Vinzenz Corbian wischte sich die Hände an der Hose ab.
»Vielen Dank für Ihre Hilfe, Hochwürden«, sagte er, ohne auf Sebastians Worte einzugehen. »Ich muß jetzt zum Hof zurück. Die Hanna und der Josef warten sicher schon.«
Damit stieg er auf den Traktor, startete den Motor und fuhr den kurvigen Weg hinunter.
Der Bergpfarrer sah ihm kopfschüttelnd hinterher.
Alter, störrischer Kerl, dachte Sebastian Trenker und nahm seinen Rucksack wieder auf.
Während er dem Tal zustrebte, überlegte er, wie dem Bauern geholfen werden konnte. Natürlich nicht medizinisch, das war Sache Dr. Wiesingers. Aber seelische Hilfe brauchte Vinzenz Corbian genauso rasch.
Beim Abendessen schnitt Sebastian das Thema an.
»Wenn ich mich recht erinner’, dann ist’s jetzt so an die sechs Jahre her, daß der Christian fort ist«, meinte Max.
»Acht genau«, korrigierte sein Bruder. »Damals war er achtzehn, inzwischen ist er sechsundzwanzig Jahr’ alt.«
»Und ein gefeierter Schauspieler«, sagte der Polizist.
»Ja, das war ja immer sein Wunsch«, nickte der Geistliche. »Ich erinner’ mich noch gut, wie er früher in der Laienspielgruppe mitgemacht hat. Da war er immer mit Feuereifer bei der Sache.«
»Und heut’ hat er’s geschafft. Seine Fans liegen ihm zu Füßen, besonders die weiblichen.«
»Ja, leider hat er über den Erfolg seinen Vater ganz und gar vergessen.«
Max zog die Stirn kraus.
»Hm, war’s net so, daß der Vinzenz seinem Sohn die Schauspielerei verboten hat?«
Sebastian nickte.
»Er wollt’, daß der Christian die Landwirtschaftsschule besucht und Bauer wird, so wie er. Doch dann ist der Bub durchgebrannt. Ich weiß noch, daß es zuvor einen fürchterlichen Streit zwischen den beiden gegeben hat.«
Er schaute nachdenklich vor sich hin.
Max Trenker sah seinen Bruder forschend an.
»Sag’ mal, wie ich dich kenn’, überlegst’ doch gerad’, ob du net was in dieser Sache tun kannst, net wahr?«
Der Bergpfarrer schmunzelte.
»Allerdings. Ich will’s nämlich net einfach hinnehmen, daß der Vinzenz schon an seinen Tod denkt, und der Sohn nur seine Schauspielerei im Kopf hat. Am liebsten wär’s mir, wenn sie sich endlich wieder vertragen. Ich glaub’ nämlich, daß die Ursachen für die Schmerzen, die den Bauern net loslassen wollen, zum Teil auch seelischer Natur sind. Als ich neulich mit dem Doktor darüber gesprochen hab’, da hat’s mir bestätigt, daß es durchaus so sein könnt’. Allerdings läßt der Sturkopf in dieser Beziehung ja net mit sich reden.«
»Wie wär’s denn, wenn du dich mal an den Sohn wendest?« fragte Max.
Sebastian sah ihn überrascht an.
»Woher weißt du, daß ich gerad’ das überleg’?« fragte er.
»Ich kenn’ dich doch«, lächelte sein Bruder.
»Allerdings weiß ich noch net, wie ich an Christians derzeitigen Aufenthaltsort kommen soll…«
»Ach, da könnt’ ich dir helfen«, schmunzelte Max.
Wieder blickte der Geistliche überrascht.
»Wie das?«
»Net verzagen, Max Trenker fragen«, lachte er. »Die Polizei, dein Freund und Helfer. Christian dreht zur Zeit in Prien, am Chiemsee, einen Film.«
»Was? Und das sagst’ erst jetzt?«
»Ich hab’s ja selbst erst in einer Zeitschrift gelesen, als ich beim Zahnarzt im Wartezimmer saß.«
Sebastian nickte.
»Dank’ dir, Max«, sagte er. »Dann werd’ ich mir gleich morgen mal anschau’n, wie ein Film gedreht wird.«
*
Es war nicht schwer gewesen, herauszufinden, in welchem Hotel die Filmleute wohnten. Als Sebastian dort nachfragte, erfuhr er, daß er Glück hatte; heute wurden die letzten Szenen nachgedreht.
»Eigentlich waren’s schon fertig mit der Arbeit«, erklärte Franz Buchner, der Inhaber des gleichnamigen Hotels. »Doch dann stellte sich heraus, daß einige Szenen net den Vorstellungen des Regisseurs entsprachen.«
Er schaute den Besucher an.
»Ob der Herr Corbian aber wirklich Zeit für Sie hat, wag’ ich zu bezweifeln…«, fügte er hinzu.
Der Bergpfarrer lächelte.
»Da bin ich mir sicher, daß er ein paar Minuten für mich erübrigen kann«, meinte er und bedankte sich für die Auskunft.
Er ließ sein Auto auf dem Parkplatz stehen. Bis zum See waren es nur ein paar Minuten zu laufen, schon von weitem sah er die Absperrung. Sebastian trat dennoch näher und winkte einem Mann zu, der offenbar ein Mitarbeiter des Filmstabs war. Er kam gerade aus einem der Wohnwagen, die für die Zeit der Aufnahmen am Ufer aufgestellt waren und in denen alles Nötige untergebracht war.
»Entschuldigen S’ bitte«, rief Sebastian dem Mann zu. »Ich möcht’ net stören, aber wär’s vielleicht möglich, den Herrn Corbian einen Moment zu sprechen?«
Was er nicht ahnte, war die Tatsache, daß der Mann, den er angesprochen hatte, der Regisseur selbst war.
Jürgen Rendler hätte normalerweise auf so eine Anfrage ungehalten reagiert. Doch heute hatte er gute Laune. Die Schauspieler waren mit Lust bei der Arbeit gewesen, und die Szenen waren jetzt ›im Kasten‹, wie man so sagt.
»Sind Sie von der Presse?« erkundigte er sich.
Sebastian schüttelte den Kopf.
»Mein Name ist Trenker«, erklärte er. »Ich bin Pfarrer in St. Johann, und der Christian Corbian war mein Pfarrkind.«
Der Regisseur staunte nicht schlecht.
Dieser Mann war Geistlicher?
Dem Bergpfarrer war die Irritation seines Gegenübers nicht entgangen. Allerdings kannte er solche Reaktionen, die Leute waren immer wieder erstaunt, wenn sie hörten, daß dieser gutaussehende, stets leicht braungebrannte Mann mit der sportlichen Figur ein Diener Gottes war. Eher vermuteten sie in ihm einen Sportler oder Schauspieler…
»Ja, ich weiß nicht recht«, sagte Jürgen Rendler. »Einen Moment wird’s wohl noch dauern. Vielleicht warten S’ hier auf Christian. Ich sag’ ihm Bescheid.«
Sebastian nickte und sah dem Mann hinterher. Der war kaum drei Schritte gegangen, als er wieder kehrtmachte und zurückkam.
»Sagen Sie mal, Hochwürden, haben S’ eigentlich mal daran gedacht, den Beruf zu wechseln und Schauspieler zu werden?« fragte er den überraschten Geistlichen. »Also, mit allem Respekt, aber bei Ihrem Aussehen würden S’ einschlagen wie eine Bombe. Ach, übrigens, mein Name ist Jürgen Rendler, ich bin der Regisseur dieses Films.«
Sebastian Trenker schmunzelte.
»Vielen Dank für das Angebot«, antwortet er. »Aber ich fürcht’, es kommt um Jahre zu spät.«
Der Regisseur nickte.
»Schade, wirklich schade. Na ja, dann werde ich mal den Christian holen.«
Er verschwand, und Pfarrer Trenker amüsierte sich immer noch über den Gedanken, als Schauspieler