Claudia nickte.
»Das Madl, mit dem er sich offenbar sehr gut versteht, das ist Tina. Tina Reindl, die Tochter von dem Bauern, dem seit damals der Greiningerhof gehört…«
Die Journalistin schnappte hörbar nach Luft.
»Ach du liebe Güte«, sagte sie. »Hoffentlich geht das gut! Was willst denn jetzt machen?«
»So wie ich meinen Bruder kenn’, wird er trotz der späten Stunde noch net schlafen«, antwortete der Polizist. »Am besten gehen wir gleich zu ihm und berichten ihm die Neuigkeit. Sie wird ihn brennend interessieren.«
*
Der Bergpfarrer stand vor der Tür zur ›König-Ludwig-Suite‹ und klopfte an. Es dauerte eine Weile, bis Adrian öffnete. Offenbar hatte er noch geschlafen.
»Entschuldige, daß ich dich so früh wecke«, sagte Sebastian. »Aber was ich mit dir zu bereden hab’, duldet keinen Aufschub.«
Adrian ließ ihn eintreten.
Als es an der Tür geklopft hatte, glaubte er zuerst, noch zu träumen. Spät war es geworden gestern abend. Es wurde schon langsam Tag, als er Tina zum Haus ihrer Freundin gebracht hatte. Die ganze Zeit über waren sie zusammengewesen, hatten getanzt und sich unterhalten.
Einmal hatte das Madl zu einem Tisch gezeigt.
»Da sitzen meine Eltern.«
Adrian war seltsam berührt gewesen.
Sollte er gleich hinübergehen und den Bauern zur Rede stellen?
Er beschloß, nicht überstürzt zu handeln. Es war eine wirkliche Zwickmühle, in der er sich befand. Zum einen liebte er Tina aufrichtig, zum anderen brannte immer noch der Haß auf ihren Vater in ihm. Aber wenn er ihn jetzt auf das ansprach, was sich damals ereignet hatte, dann würde er damit alles zerstören.
Später stand ihnen dann Hedwig Reindl gegenüber. Adrian hatte ihr die Hand geschüttelt und darauf gewartet, daß Tinas Mutter ihn erkennen würde. Doch offenbar brachte sie ihn mit dem Sohn des Greiningerhofes nicht in Verbindung, und Adrian fragte sich, ob jemand aus der Familie sich überhaupt jemals gefragt hatte, was aus ihm geworden war.
Wahrscheinlich nicht.
»Warum bringst’ deinen Bekannten net mal mit nach Haus’?« lud die Bäuerin ihn sogar ein.
»Vielleicht heut’ nachmittag zum Kaffee«, stimmte Tina zu und zog ihn mit sich auf die Tanzfläche.
»Was gibt’s denn so Wichtiges?« fragte Adrian den Geistlichen jetzt.
Er hatte dem Besucher einen Platz angeboten und setzte sich ihm gegenüber.
»Ich bin noch vor der Messe hergekommen, weil ich etwas von dir wissen will«, begann Sebastian. »Ist es wirklich nur die Sehnsucht nach der Heimat gewesen, die dich hergetrieben hat? Oder steckt da noch etwas dahinter?«
Adrian Greininger schwieg erst einmal. Er blickte zum Fenster hinaus, das er weit geöffnet hatte, und durch das frische Luft hereinwehte.
»Ich weiß net, was ich wirklich will«, erwiderte er schließlich. »Aber ich will ganz offen zu Ihnen sprechen, Hochwürden. Ich bin ursprünglich zurückgekommen, um den Mann, der mein Leben und das meines Vaters zerstört hat, zur Rechenschaft zu ziehen.«
Er deutete auf einen schwarzen Diplomatenkoffer.
»Darin befinden sich die Beweise dafür, daß Friedrich Reindl meinen Vater um mehrere hunderttausend Mark, damals gab es noch keinen Euro, betrogen hat. Mit dem Geld hätten wir den Hof retten können. Doch er hat’s verhindert, weil er ihn für sich selber haben wollte.«
»Das ist eine schwere Anschuldigung«, sagte Sebastian Trenker. »Darf ich die Beweise einmal sehen?«
Zu seiner Überraschung schüttelte Adrian den Kopf.
»Vorerst net«, antwortete der Bauernsohn bestimmt. »Ich werd’ sie zu gegebener Zeit präsentieren.«
Der gute Hirte von St. Johann nickte.
»Das ist dein gutes Recht. Aber dann sag’ mir, was zwischen dir und Tina ist. Und bestreite net, daß da was ist. Aber warum hast’ dich an sie herangemacht? Willst du dich über sie an deinem Feind rächen? Willst du sie dabei mit in den Abgrund stürzen?«
Adrians Miene versteinerte. Das war genau der Punkt, der ihn erst am Morgen hatte einschlafen lassen. So lange hatte er darüber nachgedacht.
»Als ich herkam, ahnte ich net, daß sich die Dinge so entwickeln würden«, antwortete er. »Hochwürden, ich versichere Ihnen, daß ich nix gegen Tina hab’. Im Gegenteil. Wenn ich gewußt hätt’, daß es so kommt, dann wär’ ich wahrscheinlich in Kiel geblieben und hätt’ meine Rachegedanken begraben. Aber jetzt bin ich nun einmal hier, und alles ist anders, als ich es mir vorgestellt hab’.«
Sebastian Trenker sah ihn durchdringend an.
»Adrian«, sagte er, »ich hab’ damals versucht, deinem Vater und dir zu helfen. Leider ist’s mir net geglückt. Aber genauso werd’ ich dem Reindlbauern zur Seite stehen, wenn ich erfahren sollt’, daß du etwas gegen ihn im Schilde führst. Wenn du net bereit bist, mir deine Beweise zu zeigen, dann darfst’ dich auch net darüber wundern, daß ich net auf deiner Seite steh’.
Daß es seinerzeit Manipulationen gegeben haben soll, die dazu führten, daß ihr den Hof verloren habt, davon weiß ich nix. Du mußt zugeben, daß es schon merkwürdig ist, daß du nach all den Jahren herkommst und Rache üben willst. Warum hast du dich mir net gleich damals anvertraut? Vielleicht wäre dann alles ganz anders gekommen.«
Der junge Mann atmete schwer.
»Ich hab’ vielleicht net alles richtig gemacht, Hochwürden«, erwiderte er. »Aber ich war jung und hatte von vielen Dingen keine Ahnung. Erst viel später wußte ich mit dem umzugehen, was mein Vater mir hinterlassen hat – einen Aktenordner mit den unumstößlichen Beweisen, daß er betrogen worden war. Ich weiß net, warum er sich net selbst zur Wehr gesetzt hat. Aber vielleicht war er zu schwach und zu unwissend. Nach Mutters Tod, über den er nie hinweggekommen ist, war er net mehr der starke Mann, als den ich ihn gekannt hab’, und in finanziellen Dingen kannte er sich net aus. Er wußte seine Buchführung zu machen, aber mehr auch net. Die Manipulationen, die schließlich zum Verlust des Hofes führten, waren so geschickt, daß ich sie auch net auf den ersten Blick durchschaut hab’. Erst nach Jahren kam ich dahinter, daß man meinem Vater Fallstricke gelegt hatte, in die er prompt hineingetreten ist.«
Sebastian rang die Hände.
»Dann laß mich diese Beweise endlich sehen!«
Adrian biß sich auf die Lippe.
»Also gut«, nickte er. »Ich zeig’ sie Ihnen.«
*
Die ersten Gläubigen strebten schon der Kirche zu, als der Bergpfarrer vom Hotel herübergelaufen kam.
Sebastian eilte in die Sakristei, wo Alois Kammeier und die Meßbuben bereits auf ihn warteten.
»Entschuldigt«, sagte der Geistliche, »ich hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen.«
Der Mesner half ihm in die Soutane und hielt die Stola bereit. Immer noch unter dem Eindruck dessen, was er eben gelesen hatte, ging Sebastian Trenker zur Kirchentür, um die Gemeinde zu begrüßen.
Es war ungeheuerlich!
Eine andere Bezeichnung hatte der Geistliche nicht für das, was er vor wenigen Augenblicken erfahren hatte. Niemals hätte er geglaubt, daß es so etwas wirklich geben konnte. Doch die Unterlagen, die Adrian Greininger ihm ausgehändigt hatte, waren hieb- und stichfest.
Zumindest auf den ersten Blick.
Der gute Hirte von St. Johann war in Gedanken immer noch damit beschäftigt, so daß er vielen der Leute geistesabwesend vorkam. Sonst