Er setzte sich an den Schreibtisch und überdachte seine wenig beneidenswerte Lage.
Plötzlich zuckte Kid unmerklich zusammen.
Ein sonderbares Geräusch war an sein Ohr gedrungen. Ein Geräusch, das er genau kannte.
Es war das Hufgetrappel einer Menge Pferde. Und plötzlich mußte der Bursche an den 16. März denken. An den Tag, da Mannen Clements mit mehr als fünfzig Reitern in die Stadt gekommen war.
Da wurde die Tür aufgestoßen. Die hohe, schwere Gestalt Doc Crofts füllte ihren Rahmen. »Sie kommen.«
»Ich weiß, Doc!«
Der Arzt blickte auf die Büchse. »Was hast du vor?«
»Ich werde hinausgehen.«
»Nichts wirst du.«
»Doc –« Kid versuchte ein Lachen. »Ich muß hinaus!«
Der Arzt herrschte ihn an: »Du mußt gar nichts! Es sind mehr als fünfzig Mann. Und ich habe die Pferde der ClementsBrothers an der Spitze gesehen. Mannen wird dich durchlöchern wie ein Sieb.«
Kid sah den Arzt starr an. Dann antwortete er hart: »Ich muß hinaus, Doc. Ich habe keine andere Wahl.«
Das Geräusch von der Straße her wurde jetzt deutlicher.
Kid zwängte sich an Croft vorbei.
Mit einem brummenden Laut rannte der Arzt zum Gewehrständer. »Dann warte, du verdammter Ochse!«
Kid blickte sich verwundert um. »Doc, was haben Sie vor?«
»Ich komme mit!«
Der Arzt riß eine Winchester aus dem Ständer, lud sie durch und kam zur Tür. »Niemand soll sagen, daß ich den kleinen Marshal allein hätte sterben lassen!«
Kid blickte ihn mit runden Augen an. Dann reichte er ihm ergriffen die Hand. »Doc – ich danke Ihnen.«
»Los, gehen wir!«
Da sprang die Tür auf, der Reverend schoß mit einem Sprung herein, schlug die Tür zu, schloß sie hinter sich ab und ließ den Schlüssel in seiner Tasche verschwinden.
»Sind Sie verrückt?« fauchte der Arzt ihn an.
Und dann starrten Kid und der Doktor fassungslos auf den Geistlichen. Er hatte plötzlich einen Colt in der Hand.
»Stehenbleiben! Sie kommen nicht heraus!«
Kid war wie gelähmt vor Schreck.
»Rev – was soll der Unsinn? Lassen Sie uns raus!« polterte Doc Croft.
»Nein! Sie bleiben hier. Sie haben keine Chance gegen die Horde. Und Wichita braucht einen so tüchtigen Arzt wie Sie, und es braucht auch einen mutigen Marshal!«
»Voran!« drängte Kid.
Da spannte der Rev den Hahn.
Der Arzt hielt Kid zurück. »He, er macht ernst! Er muß übergeschnappt sein! Rev – Sie wollen doch nicht im Ernst auf uns feuern?«
»Doch«, versetzte der Geistliche ruhig. »Um Ihr Leben zu retten, schieße ich notfalls in Ihre Beine…«
Der Arzt ließ den Kolben der Winchester hart auf die Dielen aufstoßen. »Hol’s der Kuckuck!«
Das Hufgetrappel war bedrohlich nähergekommen.
Ruhig blieb der Geistliche mit dem Colt vor den beiden stehen.
»Sie werden das Office stürmen!« stieß Kid verzweifelt hervor. »Lassen Sie uns raus, Rev. Das ist doch Wahnsinn!«
»Eine Bande von wilden Kuhtreibern reitet in die Stadt«, knurrte der Arzt, »und der Reverend hindert den Marshal und seinen Helfer an der Verteidigung! Fare well, Wichita! Wenn ich versehentlich doch noch älter werden sollte, schreibe ich das für die Nachwelt auf. Das Dumme ist nur, daß einem das dann kein Mensch glaubt!« Er sah die angerauchte Zigarre Kids im Aschenbecher liegen und nahm sie auf. »Ist die etwa von dem Strolch da?« Er deutete auf den Gefangenen.
Kid schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe sie aus Wyatts Lade genommen.«
Der Arzt steckte sie zwischen die Lippen und brummte: »Nichts für dich!« Er paffte eine gewaltige Rauchwolke vor sich hin, die für eine Weile seinen mächtigen Schädel unsichtbar machte.
Indessen war die Bande der Texaner herangekommen.
Clements hob fünf Yards vor dem Haus, in dem das Office lag, die Hand.
Der Trupp hielt schweigend an.
Clements stieg diesmal nicht vom Pferd. Er blickte zum Office hinüber.
»Scheint leer zu sein, der Laden«, rief er mit einem verächtlichen Grinsen. Dann wies er mit dem ausgestreckten Arm auf das Office: »Los, Gyp, Joe und Clint Honkey, seht nach! Und macht kurzen Prozeß! Ich habe keine Lust zu Katz- und Maus-Spielen!«
Seine beiden Brüder und der grobknochige, riesige Clint Honkey rutschten aus den Sätteln und nahmen die Revolver in die Fäuste.
Sie setzten sich auf das Office zu in Bewegung.
Drei schnelle Schüsse Giyps zerrissen die Fensterscheibe.
Da wurde die Tür geöffnet, und der Reverend trat heraus.
Verdutzt hielten die Banditen inne.
Clements lachte bellend auf: »Kommt, Boys! Wenn der da drin steckt, dann ist kein Mann mehr drin, der gefährlich ist! Los, rüber zu Coster!«
Doc Croft hatte die Winchester schon hochgenommen und die Rechte um das Schloß gespannt.
Kid war blaß geworden; aber er war dem Beispiel des Arztes gefolgt und hatte die Schrotflinte in den Anschlag genommen.
Der Geistliche ließ sich erschöpft auf einen Stuhl nieder.
Croft und Kid blickten durch die zersplitterte Scheibe auf die Straße.
Die Banditen waren von den Pferden gestiegen und stürzten grölend den Vorbau hinauf.
Mannen hielt sich mit der Hand an einem Pfosten fest und brüllte: »Halt! Der Rest geht hinüber zu Porter! Ich komme später auch da hin.«
Die Bande gehorchte ihrem Führer willig.
Croft maulte: »Sieh sich das einer an! In einer Stunde sind sie voll wie tausend Mann. Und dann ist die Stadt erledigt.«
Kid schwieg.
»Was können wir tun?« fragte der Rev.
»Wir müssen raus. Und zwar so schnell wie möglich. Die Leute verlassen am besten die Häuser!«
»Was denn?« begehrte Kid auf. »Ganz Wichita soll geräumt werden?«
»Nach Möglichkeit ja, wenn die Horde betrunken ist, ist sie zu allem imstande!«
Der Doc rannte los, durch die Hintertür verschwand er über den Hof in die Nebengasse. Und bald hatte er Männer und Burschen aufgetrieben, die die Leute informierten.
Wie ein Lauffeuer flog die Botschaft durch die Stadt. Von Haus zu Haus. Und binnen einer Stunde waren die Straßen voller Menschen. Alles floh aus der Stadt. Was nur gehen und laufen konnte, hatte sich auf den Weg gemacht.
Draußen auf der Weide verloren sich die Menschen schnell. Und doch bot es oben von der East Street aus ein sonderbares Bild, wie Hunderte von Menschen ostwärts über die Hügel zogen.
Da die Banditen ziemlich konzentriert in der Mainstreet hockten, hatten sie die Massenflucht der Bewohner nicht bemerkt.
Als Mannen Clements anderthalb Stunden später den Saloon Wynn Porters verließ, wo man sich reichlich und freizügig mit vorhandenen Getränken beschert hatte, blickte er auf die leere Straße.
Gyp stand neben ihm. »He, sieht das komisch