Wohl niemand in der Stadt ahnte, daß dieser Mann einmal einen fast ebenso großen Namen in der Geschichte des Westens haben sollte wie der Marshal Wyatt Earp. Daß sein Weg den des Marshals noch oftmals kreuzen würde, ja, daß eine sonderbare, stumme Freundschaft die beiden Männer über ein volles Jahrzehnt miteinander verbinden sollte.
Wyatt würde es entrüstet von sich gewiesen haben, wenn man ihm jetzt gesagt hätte, daß er mit diesem kaltblütigsten Schießer ganz Amerikas einmal zusammenkommen sollte, ja, daß er ihn sieben Jahre später einmal in der Morgenfrühe eines bösen Tages aus dem Bett holen sollte, um ihn um seine Hilfe zu bitten.
Dieser Mann, der jetzt in Wyatts Leben treten sollte, hatte zwei Eigenschaften, die selbst der kritische Bat Masterson zu würdigen wußte: Er war der unheimlichste Schütze, der je im Westen eine Sixgun, einen der schweren sechsschüssigen Revolver, geführt hatte. Und er war von einer geradezu fatalen Furchtlosigkeit.
Unten im Gästebuch hatte sich dieser Mann sehr schlicht mit J. Holliday eingetragen.
Niemand hatte auf diesen Namen geachtet. Und es war ja auch noch gar kein Name. Der Stern oder auch Unstern seines Trägers, des wirklich studierten Doktors John H. Holliday, war erst im Aufgehen. Irgendein eigenartiger, unberechenbarer Südwind hatte ihn von Texas ausgerechnet in dieser Stunde und an diesem Tag hier heraufgeweht. Der große Abenteurer, der einmal als Doc Holliday zusammen mit jenem Mann, der ganz das Gegenteil von ihm war, mit Wyatt Earp, in die Geschichte der USA eingehen sollte.
Jetzt stand er oben am Fenster und blickte mit harten, kalten Augen auf die Straße hinunter.
Genau dahin, wo der machthungrige Texas-Cowboy Mannen Clements soeben haltgemacht hatte.
*
Wyatt ging langsam die Vorbautreppe hinunter und blieb mitten auf der Straße stehen.
Genau in diesem Augenblick hielt Clements mit seinen Männern an.
Wyatt blickte ihm kühl und gelassen entgegen.
Es gab wohl kein Fenster in der Umgebung, durch das nicht wenigstens ein Augenpaar gebannt auf den Marshal starrte.
Jetzt war es aus. Wie sollte er jetzt noch entkommen? Mannen Clements würde ihn abknallen, ganz kaltblütig.
Die Rattenaugen des Banditen flogen mit einem schnellen, huschenden Blick über die aufrechte Gestalt des Marshals.
Es war totenstill in der Straße.
Clements hatte die Parker-Flinte in der Rechten. Der Lauf zeigte nach unten; aber die Faust des Treibers spannte sich um das Schloß. Der Zeigefinger lag am Abzug.
Der Hahn war gespannt.
Wyatt hatte es mit einem Blick gesehen.
Sein Blick war nur kurz über die Gestalt des Texaners geglitten, wanderte dann rasch weiter über die Männer, die noch auf ihren Pferden saßen.
Noch immer sprach niemand. Die Stille schnitt in die Nerven.
Die Augen Doc Hollidays bohrten sich von oben in das eiskalte Gesicht des Marshals. Ein leises, bewunderndes Lächeln zuckte um die Lippen des Arztes. Dann flog sein Blick wieder hinüber zu der weniger eindrucksvollen Gestalt des Kuhtreibers, der ein halbes Hundert Männer im Rücken hatte. In diesem Augenblick nahm Doc Holliday mit einem schnellen Griff seinen Colt aus der Tasche, schob geräuschlos das Fenster hoch und wartete ab.
Was auch immer da unten geschehen wäre: Mannen Clements wäre nicht dazu gekommen, seinen Sieg zu feiern…
Aber es kam alles ganz, ganz anders.
Yeah – der Marshal hatte keine Chance.
Was für eine Chance hat der beste Mann gegen mehr als fünfzig Gegner?
Keine.
Das ist zweifellos richtig.
Und dieser Wyatt Earp hatte doch eine. Jedenfalls hatte dieser sonderbare Mann sich eine errechnet. Es war vielleicht nur der Gedanke einer Chance.
Er war eben doch ein Besonderer, ein ganz Einmaliger, dieser Mann aus Missouri.
Ganz plötzlich ging er vorwärts.
Mannen Clements zuckte unmerklich zusammen. »Bleib stehen, Earp!«
Wyatt ging weiter.
»Du sollst stehenbleiben!« brüllte der Bandit.
Wyatt ging weiter.
Da riß der Treiber den Lauf seiner Büchse hoch und richtete ihn auf die Brust des Marshals.
Der ging weiter.
Vielleicht sahen nur Wyatt Earp und Doc Holliday, daß die Rechte des Bandenführers zu zittern begann.
Mit lähmender Kälte haftete der Blick des Marshals auf dem Gesicht des Treibers.
»Halt!« schrie Clements im höchsten Diskant.
Der Laut schnitt in die Nerven der Männer.
Da aber war der Marshal schon vor ihm. Er hob ruhig die Linke, schob den Gewehrlauf beiseite, legte die Rechte schwer auf die Schulter des Treibers und sagte mit seiner metallischen Stimme: »Mannen Clements, Sie sind verhaftet!«
Ehe noch irgend jemand irgend etwas hätte tun können, nahm Wyatt den völlig Überrumpelten am Arm und schob ihn vorwärts.
Mannen Clements kam erst zu sich, als er in der Zelle stand und das schwere Schloß der Gittertür hinter ihm zuschnappte.
Wyatt stand vor dem Gitter und hatte die Flinte des Texaners in der Hand. Er reichte sie Hal West. »Leg den Schießprügel in die Kammer nebenan.«
Dann ging er wieder hinaus.
Hier herrschte noch das Eis der Erstarrung.
Niemand rührte sich.
Wyatt blieb mitten auf der Straße stehen.
Plötzlich zuckte seine Linke gedankenschnell zur Seite.
Der schwere, langläufige Buntline-Revolver blinkte in seiner Faust.
Das war die Sekunde, in der der Mann oben in dem Logierzimmer von Wynn Porters Saloon schmunzelnd seinen Colt ins Halfter zurückgleiten ließ.
Wyatt musterte die Reiter kühl und eindringlich.
Jeder sah, daß die Mündung seines Revolvers ständig eine winzige Bewegung machte, von rechts nach links – und dann wieder von links nach rechts. Niemand wußte, wohin er zielte.
»Männer!« hallte Wyatts laute Stimme über die Straße. »Das Tragen von Waffen in der Stadt ist verboten. Ich habe es gestern erklärt. Ihr habt es anscheinend schon vergessen. Wer also noch in der Stadt bleiben will, der liefert jetzt seine Waffen ab. Wer das nicht tut, verläßt die Stadt augenblicklich.«
In dieser Minute hatte der Hilfs-Marshal Wyatt Earp die Treibherdenstadt Wichita bezwungen.
Doc Holliday nahm ein flaches silbernes Etui aus der Tasche und zog eine zierliche Zigarette daraus hervor. Er zündete sie an und sog den Rauch tief in die Lungen ein.
Der alte Doktor Croft war der erste, der auf die Straße stürmte. Er warf seine Arme hoch und brüllte: »Bravo! Bravo! Es lebe Wyatt Earp!«
Dann kam Richter Eddie Jewett, der sonst so steife und würdige Jewett; er stürmte aus seinem Haus neben dem Marshal-Office und lief auf Wyatt zu. Herzlich drückte er ihm die Hand. »Wyatt, das wird Wichita Ihnen nie, nie vergessen!«
Aus allen Häusern kamen jetzt die verängstigten Menschen heraus, atmeten auf und stürmten mit glänzenden Augen ins Marshal-Office.
Aber Wyatt hatte sich schon durch den Hinterausgang verkrochen.
Wenn er etwas nicht über sich ergehen lassen konnte, dann war es Dank…
*
Yeah – Freunde. Er hatte Wichita den Frieden wiedergegeben, der Hilfs-Marshal