Ich war ihr aber auch eine Vergütung schuldig, weil ein Mann von Geist und Persönlichkeit, der Namen und Stellung in der Welt besaß und das Mütterlein auf den Händen zu tragen versprach, seit längerer Zeit zart und standhaft um mich warb. Es war wieder einer der Fälle, wo sich ohne alles Besinnen ein so kategorisches Nein aus meinem Innern erhob, dass die sehr erheblichen weltlichen Vorteile gar keine Versuchung bedeuten konnten. Für sie war es ein Schmerz, denn sie verstand sich besonders gut mit diesem Manne, und ich zweifle nicht, dass er sein Wort gehalten und sie mit allen Aufmerksamkeiten umgeben hätte. Vor mir jedoch lagen andere Wege, steinigere, wie ich wohl wusste, aber solche, auf denen ich meine Flügel brauchen konnte; dieser allzu bequeme war nicht für mich. Zum Trost gereichte mir die Überzeugung, dass sie auch mit einem selbstgewählten Schwiegersohn nicht glücklich gewesen wäre; sie war allzusehr gewöhnt, mich allein zu haben, um die Ansprüche eines anderen an mich zu ertragen.
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Die Jahre am Poggio Imperiale gehörten zu den fruchtbarsten und darum schönsten meines Lebens. Die Umgebung konnte nicht glücklicher gefunden sein. Außerhalb der Porta Romana, seitlich von dem heraufführenden herrlichen Zypressenweg, der leider nach dem Krieg sehr zurückgegangen ist, lag völlig ins Grün der Felder eingebettet das ländliche Haus, wo ich nun für eine Reihe von Jahren die Lenze kommen und gehen, die ersten Veilchen aufblühen, den Rebstock weinen sah und tagelang das Geschrille der Zikaden von den Ölbäumen hörte. Dort in tiefer Geborgenheit konnte ich endlich nach Herzenslust arbeiten. Es brodelte wieder innerlich von embryonalen Gebilden, die bis zum halben Leib heraufstiegen, mich ansahen und, wenn ich sie nicht fassen konnte, wieder versanken, um anderen Platz zu machen. Mitunter war es nur eine Frage des Zufalls, welche schließlich durchdringen würden. Ich hatte unterdessen die kleinen »Contes« von Maupassant kennengelernt und bewundernd gesehen, mit welcher Leichtigkeit der Franzose die technischen Schwierigkeiten der Novelle meistert, dieser hohen Kunstform, die so wenig verstanden wird. Es war mir schon früher aufgegangen, dass die übliche gradlinige Erzählungsform in der dritten Person; wobei der Verfasser alles Verborgene weiß und also gewissermaßen um die Ecke sieht, für diese Gattung nur bei einfachen Verwicklungen und mäßiger Personenzahl günstig zur Anwendung kommt, weil andernfalls die geforderte Einheit leidet und die Novelle leicht in einen kleinen Roman ausarten kann. Unlängst hatte ich es erlebt, dass mir ein Lieblingsstoff über die Ufer trat und ich darum ein schon fortgeschrittenes Manuskript gänzlich verwerfen musste. Nun sah ich an Maupassants Beispiel, welche Möglichkeiten der Erzähler hat, seinen Stoff zu bewältigen, wenn er ihn in einen Rahmen spannt, der das Ausfließen verhindert und ihn zur verstärkten Wirkung zusammenfasst. Es war ja dieses Verfahren nicht neu: mit einer den Franzosen noch überbietenden Feinheit der Erfindung hatte es schon mein Vater in seiner »Blassen Apollonia« gehandhabt. Unbegreiflich, dass Heyse, den sie damals den Meister der Novelle nannten, die »Blasse Apollonia« tadeln zu müssen glaubte, weil ein tragisches Schicksal, das einen Romanband hätte füllen können, auf wenige Seiten ausgepresst war, als ob das nicht die höhere Kunstleistung wäre. Maupassant bildete diese Technik auf eine Weise aus, dass er die Rahmenform in unendlichen Abwandlungen gebrauchen konnte, sei’s auch gelegentlich nur als schmälste Umrandung, die ihm bloß die Verantwortung für das Erzählte auf einen erdichteten Dritten abladen oder es wenigstens aus der Härte unmittelbarster Nähe rücken muss. Es ist derselbe Vorteil, den der bekannte Herr »Ich« als Erzähler genießt, der auch nicht alles zu wissen braucht, was hinter seinem Rücken geschieht, wiewohl der eingeschobene Dritte sich meist durch seine Unverbindlichkeit besser empfiehlt. Es war seinerzeit noch halb instinktmäßig geschehen, dass ich in dem »Heiligen Sebastian« den Maler sein Schicksal in der Ichform erzählen ließ und dadurch der Vielfalt der Erscheinungen einen Damm setzte. Nach der Begegnung mit der Kunst Maupassants gab ich mir über die Stilbedeutung der Rahmenform genauere Rechenschaft. Dieser war denn auch der einzige zeitgenössische Erzähler, von dem ich mir bewusst bin, gelernt zu haben, nämlich das gelernt, was man immer von dem Formgefühl der Romanen lernen kann, das Handwerkliche – man darf ja wieder vom Handwerklichen reden, seitdem der Wahn, als müsse der Meister fertig vom Himmel fallen, durch die Entdeckung entkräftet ist, welch ein Übermaß planvoller Arbeit gar ein Genius wie Hölderlin an den Riesenwurf seiner geheimnisvollen späten Hymnen gewendet hat. – Um so leidiger waren mir die Nachahmer, die gar nicht mit der Aufbaukunst ihres französischen Vorbildes noch mit seiner feingeschliffenen, ins Herz der Dinge stoßenden Sprachmeisterschaft zu wetteifern suchten, sondern mit seinen heiklen Inhalten, die ohne seine Genialität nur schmutzig waren. Dass dieser große Künstler nur in den kleinen Ausschnitten aus dem Leben, im Raum der Satyre, groß ist, und dass es ihm für ein breiteres Weltbild am eigenen Menschentum gebrach, ging der Masse seiner Bewunderer gar nicht auf. In seinem kalten Glanz mussten auch die Geschöpfe seiner Einbildungskraft mit seinen so wundervoll gezeichneten Landschaften unverbunden bleiben, weil er aus allen Dingen und Wesen die Seele herausblies. Mir gab er durch sein Können eine starke Lust zur Novelle und den fiebernden Auftrieb, die empfangenen Anregungen im rein Formalen – in Verkürzungen und Überschneidungen – auszubauen und auf völlig andere Vorstellungswelten zu übertragen. Sobald ich es bei dem weggelegten Stoff mit der Rahmenform versuchte, war die Einheit da und die Erzählung gerettet. Ich gewann dabei noch den Vorteil, dass ich in einem Rahmengespräch zwischen Freunden wie in einer musikalischen Introduktion das Thema aufklingen lassen konnte. Und das war in diesem Falle besonders günstig, weil der springende Punkt der Geschichte – der Urtrieb des Weibes nach Mutterschaft als tragisches Verhängnis – noch gar nicht in der Literatur eingeführt war: Den »Ruf nach dem Kinde« hatte man um jene Zeit noch nicht vernommen. Kein Wunder, denn der Sprecher für die Frauenseele war in der Dichtung bislang der Mann gewesen, und dieser hatte von je die Frau nur als Liebhaberin gekannt, schrieb ihr demnach nur das Verlangen nach dem Manne, nicht das tiefere nach dem Kinde zu. »Unsere Carlotta« befremdete