Max hatte Adrian eingeladen, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. Dort, wo die Honoratioren des Dorfes saßen, waren immer ein paar Stühle frei, und da Sebastian Trenker es heute vorgezogen hatte, im Pfarrhaus zu bleiben, war nichts dagegen einzuwenden, daß Adrian sich dorthin setzte.
»Es wär’ mir aber schon lieb, wenn wir meinen richtigen Namen verschweigen könnten«, hatte er indes vor dem Betreten des Saales gebeten. »Es wird schon genug über mich geredet, und ich möcht’ net, daß noch mehr Staub aufgewirbelt wird, wenn die Leut’ erfahren, wer ich wirklich bin.«
Daß dies nur ein Grund für die Bitte war, ahnten Max und Claudia nicht. Adrian hatte allerdings noch einen anderen, über den er aber nicht sprechen wollte. Er war sicher, über kurz oder lang hier auf Christina Reindl zu treffen, und sie sollte auf keinen Fall erfahren, wer er war – zumindest nicht von anderen, sondern aus seinem Mund.
Also wurde er als Andreas Winkler vorgestellt, was die Anwesenden am Tisch mit einem Kopfnicken zur Kenntnis nahmen.
Nach dem ersten Tanz kamen Claudia und Max wieder auf ihre Plätze zurück. Die Journalistin fragte, ob Adrian ihr für ein Interview zur Verfügung stehen würde. Der Artikel, an den sie dachte, würde bestimmt eine Menge Leser interessieren. Er nickte zustimmend.
»Wann würde es Ihnen denn passen?«
Adrian überlegte. Er wußte eigentlich nicht, wie lange er bleiben würde. Die Suite hatte er erst einmal für vierzehn Tage gebucht. In dieser Zeit wollte er alles hinter sich gebracht haben. Doch inzwischen hatte sich die Situation grundlegend geändert. Das, was er ursprünglich beabsichtigt hatte, schien ihm jetzt in dieser Form kaum durchführbar.
Nicht, nachdem er sich in sie verliebt hatte, in die Tochter seines ärgsten Feindes!
»Ich denk’, ich kann mich da ganz nach Ihnen richten, Claudia«, antwortete er auf ihre Frage. »Schau’n S’, wann Ihr Terminkalender es zuläßt, ich bin ja noch eine Weile da.«
Er lächelte.
»Aber vielleicht sollten wir jetzt das Geschäftliche ein wenig in den Hintergrund stellen. Möchten S’ vielleicht tanzen?«
Er sah Max an.
»Natürlich nur, wenn du nix dagegen hast.«
Der Polizist schüttelte den Kopf, und Adrian schob seinen Stuhl zurück. Als er sich mit der attraktiven Journalistin auf der Tanzfläche drehte, spürte er die neugierigen Blicke der Leute auf sich gerichtet.
Allerdings interessierte es ihn nicht. Er ließ seinen Blick schweifen und suchte nach Tina Reindl, und fast im selben Moment begegneten sie sich. Die Bauerntochter tanzte nur wenige Meter neben ihm und sah ebenfalls herüber. Sie lächelte, als sie ihn erkannte, und Adrian lächelte zurück.
»Mir scheint, Sie haben eine Eroberung gemacht«, ließ sich Claudia vernehmen.
»Entschuldigen S’«, bat er. »Es ist ungehörig, sich nach anderen Damen umzuschauen, wenn man mit einer tanzt.«
»Geschenkt«, lächelte die Journalistin. »Kennen Sie das Madel?«
»Flüchtig«, antwortete er, ohne preiszugeben, daß er Tina schon seit Jahren kannte.
Dafür hängst aber ganz schön mit deinem Blick an ihr, dachte Claudia.
Sie selbst kannte die Tochter des Reindlbauern nicht, hatte auch erst am Abend von den Zusammenhängen erfahren und später dann Adrian kennengelernt.
»Glauben S’ wirklich, daß ich da eine Eroberung gemacht hab’?« fragte er zweifelnd.
»Fordern Sie das Madel auf«, redete Claudia ihm zu. »Dann werden S’ das ganz schnell feststellen.«
Doch noch war ihr Tanz nicht zu Ende. Erst nachdem die Musik aufhörte, brachte Adrian Claudia an den Tisch zurück und rückte ihr den Stuhl zurecht.
Donnerwetter, dachte die Journalistin beeindruckt, für einen Bauernsohn und Mann, der auf einer Bohrinsel gearbeitet hat, hat er aber sehr gute Manieren.
Ein echter Kavalier!
Das dachte auch wenig später Tina, als Adrian an ihrem Tisch auftauchte und sich vor ihr verbeugte.
»Darf ich bitten?«
Mit schnellem Blick hatte er festgestellt, daß sie zwischen zwei Frauen saß, also wohl ohne männliche Begleitung hergekommen war.
Tina lächelte und stand auf. Ein überwältigendes Gefühl der Freude durchströmte sie, als er ihren Arm nahm und zur Tanzfläche führte.
»Haben S’ denn Ihre Fahrradtour noch machen können?« erkundigte er sich.
Tina nickte.
Ja, das andere Rad war schnell aus der Scheune geholt, und noch schneller war sie damit zur Hofeinfahrt geschoben, in der Hoffnung, er würde immer noch dort stehen. Zu ihrer Enttäuschung sah sie aber nur noch das davonfahrende Auto.
Dann hatte sie sich auf das Rad gesetzt und war zu ihrer Lieblingsstelle gefahren, einer kleinen Lichtung im Bergwald. Dort saß sie auf einem abgesägten Baumstumpf und schaute stundenlang träumend vor sich hin.
Andreas Winkler – er war so ganz anders als jeder andere Mann, der bisher in ihrem Leben eine Rolle gespielt hatte. Sie merkte, wie sie sich mit jeder Minute, die sie an ihn dachte, mehr in ihn verliebte. Wie schön wäre es, wenn er jetzt bei ihr wäre, Hand in Hand durch den Wald zu schlendern und zärtlichen Worten aus seinem Mund zu lauschen…
Ein anderes Paar, das beim Tanzen gegen sie stieß, riß Tina in die Wirklichkeit zurück. Sie öffnete die Augen, die sie geschlossen gehalten hatte, und sah, daß Andreas sie beobachtete.
Nachdenklich forschend, aber auch liebevoll…
Und ihr Herz klopfte bis zum Hals hinauf.
»Sie sollten mich net so ansehen«, sagte sie mit einem leichten Vorwurf in der Stimme.
»Was ist daran so schlimm?«
»Daß Sie mich ganz durcheinanderbringen«, erwiderte sie und wünschte sich gleichzeitig, daß er den Blick nie wieder von ihr abwenden möge.
Andreas-Adrian lächelte und zog sie enger an sich. Er spürte die Formen ihres Körpers, und seine Hand glitt über den weichen Stoff ihrer Bluse. Tina merkte, wie alles in ihr vibrierte, ein wohliges Gefühl breitete sich in ihr aus, sie fühlte sich wie neugeboren.
Es war bereits der dritte Tanz, und er machte keinerlei Anstalten, sie an ihren Tisch zurückzuführen. Im Gegenteil, immer weiter drehte er sich mit ihr, und Tina wünschte sich, es würde niemals aufhören.
*
Im Bischöflichen Ordinariat lag Ottfried Meerbauer in seinem Bett und krümmte sich vor Schmerzen. Das Gesicht war schweißnaß und krampfhaft verzerrt, mit beiden Händen preßte der Bischof auf die Stelle seines Körpers, durch die immer wieder die Wellen des Schmerzes jagten.
Pater Antonius, der Sekretär, stand ratlos daneben. Er schaute auf die Sammlung von Medizinflaschen und Tablettenröhrchen, die Karaffe, die er gerade wieder mit frischem Wasser gefüllt hatte und das Teekännchen. Daraus entströmte ein ganz merkwürdiger Geruch, der dem Sekretär in die Nase stieg und ihn die Nase rümpfen ließ.
»Wirkt es denn noch immer nicht?« fragte er teilnahmsvoll. »Soll ich nicht doch lieber Dr. Ambacher rufen?«
Bischof Meerbauer gab einen ächzenden Laut von sich und versuchte sich aufzurichten. Pater Antonius sprang hinzu und stützte den Oberkörper seines Vorgesetzten.
»Nein, auf keinen Fall«, schüttelte der Kranke den Kopf. »Irgendwann muß das Zeug doch wirken. Wie lange wird es dauern, hat der Mann gesagt?«
Der Sekretär nahm die Tasse mit dem übel riechenden Tee und setzte sie an die Lippen des Bischofs.
»Ein paar Stunden würde es schon dauern. Doch dann sollten die Steine abgehen. So wurde jedenfalls versichert.«
Ottfried