Höchst eigen und rührend war die Stellung meines guten Mütterleins zu den Geschöpfen meiner Einbildungskraft: sie nahm sie ganz und gar in ihr Herz und verkehrte mit ihnen wie mit lebenden Familiengliedern. So oft sie durch die Via della Vigna nuova ging, sah sie auf der Loggia dei Rucellai, die ihr wie in meiner Erzählung mit gelben Schlingröschen gleich denen unseres Gartens umrankt schien, die schöne Tochter des Hauses stehen, ihren Ritter vom Nordland erwartend. Ebenso zärtlich liebte sie den schönen jungen Kardinal Orsini aus dem »Heiligen Sebastian«, für den ich mir einzelne Züge von dem historischen Kardinal Ippolito de’ Medici lieh, den ich später in den »Nächten von Fondi« selber darstellte. So sehr liebte sie diese erfundenen Personen, dass sie sogar in ihre Seele hinein eifersüchtig wurde auf etwaige Nachfolger, die ihnen den Rang streitig machen könnten, und ungern die Bewerbungen verschiedener Verlage um ein neues Buch aus dem gleichen Stoffgebiet sah. Auch mir selber lag es gänzlich ferne, diesen Wünschen Rechnung zu tragen, denn ich wusste wohl, dass ich auf diese Weise zwar buchhändlerisch aber nicht künstlerisch weiterkommen konnte. Vielleicht war es doch eine Welle der Zeitströmung, die mich so weit streifte, dass ich mich gedrungen fühlte, meine nächsten Stoffe unter den Lebenden, den kleinen Leuten zu suchen, aus deren Mund der Naturlaut vernehmlicher klang als aus dem der Gebildeten. So entstand nach und nach der Band »Italienische Erzählungen«, der erst fünf Jahre später erschien als sein Vorgänger, zwar im gleichen Göschenschen Verlag aber nicht bei dem gleichen Verleger, da der seitherige Inhaber überraschend weggestorben war.
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Dass die »Florentiner Novellen« nicht meine Erstlinge im Buchhandel waren, ist schon gesagt worden: die »Gedichte«gingen ihnen im Erscheinen um ein Jahr, im Entstehen um mehrere Jahre voran – man fertigte damals Bücher nicht mit so wirbelnder Schnelligkeit wie heute. Wenn je die oft von jungen Lyrikern abgegebene Versicherung, ihr Buch sei auf dringenden Wunsch der Freunde gedruckt worden, zutraf, so war es hier der Fall. Meiner Natur widerstrebte die Herausgabe. Nicht nur von dem Hildebrandschen Kreise in Florenz, auch von den mir in Stuttgart und München lebenden Freunden, die ab und zu ein Stück davon zu Gesicht bekommen hatten, wurde mir lebhaft zugesprochen. Aber alles in mir sagte nein; ich brachte es nicht einmal über mich, die Gedichte für die schwarze Hand des Setzers abzuschreiben. Die verwöhnte Frau Mary Fiedler übernahm das Geschäft und schrieb den ganzen späteren Band Stück für Stück mit flüssiger Hand auf Büttenpapier. Es fehlte aber viel, dass er gleich das Licht der Öffentlichkeit hätte erblicken können, es fehlte nichts Geringeres als der Verleger. Wie lange es noch gedauert hat und an wie viel Türen die Freunde geklopft haben, weiß ich nicht mehr, bis es zuletzt doch Adolf Kröner war, der die »Gedichte« zur Betreuung übernahm. Die erste Auflage erschien jedoch nicht unter seinem Namen, sondern unter dem einer Schweizer Firma. Das kam davon, dass sich ein schwarzes Schaf unter der Herde befand, mit dem man sich nicht gerne sehen ließ, das man aber ebensowenig ausstoßen konnte, weil es eine zu erlauchte Gönnerschaft besaß. Ich meine das »Weltgericht«, das mir einmal während einer mehrtägigen Bindehautentzündung, als ich am Lesen und Schreiben verhindert war und mich genötigt sah, mit einem grünen Augenschild einherzugehen, ganz ungerufen in den Schoß fiel. Absichtslos, ohne Plan, von einem unschuldigen Mutwillen eingegeben, der sich’s erlaubt, auch einmal wie die mittelalterlichen Mysterien mit den drei höchsten Personen Scherz zu treiben, entstanden die drei Teile des Gedichts – im ersten der Schöpfungsentwurf Gott-Vaters, der durch die professorale Kritik des herbeigerufenen Satans so vergrämt und zornig wird, dass er den Klugschwätzer, von dem er sich außer seinen Denkfehlern schließlich noch den Mangel an Moral vorwerfen lassen muss, kopfüber aus dem Himmel schleudert, sich selber aber für immer von dem fehlgeschaffenen Werk abwendet, – im zweiten die heroische Liebestat des Sohnes, die gleichfalls an der Mangelhaftigkeit des Stoffes scheitert, – im dritten die Anstalten beider, nunmehr die ganze Missgeburt zu zertrümmern, worüber jedoch der Heilige Geist aus seinem Mittagsschläfchen erwacht, der ihnen mit Hegelscher Weisheit »Ich zeig es euch durch Logik fein, was ist, das muss vernünftig sein« ihr fragwürdiges Werk entschuldigt und sie zur Nachsicht mit seinen Mängeln bekehrt. Das Gedicht spann sich ohne mein Zutun ab, wie von der Sprache selber Vers für Vers vorangetragen, sodass ich am Ende über den Zusammenhang und die scheinbare Abgewogenheit des Ganzen mich selber wunderte. Es erregte im Freundeskreis stürmischen Beifall, ging von Hand zu Hand, wurde in »Nord und Süd« gedruckt, von dem großen Tragöden an der Wiener Hofburg, Joseph Lewinsky, öffentlich vorgetragen und fand in Friedrich Theodor Vischer einen Gönner, der es mit sich in der Tasche trug, um bald da, bald dort ein Stück davon vorzulesen, auch allerlei schnurrige Varianten ersann, die er mir jeweils nach Florenz sandte, und der sogar in der Antwort auf meinen Geburtstagsgruß zu seiner Achtzigjahrfeier, dem letzten seiner Gedichte, noch einmal in meinem »Weltgericht« einhakte.
Anderseits waren die »Frommen« – ich meine jene Bürgerlich-Orthodoxen, die in dem höchsten Wesen einen eifersüchtigen, humorlosen, jeden Verstoß gegen das Zeremoniell jähzornig rächenden Gott Zebaoth sahen, – höchlich entrüstet und riefen Zeter über mich, wogegen aber wiederum ein wahrhaft Frommer, der Dichter-Prälat Gerok, der Verfasser der »Palmblätter«, sein gewichtiges Wort in die Schale warf und erklärte, er finde keine Schuld an dem Gedicht. Dem poetischen Gemüt machte der glühende Liebeshymnus des sterbenden Gottessohnes an die Erde, seine süße Braut, den Mutwillen der beiden anderen Teile gut. Das Ja und Nein stand also in gleicher Waage, aber die Vorsicht überwog: die Gedichte erschienen mit anderem Firmennamen in Frauenfeld.
Allein wie es zu gehen pflegt, wenn man allzu viel nach dem Urteil der anderen fragt, also, um mit der Fabel zu reden, »den Esel trägt«, dass sich dann plötzlich einer erhebt und wissen will, warum das Grautier nicht auf eigenen Beinen gehe, so erhob nunmehr der »Staatsanzeiger für Württemberg« seine beherrschende