend grinst. Seine großen Klaviertastenzähne glänzen. Gracie setzt seinen Drink vor ihn hin. Sie wartet nicht darauf, dass er bezahlt.

      Erschreckt merke ich mit bebendem Bauch, dass ich gleich losprusten werde und versuche, mein Lachen zu unterdrücken. »Sündenwerkzeug« ist peinlich, selbst für Hill. Es stimmt schon, dass er mich jedes Mal anwidert, wenn ich ihn sehe, aber obwohl ich das weiß, ist an dieser Situation nichts Lustiges. Nichts ist lustig an dem, was in Milestones einzig offener Kneipe jeden Samstagabend um diese Zeit passiert. Wie sich herausstellt, musste das Lachen schon auf meinem Gesicht gewesen sein, denn sein kohledunkler Blick bewegt sich von Cobbs rosa Körper zu mir, und sein Grinsen fällt ihm aus dem Gesicht, als hätte ihn jemand geohrfeigt.

      »Gibt’s was Witziges, Tom?«

      »Nö.«

      »Sind Sie sicher?«

      »Ja.«

      »Ihr Lächeln sagt aber etwas Anderes.«

      »Wer kann heute schon noch einem Lächeln vertrauen, Reverend? Ich zumindest würde Ihrem nicht trauen.«

      Das reicht, um ihm sein Grinsen wiederzugeben. Er schnappt sich seinen Rum von der Theke und schlendert zu meinem Tisch mit dem Selbstvertrauen eines Mannes herüber, dem seine Arbeit gefällt, der seinen Spaß daran haben wird, den Sheriff des Orts von seinem hohen Ross zu holen. Er zerrt den leeren Stuhl mir gegenüber hervor, setzt sich und betrachtet mich eine Sekunde lang. Ich fühle mich wie Aas, das von einem Geier taxiert wird.

      Sein Gesicht ist nur um eine Schattierung dunkler als das kleine Rechteck von Weiß an seinem Kragen.

      »Sagen Sie mir mal was, Tom.«

      »Schießen Sie los.«

      Daraufhin sieht Hill über seine Schulter zu dem Bengel, der noch immer schwitzt, aber ich würde wetten, dass es jetzt kalter Schweiß ist. Der Reverend dreht sich wieder um und zwinkert. »Sagen Sie das besser nicht so laut. Es könnte Ihnen jemand den Gefallen tun.«

      »Er ist verwirrt«, sage ich zu ihm und trinke einen Schluck Whiskey. Bier ist ein feines Getränk und braucht Geduld; Whiskey ist ein direkter Schuss ins Hirn, und das brauche ich jetzt, wenn ich mich vor