Unterwegs telefonierte der Großbäcker mit seiner Tochter und verabredete den Treffpunkt. Constanze war nämlich nicht, wie Ulli annahm, abgereist, sondern hatte lediglich das Hotel verlassen, um einem weiteren Treffen mit ihm aus dem Weg zu gehen.
Zusammen mit Petra Reuter war sie in die Stadt gefahren. Nach dem Frühstück hatte die Freundin sie fragend angesehen.
»Und jetzt?«
Constanze erklärte, daß ihr Vater und Ullis Eltern auf dem Weg nach St. Johann waren.
»Hältst du das für eine gute Idee?« äußerte Petra ihre Zweifel.
»Was soll ich machen?« antwortete Constanze schulterzuckend. »Ich liebe Ulli, und manchmal müssen die Menschen eben zu ihrem Glück gezwungen werden.«
Petra war da zwar anderer Ansicht. Aber sie schwieg.
Am Nachmittag trafen sie sich dann in der Stadt. Während Constanze ihrem Vater in die Arme fiel, standen Ullis Eltern eher verlegen daneben.
»Es tut mir so leid«, beteuerte Hannelore Vogler. »Ich weiß gar nicht, was in den Jungen gefahren ist.«
»Na ja, jetzt sind wir ja da und werden die Geschichte wieder geraderücken«, meinte Justus von Werenhofen. »Aber jetzt habe ich erst mal Durst auf einen anständigen Kaffee. Hoffentlich gibt es so etwas hier überhaupt.«
Seine Tochter konnte ihn in dieser Hinsicht beruhigen. In der Stadt gab es mehrere Cafés, und die Menschen, die dort dichtgedrängt saßen, bezeugten die Qualität der angebotenen Getränke und Kuchen. Einzig, daß keine Spezialität aus seinem Unternehmen dabei war, schmerzte den Großbäcker. Allerdings mußte er zugeben, daß er selten so eine hervorragende Kirschtorte gegessen hatte wie jetzt.
Constanze drängte bald darauf, nach St. Johann zu fahren. Sie war inzwischen überzeugt, daß es ihrem Vater und dem Ehepaar Vogler gelingen würde, Ulli umzustimmen.
Als sie in dem Bergdorf ankamen, fragten sie vergeblich nach ihm. Sepp Reisinger, der an der Rezeption stand, zuckte bedauernd die Schultern.
»Tut mir leid«, sagte er. »Den Herrn Vogler hab’ ich seit dem Frühstück net mehr geseh’n. Heut’ morgen ist er wohl in die Messe gegangen. Aber wo er dann hin ist…«
»Hm, wo kann er denn stecken?« fragte Justus von Werenhofen mißmutig.
Seine Frage nach Zimmern für sich und Ullis Eltern war abschlägig beschieden worden. Nicht zuletzt deswegen wollte er die Angelegenheit so schnell wie möglich geregelt haben. Wie es aussah, würden sie heute noch wieder zurückfahren müssen.
Constanze vermutete, daß Ulli bei Eva war. Aber sie biß sich auf die Lippen und sagte nichts.
»Rufen wir ihn doch auf seinem Handy an«, meinte Hans Vogler. »Wozu gibt’s denn diese Dinger?«
Wenn er es nicht wieder ausgeschaltet hat, dachte die junge Frau. Es wäre ja nicht das erste Mal, daß sie vergeblich versuchte, Ulli zu erreichen. Dennoch nahm sie ihr Mobiltelefon und wählte seine Nummer. Gespannt wartete sie ab, ob er sich melden würde.
*
Ulli war einigermaßen verblüfft gewesen, als er Constanze und Petra hatte abfahren sehen. Eigentlich war es ihm ganz recht, andererseits hätte er gerne den Rat des Geistlichen befolgt und noch ein letztes klärendes Gespräch geführt. Er sah dem davonfahrenden Auto hinterher und ging dann achselzuckend zum Pfarrhaus zurück.
Sebastian staunte, ihn so schnell wiederzusehen. Als er hörte, daß die junge Frau fort sei, hob er die Hände.
»Tja, da kann man wohl nix machen«, sagte er. »Jetzt wirst’ nur noch mit deinen Eltern sprechen müssen.«
»Das ist schon geschehen«, antwortete Ulli. »Ich habe gestern abend noch meinen Vater angerufen und ihm meine Entscheidung mitgeteilt.«
»Und wie war seine Reaktion?«
»Na ja, er war nicht gerade begeistert, wie Sie sich sicher denken können.«
Der Bergpfarrer nickte.
»Jetzt werden wir erst mal zu Mittag essen«, erklärte er. »Und nachher gehst’ zur Eva. Bestimmt wartet sie dann schon auf dich. Genießt die Tage, die ihr hier noch zusammen habt. Wenn es später, wenn ihr wieder zu Hause seid, Probleme geben sollte, dann könnt ihr euch jederzeit an mich wenden. Zur Not komm’ ich auch nach Aachen. Ein hübsches Städtchen; ich war lang’ net mehr da.«
Nach dem Mittagessen verabschiedeten sich Claudia und Max. Die Journalistin mußte schon am Abend nach München fahren, wo am nächsten Tag der Ministerpräsident eine Pressekonferenz geben wollte. Natürlich wollten da die beiden den Nachmittag noch für sich haben.
Sebastian und Ulli hatten noch Kaffee zusammen getrunken, dann verabschiedete sich der junge Mann auch.
»Und net vergessen, am Mittwoch steigen wir auf den Kogler«, sagte der Geistliche, als er seinen Besucher an die Tür brachte.
Ulli nickte und ging zur Pension Stubler. Ria empfing ihn.
»Wie geht es Eva?« fragte er.
»Ich glaub’, ganz gut«, antwortete die Wirtin.
»Dann kann ich zu ihr?«
Ria schüttelte den Kopf.
»Eva ist gar net da«, sagte sie.
Ulli blickte sie mit großen Augen an.
»Ist sie etwa…?«
»Abgereist? Nein«, beruhigte ihn die Frau. »Sie wollte ein bissel spazierengehen, auf and’re Gedanken kommen.«
Er war erleichtert. Im ersten Moment hatte er angenommen, Eva wäre, ohne ein Wort zu sagen, verschwunden.
»Wissen Sie, wohin sie wollte?« fragte er.
Ria Stubler wußte es nicht. Als sie aus der Kirche zurückkam, war Eva schon fortgewesen. Lediglich einen Zettel hatte sie dagelassen, auf dem stand, daß sie einen längeren Spaziergang machen wollte.
Er schaute auf die Uhr.
»Aber das muß ja jetzt schon länger als drei Stunden her sein«, sagte er.
»Eher sogar vier«, meinte Ria. »Aber ich glaub’ net, daß Sie sich Sorgen machen müssen.«
Das tat Ulli indes doch. Je mehr er darüber nachdachte, um so überzeugter war er, daß er gestern einen Fehler gemacht hatte, als er Eva alleine ließ. Er hätte bei ihr bleiben und ihr dadurch das Gefühl geben sollen, daß er wirklich zu ihr hielt.
Nachdenklich ging er zum Pfarrhaus zurück. Sebastian staunte nicht wenig, als der junge Mann so schnell wieder vor ihm stand.
»Hast du eine Ahnung, wohin sie wollte?« fragte er.
Diesmal war es Ulli, der den Kopf schüttelte.
»Überleg’ mal«, forderte der Bergpfarrer ihn auf. »Was habt ihr die Woche über unternommen, wo seid ihr gewesen? Gibt es einen Platz, der euch besonders gut gefallen hat?«
»Ja«, überlegte Ulli laut, »da war so eine alte Hütte…«
»Die Geißlinger-Hütte etwa?«
»Genau so hieß sie«, nickte er. »Es war richtig romantisch dort. Wir haben uns vorgestellt, wie es wäre, ganz allein darin zu leben.«
Sebastian Trenker lächelte. Diese Vorstellung war wirklich romantisch. »Dann werden wir schau’n, ob wir sie da finden«, sagte er. »Am besten nehmen wir meinen Wagen. Wenn Eva schon so lange unterwegs ist, wird sie zu erschöpft sein, um die Strecke noch einmal zu Fuß zu gehen.«
In diesem Moment klingelte Ullis Handy. Er hatte es extra eingeschaltet,