PLÖTZLICH ZAUBERER. Scott Meyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Scott Meyer
Издательство: Bookwire
Серия: Magic 2.0
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351554
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um den Akkustand handelte, indem er die Datei mit der App verglich. Dann spielte er fünf Minuten lang ein Spiel, das besonders viel Akkuleistung verbrauchte. Danach überprüfte er den Akkustand erneut und war nun sicher, dass er tatsächlich das richtige Feld gefunden hatte. Er stellte die experimentelle App so ein, dass sie im Hintergrund lief und den Akkustand alle zehn Sekunden auf einhundert Prozent zurücksetzte. Dann spielte er das Spiel weitere fünf Minuten. Danach war der Akku immer noch voll.

      Eine Stunde lang hieß es jetzt suchen und Copy&Paste. Doch dann hatte er sein Handy so modifiziert, dass immer genau dreiundsiebzig Prozent der Akkuleistung verblieben (einhundert Prozent hätte nämlich verdächtig ausgesehen). Nun würde es ihm endlich erspart bleiben, einen Haufen Ersatzakkus wie Chewbacca in einem Patronengurt mit sich herumzuschleppen.

      Außerdem brachte er sein Handy dazu, immer aus einem Gebiet zu senden, das von drei separaten Mobilfunkmasten und zwei Stromverteilern abgedeckt wurde, egal, wo das Handy sich tatsächlich befand. Dieser Gedanke war ein intuitiver Sprung, aber Martin verstand jetzt, dass die Funkwellen, die vom Handy produziert wurden, genau so unecht waren wie alles andere. Darum konnten auch sie manipuliert werden. Und wenn er konkretisieren könnte, woher das Signal kam, könnte er auch festlegen, wann es gesendet wurde. Im Grunde genommen war die Zeit also nur eine weitere Zahl in der Datei.

      Er hatte immer noch große Schwierigkeiten damit, die Umstände einer Reise durch die Zeit vernünftig zu beurteilen. Im kalten Licht des Tages wurde ihm klar, dass es unglaublich leichtsinnig von ihm gewesen war, das Reisen durch die Zeit auch nur zu versuchen. Außerdem hatte er unglaublich viel Glück gehabt. Theoretisch würden nämlich stets zwei Kopien von ihm zur selben Zeit in der Datei auftauchen, wenn er zurückging. Man müsste annehmen, dass es dadurch zu einer Art Fehlermeldung kommen würde, was natürlich sehr ungünstig wäre. Zum Glück war dies aber nicht passiert. Martin schloss daraus, dass es irgendwo ein Programm gab, das auf die Datei zugriff und sie nutzte, um die Welt zu rendern. Jeder Moment, den er augenblicklich durchlebte, war exakt ebenso weit entwickelt wie dieses theoretische Programm.

      Was Reisen in die weiter zurückliegende Vergangenheit anbelangte, waren diese, wenn die Wirklichkeit tatsächlich ein Computerprogramm war, schon immer möglich gewesen. Das bedeutete, dass die Datei schon immer existiert hat. Es war seltsam, sich vorzustellen, dass die Datei älter war als die Erfindung der Computer, aber sie war ja auch älter als die menschliche Erfindung von Computern. Wer oder was auch immer die Datei erschaffen hatte, hatte Computer bereits erfunden, lange bevor das Programm, das Martin jetzt erlebte, geschrieben worden war.

      Wenn die Datei schon immer existiert hatte, dann hatte alles, was in der Datei stand, in gewissem Sinne ebenfalls schon immer existiert. Also war der einzige Grund, warum Martin nicht die gesamte Geschichte durchlebt hatte, der, dass das Programm keinen Grund sah, ihn dorthin zu rendern. Nun aber wusste Martin, wie er ihm diesen Grund geben konnte.

      Er konnte nichts über die Existenz des Dateispeicherortes hinaus beweisen, aber das war auch nicht wichtig. Zum millionsten Mal dankte er sich selbst dafür, dass er gelernt hatte, Computer zu programmieren.

      Als das Wochenende vorbei war, befand er die App als vorerst praktikabel.

      Die App hatte nun drei Reiter. Auf dem ersten Reiter war ein Dollarzeichen. Es zeigte ihm seinen Kontostand an und erlaubte ihm, diesen schnell zu ändern. Die App machte die notwendigen Änderungen in der Datei automatisch.

      Das Symbol des zweiten Reiters war ein Kompass. Er nutzte die Programmierschnittstelle eines beliebten Kartenprogramms, um eine Satellitenkarte der Erde darzustellen. Dort konnte er hineinzoomen, um sich ein Gebiet anzusehen und eine Stelle auszuwählen. Die App würde die Koordinaten und den Höhenmeter in die Datei eingeben. Nur einen Herzschlag später würde er dann vor Ort sein. Es gab auch ein Dialogfeld, in das er ein Datum und eine Uhrzeit eintragen konnte. Wenn er das Datum und die Uhrzeit nicht präzisierte, hielt ihn die App in der Gegenwart fest. Es gab auch eine Taste, die ihn dorthin zurückbrachte, wo und wann auch immer er bei seiner letzten Zeitreise gewesen war. Und eine Taste, mit der man alles wieder rückgängig machen konnte, wenn man es wollte. Praktisch, wenn er sich mal irgendwo wiederfand, wo er nicht sein wollte. Der Reiter zeigte ihm auch eine Liste mit den Orten an, zu denen sich Martin bereits teleportiert hatte. Bestimmte Orte und Zeiten konnte er nun auch als Favoriten markieren, damit er sie einfacher wiederfinden konnte.

      Der dritte Reiter war mit ?! bezeichnet. Dieser hatte drei Tasten. Der Zweck der ersten Taste war es, Menschen zu beweisen, dass er tatsächlich die Macht hatte, die er nun besaß. Wenn er sie betätigte, würde die App knapp einen Meter zu seinem Höhenmeter hinzufügen. Die Taste war mit Schweben bezeichnet. Er hatte allerdings noch keinen Weg gefunden, seinen Höhenmeter so zu modifizieren, dass er auf dem geänderten Wert bleiben konnte. Darum würde die App stattdessen immer wieder etwa zehn Mal pro Sekunde den neuen Höhenmeter angeben. Dadurch würde er so lange in der Luft bleiben, bis er erneut auf die Taste drückte. Er hatte es ausprobiert, und die Erfahrung war ehrlich gesagt sehr unangenehm gewesen, aber nichts, womit er nicht umgehen konnte.

      Auf der zweiten Taste stand Zuhause. Ein Tastendruck würde ihn wieder zurück in sein Apartment bringen. Die dritte Taste war leuchtend rot und darauf stand Flucht. Darüber hatte er sich einige Gedanken gemacht.

      Martin war sich sicher, dass nichts, das er tat, unmoralisch war. Denn er hatte schließlich niemanden verletzt. Er hatte nur sich selbst geholfen. Außerdem war er ziemlich sicher, dass nichts, was er getan hatte, wirklich illegal war. Wer machte schon Gesetze darüber, ob man Raum und Zeit nach seinem eigenen Willen beugen durfte? Aber er war sich auch sicher, dass er in große Schwierigkeiten geraten würde, sobald jemand herausfand, was er hier tat. Wenn er Glück hatte, würden sie ihn vielleicht einfach nur ins Gefängnis werfen und seine Entdeckung für sich behalten. Wenn er Pech hatte, würde man ihn allerdings als Außerirdischen bezeichnen und dann sezieren. Er wusste, dass er einen Fluchtplan brauchte, wenn irgendetwas schiefgehen sollte. Er versuchte, an einen Ort zu denken, an den er verschwinden und wo ihn keine Regierung oder Konzerne finden würden. Er wusste, dass das heutzutage ein echtes Problem war, aber er wusste auch, dass genau darin die Antwort lag. Heutzutage. Er könnte in die Vergangenheit fliehen und niemand, der heute lebte, würde dort an ihn herankommen können.

      Martin war klar, dass die Dinge, die er mithilfe der Datei tun konnte, für jeden, der es miterlebte, wie Magie aussehen mussten. Wenn er also in die Vergangenheit flüchtete, dann musste es eine Zeit sein, in der man an die Existenz von Magie glaubte. Auf diese Weise würden die Menschen hoffentlich anstelle von: »Magie! Das muss ein Trick sein! Lasst ihn uns zusammenschlagen, bis er uns das Geheimnis erzählt«, brüllen: »Magie! Ich habe davon gehört! Allerdings habe ich es nie selbst gesehen!« Der Trick bestand darin, eine Zeit zu finden, in der der nächste Satz nicht lautete: »Lasst ihn uns verbrennen!«

      Er versuchte, an die beispielhafte Geschichte eines Zauberers zu denken, der verehrt worden war. Die einzigen Namen, die ihm einfielen, waren Houdini und Merlin. Houdini war gestorben, nachdem ihn ein Fan in den Bauch geschlagen hatte. Das schien ihm nicht sehr vielversprechend. Merlin war der Zauberer von König Artus gewesen und wahrscheinlich frei erfunden. Selbst wenn eine reale Person Basis dieser Geschichte gewesen war, so hatte diese mit Sicherheit keine magischen Kräfte besessen. Merlin war wahrscheinlich nur ein Schamane gewesen, gut darin, mysteriös zu wirken. Er hatte daraus insofern Kapital geschlagen, als dass er ein Leben mit einem gewissen Ansehen geführt hatte und zu einer Legende geworden war, die bis heute andauerte. Das würde reichen, dachte sich Martin.

      Bestimmt war das Leben im Mittelalter nicht sonderlich angenehm, aber es zwang ihn ja niemand, für immer dortzubleiben. Es schien einfach nur ein sicherer Ort zu sein, zu dem er im Notfall flüchten und sich entspannen konnte. Wenn es sich als Albtraum herausstellen sollte, konnte er immer noch so lange in der Zeit weitergehen, bis er einen Ort fand, der ihm mehr zusagte.

      Martin forschte ein wenig nach. Sehr wenig. Denn er erwartete nicht, dass er die Fluchttaste je nutzen müsste. Die Möglichkeit wollte er sich eben nur offenhalten. Zunächst hatte er kurz die Idee gehabt, selbst zu versuchen, Merlin zu werden. Irgendjemand muss es ja tun, dachte er. Diese Idee starb aber schmählich innerhalb der ersten paar Minuten seiner Nachforschungen. Denn niemand wusste genau, wann, wo, wie lange oder ob Merlin überhaupt je gelebt hatte. Das Einzige, worin alle