Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
Скачать книгу
Wird sie nicht über mich triumphieren? Bin ich dann nicht erst recht ein altes Weib in ihren Augen?«

      Der gute Domherr konnte mit seinem eigenen Eigensinn nicht einig werden.

      Als er vor der Tür des Herrenhauses stand, beschwichtigte er sein Gewissen damit:

      »Wer weiß auch, was an der ganzen Geschichte ist. In dem Berlin hecken sie viel aus; aber das meiste sind Velleitäten. Und man köpft und hängt die Leute nicht sogleich ohne weiteres. Und auch mit dem heimlichen Arretieren wird es gute Wege haben. Besonders einen Edelmann aus einem der ältesten und angesehensten Häuser fängt man nicht so mir nichts dir nichts heimlich ab. Bah, warten wir es ab, und gehen wir zu einem andern unglücklichen Herzen, auch unglücklich durch eigene Schuld. Durch eine andere freilich! Aber Schuld ist Schuld!«

      Er war an der Tür der Frau Mahler.

      Er war ja im Hause bekannt.

      Ehe er sich anmeldete, stand er einen Augenblick still.

      Es war keine angenehme Aufgabe, die er hier zu lösen hatte.

      Durch das Fenster des Ganges tönte ihm von draußen die lustige Tanzmusik entgegen, das Scherzen, Lachen und Jubeln der fröhlichen Menschen.

      Jenseits der Tür, vor der er stand, war die tiefste Stille. Das Herz wurde ihm noch schwerer.

      Er klopfte an die Tür.

      Ein leises »Herein!« antwortete ihm.

      Er trat in ein freundliches Gemach.

      Die Frau Mahler war mit ihrem Kinde darin. Die Frau war in Trauerkleidung, wie eine Witwe. Sie trug sich so, seitdem sie wieder unter Menschen war.

      Ihr Kind war ein schöner, kräftiger Knabe geworden; er zählte jetzt über zwei Jahre. Das Kind spielte zu den Füßen der Mutter.

      Die Frau saß am Tische bei einer Arbeit. Aber sie hatte sie schon wohl seit einiger Zeit nicht mehr angerührt; ihre Augen waren, als der Domherr eintrat, noch halb nach dem Fenster des Stübchens gerichtet. Die untergehende Abendsonne warf ihre letzten Strahlen hinein.

      Sie wollte aufstehen, den Gast zu begrüßen.

      Der Domherr hatte schon einen Stuhl genommen, sich zu ihr gesetzt.

      »Sie sitzen auch heute hier so allein?« fragte er sie.

      »Was sollte ich bei den andern?«

      »Glück und Freude erheben den Menschen zu Gott.«

      »Glück?« fragte die Frau bitter.

      »Auch das Glück anderer. Was verpflichtet Sie mehr zum Danke gegen Gott als das Glück Ihres Kindes?«

      Er nahm den Knaben auf seine Knie.

      »Und ist es nicht ein prächtiges Kind?« fuhr er fort. »Geboren wie im Glück und nur zum Glück?«.

      »Und doch ist nie ein Kind in größerem Unglück geboren.«

      »Desto mehr Ansprüche möge es auf Glück haben.«

      »Das gebe ihm Gott!«

      »Sehen Sie, Frau, da müssen Sie schon an Gott denken, und wer an Gott denkt, der hat sich schon erhoben. — Wann legen Sie Ihr Kind schlafen?« fragte er dann.

      »Die Sonne geht unter. Es wäre jetzt Zeit.«

      »Wird es einschlafen, wenn die alte Christine es in sein Bettchen legt?«

      »Gewiss. Es liebt die alte Fran.«

      Der Domherr öffnete die Tür.

      »Christine!« rief er in den Gang hinein.

      Er kannte das ganze Hauswesen. Die alte Frau kam.

      »Bringe das Kind in den Schlaf, alte Christine, ich habe mit der Madame einen Gang zu machen.«

      Die Frau Mahler sah den Domherrn verwundert an.

      Er stand schon zum Fortgehen bereit.

      »Wenn ich bitten darf«, sagte er.

      Sie kannte sein rasches, entschiedenes Wesen, dem man nachgeben musste.

      Sie küsste ihr Kind.

      Der Domherr bot ihr seinen Arm.

      Sie nahm ihn und verließ mit ihm das Zimmer.

      Er führte sie aus dem Hause in den Garten, durch den Garten in das dahinter gelegene Birkenwäldchen.

      Die Dunkelheit des Abends hatte zugenommen Wenn umher noch Zwielicht war, unter den Bäumen des Wäldchens konnte man in einer Entfernung von zwanzig Schritten nichts mehr unterscheiden.

      Es herrschte tiefe Stille in dem Wäldchen. Nichts regte sich darin; nur das Geräusch vom Tanzplatze drang hinein.

      »Wohin führen Sie mich?« fragte die Frau den Domherrn.

      »Nur hierher.«

      »Und zu welchem Zwecke?«

      »Um mit Ihnen zu plaudern. Sie sollten nicht allein mit Ihrem Grame sein, wenn alle die andern dahinten in lustiger Freude beisammen sind.«

      Er hatte sie nach einer Seite des Wäldchens geführt. Drei Birken standen dort in einer Reihe dicht nebeneinander. An ihre Stämme lehnte sich eine Rasenbank; ihre belaubten Zweige wölbten sich über dem Rasen zum Dache. Es waren die letzten Bäume auf dieser Seite des Wäldchens. Es war hier heller als in seiner Mitte.

      »Lassen wir uns hier nieder«, sagte der Domherr.

      Sie ließen sich auf der Bank nieder.

      »Und nun, meine liebe Frau, plaudern wir, und zwar ganz offen miteinander. Ich werde den Anfang machen. Ich komme im Auftrage Ihres Mannes zu Ihnen.«

      Die Frau erschrak heftig.

      »Mahlbergs?« rief sie.

      »Er war bei mir.«

      »In Hofgeismar?«

      »In Hofgeismar.«

      »Und er ist auch hier?«

      »Wollen Sie ihn sprechen?«

      »Um des Himmels willen!«

      »Das heißt nein?«

      »Nie! Ich darf ihn nie wiedersehen.«

      »Das hatte ich mir auch gedacht. Beruhigen Sie sich. Sie werden ihn nicht sehen. Sie sollen nur mich anhören.«

      Die Frau nickte ihm in stummer Spannung zu, dass sie es wolle.

      »So hören Sie. Mahlberg will gerichtlich von Ihnen geschieden werden.«

      Die Frau hatte nur einen schweren Seufzer zur Antwort.

      »Und zwar in der Art, dass er für den schuldigen Teil erklärt wird.«

      »Nein!« sprang sie auf.

      Der Domherr zog sie auf ihren Sitz zurück und fuhr ruhig fort:

      »Seine Ehre leidet es nicht, dass die Ehre seiner Frau angegriffen werde. Da bleibt ihm kein anderes Mittel.«

      Auch die Frau war wieder ruhig.

      »Herr Domherr«, sagte sie, »ich bin die Schuldige; ich allein will es bleiben. Sagen Sie das meinem Mann.«

      »Sie haben keine andere Antwort an ihn?«

      »Niemals! Ich schwöre es.«

      »So kann aus der Scheidung nichts werden. Denn er beharrt ebenso fest darauf, dass er vor Gericht der schuldige Teil sein will.«

      Die Frau schwieg. Sie versank in tiefes Nachsinnen.

      »Sie antworten mir nicht?« fragte der Domherr.

      Sie hatte noch keine Antwort.

      »Sie