Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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      »Einen Augenblick, Gisbertine! Du nanntest schon zweimal den Namen Schilden.«

      »Und er fällt Dir auf? Du sahst in Göttingen bei Gisbert einen Regierungsrat Mahlberg —«

      »Alle Wetter! Alle —« rief der Domherr. »Und der Schilden will die Tochter des Generals von Taubenheim heiraten?«

      »Und sie ihn. Ihr Vater aber will, dass sie Gräfin Westernitz werden soll.«

      »Gräfin Westernitz? Die Frau des —«

      »Des Grafen Westernitz, der mir im vorigen Jahre in Hofgeismar den Hof machte.«

      »Erzähle weiter, Gisbertine.«

      »Ich bin eigentlich fertig. Ich habe Dir nur noch zu erläutern, was demagogische Umtriebe sind. Unsere Universitäten sind angefüllt mit jungen Männern, die in der Landwehr die Feldzüge mitgemacht hatten und nach deren Beendigung zu ihren Studien zurückkehrten. Sie halten begreiflich zusammen; sie haben auch natürlich einen Gesichtskreis, der über das Studentenleben hinausgeht. Wir haben ein altdeutsches Sprichwort: Wo wir nicht mitraten, da wollen wir nicht mittaten. Das kehren sie um: Wo wir mittaten, da wollen wir auch mitraten. Und nun sehen sie, wie im Lande sich immer mehr ein anderes Sprichwort will geltend machen: Versprechen ist ehrlich und Halten beschwerlich; und sie reden von Rechten des Volks, und dass Versprechungen auch müssten gehalten werden, und das nennt man demagogische Umtriebe. Und man hat ein Gesetz gegen geheime Verbindungen erlassen oder eigentlich ein altes Gesetz zur neuen Anwendung aufgefrischt und wird in den nächsten Tagen die Demagogen geheim einfangen und inquirieren und als Hochverräter verurteilen, und zu den Demagogen gehört auch Gisbert, bei dem sogar vor einigen Wochen in Göttingen ein förmlicher Demagogenkongress gewesen sein soll, auf dem auch Du warst, Onkel Florens, und man spricht schon von einem Bunde der Alten neben dem Bunde der Jungen. Und nun warne Du Gisbert, wie ich Dich hiermit selbst gewarnt haben will.«

      Gisbertine schwieg.

      Der Domherr hatte nachgesonnen.

      »Weißt Du, Gisbertine«, sagte er, »dass wenig Logik in Deinen Mitteilungen liegt?«

      »Desto mehr Wahrheit enthalten sie, Onkel Florens.«

      »Sie waren in der Tat Dein Ernst?«

      »Zweifelst Du daran?«

      »Und nicht Ausgeburten Deiner Liebe zu Gisbert?«

      »Nein.«

      »Liebst Du Gisbert noch?«

      »Zweifelst Du vielleicht daran?«

      »Hm, nachher davon. Zu welcher jener beiden Parteien gehört Dein Onkel Steinau?«

      »Onkel Florens, er ist ein General der alten Schule.«

      »Ja, ja! Höre, Gisbertine, da fällt mir etwas ein. Dein Onkel und, ich glaube, Du selbst, Ihr spracht einmal von dem alten westfälischen Adel, der sich zu alt und zu stolz und zu vornehm dünke, um sich mit Euch drüben über der Elbe zu verbinden, selbst nur mit Euch gemeinschaftlich in den Staats- und Hofdienst einzutreten. Du hast mir heute so recht klar gemacht, warum wir das nicht können; wir passen nicht zu Euch oder vielmehr zu den andern, denn Du gehörst doch noch zu uns.«

      Gisbertine gab dem Onkel die Hand.

      »Ja, lieber Onkel Florens!« sagte sie mit großer Herzlichkeit.

      »Und nun, Gisbertine, und darum«, fuhr der Domherr fast mit Rührung fort, »komm’ mit mir nach Ovelgönne zu Gisbert; komm’, meine liebe Gisbertine!«

      Er sprach es so bittend.

      Sie hatte ihm ihre Hand gelassen; sie stand in tiefem Sinnen; ein Entschluss wurde ihr schwer, sehr schwer.

      »Oder soll er zu Dir kommen, Gisbertine? Ich hole ihn her. Er wird mir auf der Stelle folgen. Er sucht Dich ja. Darum ist er zu mir gekommen; bei mir, durch mich hoffte er Dich zu finden. Nun, Gisbertine?«

      Gisbertine hatte ihren Entschluss gefasst.

      »Nein!« sagte sie kurz, mit der ganzen Entschiedenheit und Festigkeit ihres Eigensinns, wenn es auch nur der Eigensinn ihrer Launen war.

      Sie riss hastig ihre Hand aus der des Domherrn.

      »Und Du sagst, dass Du ihn noch liebst?« sagte der Domherr. »Und Du sprachst es in einem Tone, der aus Deinem Herzen kam?«

      Sie antwortete ihm nicht.

      »Was hast Du denn gegen ihn?« rief der Domherr.

      »Er ist —« begann Gisbertine heftig und hastig.

      Sie besann sich, und ruhig und stolz antwortete sie:

      »Höre, Onkel Florens, eine Frau darf nie ihren Mann anklagen; nicht einmal bei ihrer Mutter, der sie alles, alles andere anvertrauen mag. Eine schlechte Frau, die gegen irgendjemand etwas Böses von ihrem Manne sagt!«

      Der Domherr nahm doch wieder ihre Hand.

      »Du bist doch eine brave Frau, Gisbertine, trotz alledem. Und Ihr beiden werdet wieder zusammenkommen!«

      »Um glücklicher zu werden, Onkel?« rief Gisbertine wieder leidenschaftlich.

      Er sah sie verwundert an.

      »Ja, ja, Onkel Florens, es gibt Herzen, die sich nur lieben, nicht heiraten dürfen, wenn sie glücklich bleiben wollen.«

      Der Domherr aber erwiderte ihr:

      »Höre, Dame Gisbertine, es gibt Menschen, die Narren sind. Und nun noch eine Frage. Warum hast Du die weite Reise zu mir gemacht? Warum hast Du mir nicht geschrieben, was Du mir zu sagen hattest?«

      Dame Gisbertine war wieder in ihrer vollen, prächtigen Ruhe.

      »Hättest Du nie etwas vom Briefgeheimnis gehört, Onkel Florens?«

      »Eben darum konntest Du schreiben.«

      »Das Briefgeheimnis, lieber Onkel, ist in manchen Zeiten da, um nicht beachtet zu werden.«

      »Dir war also viel daran gelegen, dass Gisbert nicht verhaftet werde?«

      »Zweifelst Du?« sagte sie wieder.

      »Hm, Gisbertine, so habe ich Dir noch eine Erklärung zu geben. Ich werde Gisbert nicht warnen; ich werde ihm kein Wort von dem mitteilen, was Du mir gesagt hast; ich werde ihm nicht sagen, dass ich Dich gesehen habe. Gehe selbst zu ihm.«

      Gisbertine blieb ruhig.

      »Wenn Du das vor Deinem Gewissen verantworten kannst, Onkel Florens.«

      »Ist das Dein letztes Wort, Gisbertine?«

      »Mein letztes Wort ist: Adieu, Onkel!«

      Sie rief ihren Kutscher, sie stieg wieder in den Wagen.

      »Teufel!« fluchte der Domherr leise. »Wohin gehst Du, Gisbertine?«

      »Ich weiß es nicht. Adieu!«

      »Adieu!«

      Der Wagen fuhr mit Dame Gisbertine davon.

      »Teufel!« fluchte der Domherr noch einmal. »Und doch ist sie kein Teufelskind, sondern ein recht armes Menschenkind mit ihrem ganzen reichen Schatz an Liebe. Und wie viel wird noch dazu gehören, bis sie ihn heben kann, bis der Bann gelöst ist, unter dem er für sie vergraben liegt, unter dem sie selbst sich ihn vergraben hält!«

      Er kehrte mit Bernhard zum Gute zurück.

      »Sage keinem Menschen, mit wem ich sprach«, befahl er dem Burschen.

      Er konnte sich auf ihn verlassen.

      Unterwegs regte sich das Gewissen in ihm. Gisbertine hatte ihn ja daran gemahnt.

      »Ob ich bei meiner Drohung bleibe, dem Gisbert nichts sage? Sie kommt nicht zurück, nicht zu ihm. Sie ließe in ihrem Eigensinn und Trotz ihn hängen und köpfen, um dann