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Während ich andächtig in meiner Töpferwerkstatt saß und aus dem mir anvertrauten Tonklumpen Menschengeschicke formte, ein Geschlecht, das mir gleich sei zu lieben, zu hassen, wurde mein persönliches Leben von immer neuen Erschütterungen und Einschlägen heimgesucht. Auch den mir liebgewordenen Wohnsitz am Poggio Imperiale, wo mir vieles zu Danke geriet, büßte ich wieder ein und war aufs neue allen Zufälligkeiten preisgegeben. Vielleicht musste all diese Not und Unruhe sein, damit meine Geschöpfe sich besser mit Lebensblut sättigen konnten, als es bei einem gestillten Dasein der Fall gewesen wäre. Vielleicht auch war es mein Zoll an die Dämonen, dass sie mir wenigstens das Recht des Schaffens gönnten, das schöner ist als alles angestaunte Glück des Glücklichen. Man sucht ja so gerne nachträglich einen Sinn in die Unsinnigkeiten des eigenen Daseins zu legen.
Durch welche Führung es mir gelang, das einsame Boot durch die höher und höher gehenden Wogen des Naturalismus und aller sich ablösenden Ismen zu steuern, von denen jeder gleich ausschließlich und gleich fanatisch alles Nichtmiteingeschworene abstieß, wüsste ich nicht zu sagen. Als sie sämtlich Geschichte geworden waren, ließ es sich leicht überschauen, dass große Erscheinungen der neuen Schulen den großen der vergangenen viel ähnlicher sehen als ihren eigenen Nachtretern, die mit ihrem Lärm nur gedient hatten, ihnen Stoßkraft zu geben, um dann selber ins Wesenlose zu zerfallen. Denn die Genien haben alle gemeinsame Familienzüge; wenn sie sich im Leben noch so stark befehdet haben, in der Ewigkeit stehen sie verschwistert nebeneinander. – Aber schwer ist es, ohne Schutzgeleite und Führerstern allein und gegen die Strömung nach dem innern Kompaß zu steuern.
Als ich die Geschichte von dem Ichlosgewordenen »Ein Rätsel« schrieb, verweigerten mir alle sonst befreundeten Blätter die Aufnahme, weil ihnen die Erfindung: ein Mensch, der nach erschütternden Eindrücken vergessen hat, wer er ist, ganz und gar unmöglich deuchte; der Weltkrieg, der solcher Fälle eine Anzahl hervorbrachte, hat später für mich gezeugt. Zu guter Letzt versuchte ich es mit einer Zeitschrift von ausgesprochen naturalistischer Haltung, und diese wollte die Geschichte nehmen, eben um ihrer Neuheit willen, war aber nicht zufrieden mit dem Ausgang: dass der Ichlose, von allen staatlichen und bürgerlichen Unterscheidungszeichen Entblößte, als »Mensch an sich« in der staatlichen Ordnung nicht mehr leben kann und deshalb aus einer völlig fremdgewordenen Welt sich am Ende ohne Spur hinwegverliert. Die Schriftleitung forderte, dass der Unglückliche noch einmal aufgegriffen, dem Irrenhaus, dem er schon glücklich entgangen war, jetzt wirklich eingeliefert und zu voller Klärung des rätselhaften Falles mit einem psychiatrischen Gutachten versehen würde. Zu solchem Missverständnis konnte ich nur schweigen und mein Manuskript zurückziehen; hätte ich gestanden, dass es mir nicht auf das Pathologische, sondern auf das Metaphysische ankam, so würde ich eine schlechte Figur gemacht haben, denn die Metaphysik stand damals nicht hoch im Kurs. Als mir Jahrzehnte später von den Schülerinnen der Untersekunda eines Mädchengymnasiums eine Reihe von Fragen vorgelegt wurde, die sich auf das eben von ihnen in der Schule gelesene »Rätsel« bezogen und die ein inneres Eingehen auf den dunklen Gegenstand bewiesen, vor dem damals die weisen Männer versagt haben, da staunte ich und freute mich, wie sich unterdessen der Sinn für Gegenstände nicht alltäglicher Art in den Köpfen selbst der Jugendlichen geschärft hatte. Wenn nicht immer wieder die Jugend da wäre, um Fehlmeinungen zu berichtigen, wie könnte der Dichter seinen Weg wagen!
Frage ich mich jetzt, von welchen Einflüssen die immer wechselnde Stoffwahl meiner Bücher geleitet war, abgesehen von den »Florentiner Novellen«, deren Ursprung schon erklärt wurde, so komme ich zu der mich überraschenden Entdeckung, dass es vorwiegend Gefühle des Dankes und der Verpflichtung waren, nicht nur für Einzelne, sondern auch für ganze Völker und Kulturen, was mir einen Großteil meines Lebenswerke eingab. Oft war ich im Begriff, etwas völlig anderes, von mir sehnsüchtig Gehegtes zu schreiben, da schob sich die Erkenntnis dazwischen, dass etwas zu tun war, was in diesem Augenblick und so wie ich es in mir fühlte durch niemand anderen geschehen konnte, weil ich gerade an der Stelle stand, wo die magische Rute ausschlug. Bei meinen Erinnerungs- und biografischen Büchern war es ja selbstverständlich, aber auch die »Stadt des Lebens« und meine »Wandertage in Hellas« waren solche Danksagungen für Wohltaten, die mir aus der Berührung mit diesen Kulturwelten wieder und wieder flossen. Besonders in meinem Hellasbuch legte ich das Bekenntnis einer lebenslangen Dankesschuld nieder.
Aber auch meiner engeren und allerengsten Heimat, dem Schauplatz meiner Kinderspiele, fühlte ich mich zu solchem Liebesdienst verpflichtet. Es winkten mir aus meinen frühsten Erinnerungen rührend komische Gestalten nach, wie sie zu jener fernen Zeit das Schwabenland noch hervorbrachte, die aber, als ich schrieb, schon längst verschollen waren. Diese Menschen waren nicht sowohl an sich komisch gewesen, als dass sie durch den Gegensatz ihres hochgestimmten Idealismus zu der unvorstellbaren, ihnen nicht bewussten Enge ihres eigenen Lebensraumes komisch wirkten. Sie bauten ihre Gärtchen und winzigen Äcker, verkauften Haarnadeln und Schnupftabak, konnten aber auch Schiller auswendig und schwärmten für die Befreiung der Griechen. Dabei glaubten sie auch mit Inbrunst an das Krokodil von Esslingen, jenen Nachfahren des alten Tatzelwurms, der noch immer in den Kellern lag und gelegentlich weinschöpfende Mädchen fraß. Ihre Armut war ohne Ärmlichkeit und ohne Armeleutgeruch. Der Duft endlicher Blumen und sommerlichen Heus oder angezündeter Kartoffelfeuer umgibt ihre Gestalten, denen sich nach langem Liegen im Erinnerungsschrein auch noch ein leiser Lavendelgeruch wie aus großmütterlichen Schränken beigesellte. Sie sahen mich seit lange bittend an, dass ich sie vor dem Nichtgewesensein der letzten Vergessenheit bewahre, und das konnte in der Tat niemand außer mir, die ich meine Kinderjahre