Joe Boswell war gekommen. Und mit ihm zwei Dutzend Eisenbahn-Arbeiter aus Californien.
Aber nur sehr langsam kamen die Planierungsarbeiten vorwärts. Die Verhältnisse im wilden New Mexico erwiesen sich als bedeutend schwieriger, als die drüben in Californien.
Trotz der späten Jahreszeit herrschte am Rio Grande noch eine bruttige Schwüle. Die ersten Meilen nach dem nahegelegenen Tesque wurden verhältnismäßig schnell fertiggestellt. Und Boswell konnte die Bestellung für die Schienenstücke schon nach kurzer Zeit aufgeben. Aber dann ging es hinauf ins Gebirge, das schon zehn Meilen nördlich von der Stadt begann.
Boswell wußte, was man einer Lokomotive zumuten konnte, deshalb suchte er den Weg so anstiegsfrei und eben wie möglich zu halten. Aber er konnte nicht im Tal bleiben, durfte sich den Umweg nach Westen zum Rio Grande hinüber nicht leisten. Er mußte über die Berge.
Schon sehr bald wußte er, daß er hier vor einer Aufgabe stand, vor der schwersten seines Lebens.
*
Sie waren erst zwei Tage in den Bergen, als ein Trupp von fünfzehn Reitern gegen Abend ihr Lager aufsuchte und bat, die Nacht über dort verbringen zu dürfen. Im Morgengrauen brachen die Reiter auf. Und kurz vor Arbeitsbeginn meldete der Strecken-Boß dem Ingenieur, daß vier Kisten mit wichtigen Werkzeugen verschwunden waren.
Henderson, dem Boswell selbst die Nachricht in die Stadt brachte, lächelte. »Mit diesen Dingen müssen wir rechnen, Boswell. Wir leben hier in einem merkwürdigen Land. Es gibt eine Menge Leute, denen die Bahn nicht passen wird…«
Es war ein höllisch merkwürdiges Land! Das sollte der Ingenieur Boswell bald erkennen.
Henderson ließ neue Werkzeuge kommen.
Die Arbeit ruhte solange.
Die Männer warteten in Santa Fé.
Als sie am Morgen des 5. November wieder an ihrem letzten Lager ankamen, sahen sie da, wo sie in mühevoller Arbeit einen kleinen Paß in einen störenden Felsenvorsprung geschlagen hatten, ein gewaltiges klaftertiefes Loch.
Boswell biß die Lippen aufeinander. Er spürte, daß ihn der Vorarbeiter Jim Gennan anblickte.
»Das ist gesprengt worden…«, sagte Gennan dumpf.
Boswell schwieg.
Fast einen vollen Tag brauchte der Trupp, die Vertiefung wieder so auszugleichen, daß sie nicht nur eben war, sondern auch einen festen Untergrund für den Bahnkörper abgab.
Die Arbeit ging weiter.
Über ein ebenes Stück zwischen Bergkuppen hindurch, eine sanft ansteigende Halde hinan auf einen Hügelkamm zu, den Boswell am liebsten umgangen hätte.
Am Abend zuvor hatte er sich mit Gennan besprochen.
Sie waren dahin übereingekommen, die niedrigste Stelle des Kamms wieder so einzubrechen, daß die Bahn hinübergeführt werden konnte.
Und daran arbeiteten die Männer am Morgen des 8. November.
Boswell hatte in der Frühe einen Ritt nach Süden gemacht und war hinter Tesque auf den Schwellenleger-Trupp gestoßen, der rasch vorwärtsgekommen war.
Während der Ingenieur nach seinem Lager im Norden zurückritt, überlegte er, daß er vielleicht in vierzehn Tagen schon mit dem Legen der Schienen von Santa Fé nach Tesque beginnen lassen könnte.
Da hörte er plötzlich Schüsse vor sich.
Eine Tamariskenbuschgruppe verdeckte dem Reiter die Sicht auf das Plateau, an dessen Ende die Arbeiter mit dem Einbrechen des Hügelpasses noch beschäftigt waren.
Boswell gab seinem Braunen die Sporen und preschte vorwärts.
Und dann, als er die Büsche erreicht hatte, sah er es: Seine Männer hatten sich hinter Planwagen, Gesteinsbrocken und Pferden verschanzt und feuerten wie wild über die Nordseite des Passes.
Der Ingenieur preßte die Fäuste um die Zügelleinen.
Hinter einem Pinto erkannte er den Vorarbeiter.
»Gennan!« rief er ihm zu, während er vom Pferd sprang und vor einer dicht an ihm vorbeipfeifenden Kugel hinter einem Felsstein Deckung suchte.
Der Bestman sah sich um. »Hallo, Boß!« rief der rothaarige Bursche. »Kleine Unterbrechung!«
»Wo stecken die Banditen?«
»Keine Ahnung. Sie schießen drüben hinter einer Felsnase hervor.«
»Wieviel sind es?«
»Weiß ich nicht. Mindestens ein Dutzend. Jack Halbert und Jonny Covers sind verwundet. Auch Maxwell hat was abgekriegt.«
Der Ingenieur kroch vorwärts und fand die Verwundeten bei den Gerätekisten.
»Damned!« fluchte er und blickte auf die große Wunde in der Schulter des kleinen Arbeiters Jonny Covers. »Wo ist der Verbandskasten, Gennan!« rief er dem Bestman zu.
»Oben bei dem kleinen Wagen!«
Boswell wischte sich übers Gesicht.
Der kleine Wagen stand am weitesten vorgeschoben auf dem Hügelkamm. Es war unmöglich, ihn bei dieser Schießerei zu erreichen. Kurz entschlossen zerriß der Ingenieur das graue Kattunhemd Covers’ und legte ihm nicht sehr geschickt einen Verband an.
Drüben hinter einem Stein lag Halbert. Er stöhnte laut.
Boswell robbte über den Boden.
Jetzt näherte er sich einer Stelle, die von drüben eingesehen werden konnte.
Und schon klatschten zwei Kugeln auf den felsigen Boden, heulten jaulend als Querschläger davon.
Boswell preßte den Kopf an die Erde. Er ballte die Fäuste und fluchte vor Verzweiflung.
Dann sprang er hoch und rannte vorwärts.
Ein Gewehrschuß heulte auf.
Boswell verspürte einen harten Schlag im linken Oberarm, rannte aber mit Todesverachtung weiter.
Noch zwei Kugeln klatschten hinter ihm aufs Gestein.
Dann hatte der Ingenieur die Stelle erreicht, an der Halbert lag.
Mit schreckgeweiteten Augen starrte Boswell in das blutüberströmte Gesicht des hageren blonden Mannes. Er dachte einen Sekundenbruchteil daran, daß Halbert eigentlich die Reise nach New Mexico nicht hatte mitmachen wollen, weil er heiraten wollte. Der Ingenieur hatte ihn aber überredet. Und jetzt lag der arme Bursche da, mit zerschundenem Gesicht, ächzend und stöhnend.
Boswell krich zu ihm heran, riß die Wasserflasche vom Leibgurt und goß dem Verwundeten das lauwarme Naß übers Gesicht.
»Hilfe!« stöhnte der Arbeiter.
»Yeah – ich muß erst sehen, wo du verletzt bist!« stieß der Ingenieur heiser hervor.
Da sah er, daß Halbert quer übers Gesicht eine tiefrote breitklaffende Wunde hatte.
Boswell kniete tief am Boden neben ihm und starrte auf sein Gesicht. »Jack…« Er krampfte seine Hände in die Schultern des Arbeiters. »Warte, Jack…, ich bringe dich zurück…«
»Nein, Boß, lassen Sie mich nur liegen. Ich bin fertig… Diese verdammten Schweine… Schießen Sie doch…«
Völlig verzweifelt blickte Boswell sich um.
Da drüben stand der kleine Wagen mit den Medikamenten. Fünfundzwanzig Yards entfernt. Ganz allein. So unerreichbar allein, daß der Californier in wildem Grimm das Gesicht verzerrte.
Dann sprang er auf und hetzte vorwärts.
Der Bestman starrte ihm nach und schrie: »Boß!