Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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sie gezähmt werden, Onkel?«

      »Ich denke, Du hattest ihr auch das schon gesagt.«

      »Ja. Aber jetzt —«

      »Sei es nicht mehr nötig, meinst Du? Jetzt müsste es erst recht sein. Aber ich will Dir etwas sagen. Eine Frau, die beste wie die schlechteste, zähmt kein Mensch, wenn sie sich nicht selbst zähmt. So wird es auch mit Deiner Frau sein, sie wird sich selbst zähmen.«

      »Aber wann wird das sein?«

      »Wenn es auch in ihr zum Durchbruch kommt, wie es jetzt bei Dir dazu gekommen ist.«

      »Du meinst, wenn sie mich so recht liebte, wie ich sie jetzt liebe.«

      »Das meine ich nicht. Sie liebte Dich, wie nur ein Herz lieben kann; das sah man in Göttingen. Aber der Durchbruch kommt in dem einen Menschen so, in dem andern anders.«

      »Und wie in Gisbertinen?«

      »Wer kann ein launenhaftes Weib messen?«

      »Aber heilen kann die Liebe sie!«

      »Wieder eine Phrase!«

      »Du kennst die Liebe nicht, Onkel Florens!«

      »So, Bursche? Du meinst, weil ich dieses Kreuz trage?«

      Gisbert hatte nach dem Kreuze des Domherrn geblickt.

      »Wer nimmt sein Kreuz auf sich? Wer nahm das Kreuz auf sich, das uns das Symbol des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, vor allem der Liebe ist? Hat je einer mehr geliebt?«

      Der Neffe wollte den Onkel auf die Worte ansehen.

      Der Domherr fuhr wieder ruhiger fort:

      »Aber ich will Dir etwas anderes sagen. Es gibt ein Universalheilmittel für Frauen in der Welt; das ist die Liebe der Mutter. Durch Herz und Mund und Augen der Kinder spricht Gott. Ob freilich auch bei ihr?«

      »Wie?« rief Gisbert. »Wie, Onkel Florens?«

      »Was macht Dein Freund Franz Horst?« fragte der Domherr.

      »Onkel —«

      »Was macht Franz Horst?«

      »Er studiert fleißig.«

      »Er ist ein Prachtmensch.«

      »Und er wird seine Karriere machen, Onkel Florens; aber —«

      »Mein Freund, seit wann machen Prachtmenschen bei uns eine Karriere? Was wird zum Beispiel aus dem braven Mahlberg werden?«

      »Onkel Florens, Du sprachst ein Wort aus —«

      »Ja, Freund Gisbert, das aber auf den armen Mahlberg nicht passt. Ihn rettet gar nichts mehr, keine Liebe, keine — aber was ist denn das?«

      »Ein allerliebstes hübsches Mädchen, Onkel Florens.«

      »Und wahrhaftig, es ist die Braut.«

      »Welche Braut, Onkel?«

      Der Domherr antwortete nicht.

      Ein allerliebstes hübsches Mädchen ging auf der Landstraße vor ihnen her. Sie trat zur Seite, den Wagen vorbei zu lassen. Da hatte der Domherr sie erkannt.

      »Halt, Kutscher!« rief er.

      Der Kutscher hielt.

      »Wohin des Weges, Mamsell Henriette?« fragte der Domherr das Mädchen.

      Auch sie erkannte ihn.

      »Noch Ovelgönne, Euer Gnaden.«

      »Ei, da fahren Sie mit uns. Gisbert, steig’ aus. Hilf der Mamsell in den Wagen.«

      Der junge Freiherr musste aussteigen.

      »Ich bitte«, sagte er zu dem Mädchen.

      Er sagte es etwas vornehm, sauersüß.

      Das Mädchen, wie allerliebst hübsch er selbst es gefunden hatte, sah nur aus wie etwa eine Kammerjungfer oder Kellnerin oder dergleichen. Und er war doch immer der vornehme westfälische Edelmann. Aber sein Onkel hatte befohlen.

      Die Kellnerin war glühend rot geworden.

      »Es passt sich nicht für mich!« sagte die Glut ihres frischen Gesichts.

      »Keine Umstände!« rief der Domherr. »Oder soll ich selbst aussteigen und Sie hereinholen?«

      Sie machte keine Umstände mehr.

      »Und hierher an meine Seite!« sagte der Domherr.

      »Du setzest Dich auf den Rücksitz, Gisbert.«

      Auch das musste so geschehen.

      Als der Wagen dann weiterfuhr, beantwortete der Domherr die Frage seines Neffen. Aber noch nicht so gleich.

      »Mein Neffe Gisbert von Aschen«, stellte er zuerst diesen dem Mädchen vor.

      Und darauf sagte er: »Mamsell Henriette Brand, Kellnerin in der Dahlheimer Sägemühle und —«

      Dem jungen Freiherrn gab es doch einen kleinen Stich.

      »Also in der Tat eine Kellnerin!« sprach die Röte, die jetzt seine Wangen färbte, die Röte eines kleinen Verdrusses.

      »Und«, fuhr ruhig der Domherr fort, »die Braut eines Kameraden von Dir, des Lieutenants Becker von Deinem Regimente.«

      Da war der junge Freiherr doch überrascht und freudig überrascht.

      »Louis Becker ist Ihr Bräutigam, Mamsell? Mein lieber Freund Louis Becker?«

      Die Kellnerin wurde nicht wieder rot. Ihre klaren Augen glänzten so glücklich.

      »Sie kennen ihn, Herr Baron?«

      »Wer kennt und liebt nicht den tapferen und treuen Kameraden? Wer in meinem ganzen Regimente wird es jemals vergessen können, wie es öffentlich auf der Parade bekannt gemacht wurde, dass der Feldmarschall ihn auf dem Schlachtfelde wegen seines besonderen Mutes zum Offizier ernannt habe? O Mamsell, die Freude, den Triumph aller hätten Sie sehen, das allgemeine Hurra hätten Sie hören müssen.«

      Konnte eine Braut stolzer und glücklicher werden, als die hübsche Kellnerin es war?

      »Louis wird sich sehr freuen, den Herrn Baron zu sehen«, sagte sie. »Er kommt auch heute nach Ovelgönne.«

      »Hm, Mamsell Jettchen, Sie haben ein Rendezvous mit ihm?«

      Der Domherr fragte es.

      »Die Mamsell Lohrmann hat uns beide eingeladen«, antwortete das Mädchen.

      Der Domherr war aufmerksam geworden.

      »Auf heute?« fragte er.

      »Zum Tanze!«

      »Alle — zum Tanze?«

      »Es ist heute Erntefest auf Ovelgönne.«

      Der Domherr war nachdenklich, ernst geworden. Sein Blick war fast trübe, wie von einer alten Erinnerung.

      Er suchte sie zu verdrängen.

      »Hm, hm«, sagte er für sich, »dazu hätte sie auch mich eingeladen? So dringend? Zum Erntefest, zum Tanzen bedarf sie meines Rates, meiner Hilfe?«

      Dann hatte er seinen Humor wieder.

      »Da leugne einer den Teufel und die Erbsünde! Soll ich mich nicht freuen, dass das brave Kind, anstatt Not und Sorge, in der sie meiner Hilfe bedürfte, Erntefest und Tanz bei sich hat?«

      Ovelgönne lag vor ihnen.

      Fröhliche Tanzmusik tönte ihnen von dem Gehöfte entgegen.

      Die Pferde liefen rascher dem Gute zu.

      Der Wagen hielt vor dem alten Herrenhause, dem altertümlichen und wunderlichen, aber umso beredteren Zeugen