»Vielleicht«, sagt der Reverend, »aber er weiß, dass man nicht auf einen Mann Gottes schießt. Er ist eine fromme Seele. Er will Rache ohne Verdammnis.«
»Bisschen spät dafür, oder?«
Seine Lippen kräuseln sich vor Vergnügen. »Ich bin mir nicht sicher, was Sie meinen.«
Ich entscheide mich, keine Spielchen mit ihm zu spielen. »Wer ist es heute Abend?«
Kadaver hat aufgehört, seine Pennys zu zählen.
»Keine Umschweife, was? Das gefällt mir.«
»Sparen Sie sich doch den Scheiß.«
Er schnalzt mit der Zunge. »Eine Profanität. Das Zeichen eines ungebildeten Mannes.«
Ich wünschte mir, das stimmte. Ich wäre so gern ungebildet und säße hier mit meinem Drink, um Sticheleien mit einem Geistlichen auszutauschen, der vielleicht der Teufel ist. Dann wüsste ich wenigstens nicht, was auf mich zukommt.
»Also, wer fährt?«, frage ich, und alle außer Wintry drehen sich um. Er beobachtet den Spiegel.
Der Reverend langt in seine Tasche und wirft ein paar Autoschlüssel auf den Tisch zwischen uns. »Sie«, sagt er und jedes hartverdiente Stück meines Hohns ist zerstört. Ebenso gut hätte er mir eine Granate die Kehle runterstopfen und mich in Eisen ketten können. Ich gebe einen Atemzug von mir, der am Ende zittert. Niemand in der Bar seufzt vor Erleichterung, aber ich kann sehen, wie sich Schultern entspannen, nur ein klein wenig, und höre das Klimpern von Kadavers Pennys, als er mit dem Zählen fortfährt.
Auf dem Tisch liegt ein Ring mit sechs Schlüsseln. Drei davon sind für den Fertigbau, der als mein Büro durchgeht. Zwei sind für die Eingangs- und Hintertüren des Fertigbaus, der als mein Haus durchgeht. Der Letzte ist für meinen Truck, und die Schlüssel sind so gefallen, dass dieser steil nach oben, auf den Reverend zeigt. Das ist kein Zufall.
»Sie wissen, wie es funktioniert«, sagt er und lehnt sich im Stuhl zurück. »Und wenn ich Sie wäre, würde ich nicht so überrascht tun. Sie sind eine ganze Weile davongekommen, oder?«
Sein Gesicht schwillt an vor Frohlocken. Ich denke, dass sein Kopf wie ein Ballon platzen würde, wenn ich ihm jetzt sofort eine reinhauen würde – und genau das ist es, was mir jede Zelle meines Körpers zu tun befiehlt. Aber egal wie befriedigend das wäre, es würde nichts daran ändern, dass ich heute Abend dran bin. Ich darf fahren. Hill, mag er auch ein Arschloch sein, ist immer noch bloß der Botschafter, ein Kurier. Ihm eine runterzuhauen, würde keinen Unterschied machen.
Cobb meldet sich zu Wort. »Scheiße auch Tom, ich kann für dich fahren. Das würde mich aus dem Regen halten. Und außerdem hab ich dem alten Blue Moon gesagt, dass ich ihm eine Flasche vorbeibringe. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, oder?« Sein nervöses Grinsen blitzt auf der Suche nach Anerkennung, aber er bekommt keine. Außer mir sieht ihn noch nicht mal jemand an, und obwohl ich es nicht sage, bin ich dankbar. Ich weiß, dass Cobb nur aus einem einzigen Grund nackt umherläuft: Er will bemerkt werden, an etwas anderes als seine Gabe erinnert werden, oder vielleicht will er die Aufmerksamkeit davon ablenken. Eine Geste, wie: »He, guckt mal alle! Unter meinen Klamotten bin ich ganz genauso wie ihr!«. Es funktioniert nicht, und ich nehme wie der Rest von uns an, dass er es müde ist; müde, hier jeden Samstagabend darauf zu warten, ob er jemanden umbringen muss. Angesichts dessen, zu was er in der Lage ist und was er früher machen musste, ist es wohl schwieriger für ihn als für die meisten von uns, der Pingpongball von Gott und Teufel zu sein. Ich weiß auch, dass Cobb sich heute Abend nicht an die Regeln halten würde, selbst wenn der Reverend es erlaubt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er meinen verbeulten alten Truck einfach von der Willow Creek Brücke runterfahren und beim Ertrinken lächeln würde, während der arme alte Blue Moon Running Bear noch eine Weile ohne seinen Whiskey auskommen müsste.
»Sehr nobel von Ihnen«, sagt Hill und klingt gelangweilt. »Aber es handelt sich nicht um einen Schichtdienst in der Sägemühle. Hier wird nicht gehandelt.« Er betrachtet Cobb von Kopf bis Fuß. »Doch keine Angst. Sie kommen noch dran. Haben Sie das Auto schon?«
»Meine Frau lässt mich nicht fahren. Nicht hier. Nicht, wenn ich getrunken habe.«
»Dann lügen Sie entweder oder hören Sie auf zu trinken. Aber besorgen Sie das Auto.«
»Na gut.«
Cobb sieht mich mitfühlend an. Ich winke ab und starre den Priester an. »Wer ist es?«
Aus der Brusttasche seiner Jacke fördert er eine Packung Sonoma Lights zutage. »Hat wer Feuer?«
Als sich niemand meldet, wirft ihm Gracie eine Streichholzschachtel zu, die er ohne hinzusehen aus der Luft schnappt – ein beeindruckender Trick, der mich innigst wünschen lässt, er hätte danebengegriffen. Er entzündet seine Zigarette und schaut mich schmaläugig durch die Wolke blauen Qualms an. »Sie wollen den Namen?«
»Nein. Ich möchte das bisschen Schlaf, das ich bekommen kann, gern behalten. Sofern Sie das nicht auch noch haben wollen.«
»Ach kommen Sie, was soll denn das jetzt? Sie hören sich ja so an, als wären Sie das Opfer!« Er bellt ein Lachen und dreht sich im Stuhl zur Bar hin. »Ist es das, was ihr alle denkt? Dass ich ein böser Bube bin, der hergekommen ist, um euer Leben zu zerstören?« Er wendet sich wieder um, diesmal zu Kadaver und dem Bengel. »Dass ihr alle ganz rein und unschuldig seid, dazu gezwungen werdet, den Willen einer bösen höheren Macht auszuführen?« Verwundert schüttelt er den Kopf. »Leute, macht euch doch nichts vor. Bis ich gekommen bin, ward ihr alle im Fegefeuer und habt drauf gewartet, dass eine Entscheidung fällt. Ihr solltet mir danken, dass ihr nicht alle im Höllenfeuer schmort.«
»Und was ist das hier?«
Er lehnt sich nahe herüber, mit dunklen Augen und Zwillingsstreifen von blauem Rauch, die aus seinen weiten Nasenlöchern strömen. »Nichts entfernt Ähnliches, Deputy Doof.«
Wir starren einander über den Tisch hinweg an. Ich versuche den Bengel telepathisch dazu zu zwingen, dass er schießt. Mir ist es sogar egal, wen er trifft. Aber der Junge bewegt sich nicht, schaut nur zu wie alle anderen. Der Regen prasselt weiter und der Donner donnert, aber in Eddie’s gibt es kein Geräusch – bis ich spreche.
»Das alles wird ein Ende haben, wissen Sie.« Es ist eine Drohung, hinter der nichts steckt. Ich will, dass es vorbei ist; ich will, dass es wieder so ist, wie es war, bevor meine Frau gestorben ist, bevor der Bengel sich ins Hirn gesetzt hat, dass mein Kopf besser aussehen würde, wenn er über die ganze Wand verschmiert wäre; bevor wir hier alle als Sklaven unserer Sünden gelandet sind. Aber es ist zu spät. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Es ist schon zu weit gekommen. Hill weiß das, weiß besser als alle andern, dass wir am nächsten Samstagabend wieder hier sein werden und am Samstagabend danach und dem darauffolgenden, bis wir, welche Schuld auch immer er bestimmt hat, die wir schulden, abbezahlt haben. Oder genaugenommen, bis derjenige, der ihn kontrolliert das entschieden hat.
Aber das wird heute Abend nicht der Fall sein, und während das blaue Licht die Risse in der heruntergekommenen Bar füllt, reiche ich über den Tisch und ziehe die Schlüssel zu mir hin.
»Ich weiß, dass es ein Ende haben wird«, antwortet der Reverend und hält lange genug inne, um einen tiefen Zug von seiner Zigarette zu nehmen. »Heute hat es für Sie ein Ende.«
Ich schließe meine Faust um die Schlüssel.
»Sie bekommen einen Dieb und seine Freundin«, fährt er fort. »Er hat einem Tankstellenangestellten ins Gesicht geschossen, eine Frau ermordet und ein kleines Kind verletzt. Die Freundin ist eine Fixerin und Nutte. Niemand wird die beiden vermissen.«
»Irgendwer schon. Irgendwer vermisst sie immer.«
Der Priester lehnt sich wieder zurück und lächelt. »Es steht uns nicht zu, uns darüber Sorgen zu machen.«
»Ihnen vielleicht nicht.«
»Diese Apostelbriefe Ihres blütenreinen Gewissens werden allmählich ziemlich langweilig, Tom.«