Ich weiß nicht, ob mein Bruder jemals versucht hat, bildnerisch auf die Gefährtin seines Lebens einzuwirken, jedenfalls gab er es in Bälde auf. Auch Florenz mit allen seinen Schätzen hatte ihr nichts zu bieten, als dass sie ihren Geschmack für künstlerische Ausstattung von Innenräumen entwickelte und sich mit brennendem Ehrgeiz darauf warf, es auf diesem Punkt den Künstlerhäusern, vorab dem Hildebrandschen, gleichzutun. Aber als die Tische auf Löwenfüßen standen und die Wände eine edle Stoffbespannung trugen, blieb doch das alles kalt und tot, und die arme Seele konnte nur in immer neuem Umstellen und Umgestalten ihrer Sachen einiges Genüge finden. Auch dass sie Mutter eines schönen begabten Mädelchens war, half ihr nicht tiefere Wurzeln schlagen, gab ihr aber große Macht über das zärtliche Vaterherz. Es war rührend, wie der alte Egozentriker und geborene Junggeselle sich bemühte, ein guter Gatte und Vater zu sein. Er sparte, ging wieder zu Fuß oder benützte ein Fahrrad und schränkte seine persönlichen Bedürfnisse ein, um seinen Lieben alle Wünsche zu gewähren. Aber kein Funke sprang ihm entgegen. Was half es nun, dass er »selber Seele genung« hatte, wenn er in der Teilhaberin seines Lebens keine erwecken konnte. Es schnitt allen, die ihn liebten, ins Herz, dass der hochfliegende Geist an diese Luftschicht gebunden war. Aber lebte er wirklich in dieser Luftschicht? Bei Tische saßen sich die beiden stumm gegenüber, weil er in sein Merkbuch wissenschaftliche Eintragungen machte. Sonst verbrachte er den Tag in seinem Beruf. Was ihm die Ehe versagte, fand er nach wie vor bei der Freundschaft: der italienische Kollege brachte ihm all das Eingehen und die wärmende Aufmerksamkeit entgegen, die dem Liebebedürftigen in seinem eigenen Hausstand mangelten. Ein kleines Begebnis aus der Poliambulanz, der gemeinsamen Gründung der beiden Ärzte, ist für diese ständige Fürsorge so bezeichnend, dass es hier als heiteres Zwischenspiel unter all den Trübnissen seinen Platz finden möge. Eines Tages, als Edgar sich zu einer verantwortungsvollen Operation anschickte, wurde auf der Piazza Santa Trinita gerade unter den Fenstern der Poliambulanz ein Wagen voll schwerer Steine abgeladen, und eine Anzahl städtischer Arbeiter schickte sich an, das Pflaster aufzureißen. Dem nervösen Edgar traten die Augen aus dem Kopf. Aber Vanzetti meinte: Das wollen wir gleich haben, stieg die Treppe hinunter und rief: Was macht ihr denn da, Leute, wozu der Lärm? Die Arbeiter entschuldigten sich, sie seien vom Municipium geschickt, um das Pflaster zu erneuern. Aber doch nicht hier, antwortete Vanzetti, ihr seid im Irrtum. In der Via Fiesolana, Nummer soundso (er nannte eine der abgelegensten), da seid ihr erwartet. Die Arbeiter ließen sich überzeugen, luden ihre Steine wieder auf und zogen unter vielen Entschuldigungen wegen der Störung ab. Bevor die Gefoppten zurück sein konnten, war die Operation fertig, der Kranke verbunden und die ärztlichen Nerven beruhigt.
Ich besaß jetzt von meiner ganzen Gartenfront nur noch das ebenerdige kleine Doppelzimmer dem Granatbaum gegenüber. Dieses war zum Arbeiten nie sonderlich bequem gewesen; man musste den Schreibtisch an die Glastür rücken des Lichtes wegen, und dann wurde man vom Garten aus gesehen. Auch brach dort zu einer bestimmten Tageszeit in meine Stille das Donnergetös eines im Keller gerade unter mir befindlichen Pumpwerks, mittelst dessen das zum Haushalt nötige Wasser in ein großes Becken gepumpt wurde, denn eine Wasserleitung im Hause, das gab es zur Zeit in Florenz noch nicht. Dieses Pumpwerk hatte mich schon, während ich an dem »Heiligen Sebastian« schrieb, in die über dem Stall gelegene leere Kammer des unterdessen entlassenen Kutschers getrieben, die auf einer Leiter erstiegen werden musste und wenig mehr als ein Bretterverschlag war. Aber auch diese Kammer war mittlerweile in einen Umbau einbezogen worden, durch den der Schlafraum der jungen Frau in dem oberen Stockwerk erweitert wurde. Nichtsdestoweniger verfiel kindische Grausamkeit auf ein Mittel, mir auch das Doppelzimmerchen zu verleiden, indem sie sich während meiner Arbeitsstunden vor meine Glastür setzte und mit ihrer Dienstmagd laute Zwiesprache pflog. Mama zuliebe sah ich nochmals durch die Finger und verlegte meinen Schwerpunkt von der Gartenfront weg nach der Seitenfront des Hauses, die auf die enge, staubige, von Lärm dröhnende Arbeitsstraße ging. Aber das Misstrauen der kranken Seele gegen die heile, der Groll des ungeistigen Menschen gegen den geistigen war nicht einzuschläfern. Denn es glomm da ein von mütterlicher Seite ererbter wirrer Funke, der bei ihr lebenslang gebunden blieb und nur je und je als Verfolgungstrieb durchbrach, wobei sie sich ihrerseits für die Verfolgte hielt und, was anderen zuleide geschah, selber zu erleiden meinte. Er richtete sich auch nicht gegen mich allein, sondern gegen sämtliche Anverwandte ihres Mannes. Ich war nur als die räumlich Nächste und durch den leidigen Mitbesitz an das Haus Gebundene dem am meisten ausgesetzt. Zwar hatten sich ihre Eltern gleich zu Anfang erboten, mir meinen Hausanteil zurückzuzahlen, aber ich lehnte ab, um meinen Bruder nicht in Abhängigkeit von den neuen Verwandten zu bringen, die ihm innerlich so unverwandt waren. Auch lag mir daran, für Mama, die an dem Hause hing, die verbliebenen Räume vorerst noch zu erhalten. Sie sah es jetzt erst recht für ihr Mutteramt an, Edgar nahe zu sein, um ihm die mangelnde häusliche Wärme und Fürsorge zu ersetzen. Den ganzen Tag freute sie sich auf den Augenblick, wo er spät noch an ihr Bett kam, ihr Gute Nacht zu sagen; wenn nächtlicherweile die Klingel des Arztes ging, so stand sie heimlich mit auf und wartete in dem dunklen Garten seinen Aufbruch ab, als ob er ihr in den Krieg zöge. Und an den seltenen Morgen, wo er ausschlafen