Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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Florens«, sagte der Neffe, »es ist noch ein anderer armer Teufel hier, dem die Frau entlaufen ist.«

      »Was geht das mich an?«

      »Mahlberg.«

      »Ah, ah, und was will er?«

      »Das wird er Dir selbst sagen.«

      Der junge Freiherr ging, und nach wenigen Minuten trat der Freund herein, der mit ihm von Göttingen gekommen war. Er und der Domherr begrüßten sich schweigend. Der Domherr kannte ja das ganze schwere Leid des braven Mannes.

      Der Regierungsrat Mahlberg war der kurz und schnell entschiedene Mann

      »Herr Domherr, Sie haben sich meiner Frau an genommen. Meinen Dank dafür habe ich Ihnen schon ausgesprochen. Darf ich mir jetzt eine Bitte an Sie erlauben?«

      »Teilen Sie sie mir mit, braver Freund.«

      »Sie ist die, mir den Aufenthalt meiner Frau zu nennen. Sie verweigerten es mir bisher.«

      »Warum wollen Sie ihn wissen?«

      »Ich muss mich mit meiner Frau in Verbindung setzen.«

      »Mündlich oder schriftlich?«

      Mahlberg sann nach. Er hatte die Frage wohl nicht erwartet.

      »Briefe könnte ich besorgen«, warf der Domherr unterdes hin.

      »Mündlich«, sagte Mahlberg.

      »Nein«, war die kurze Antwort des Domherrn.

      »Es ist notwendig, Herr Domherr.«

      »Für wen?«

      »Für meine Frau wie für mich.«

      »Hm, mein Freund, beantworten Sie mir eine Frage Sie lieben Ihre Frau noch?«

      »Ja.«

      »Und was soll nun werden, wenn Sie Ihre Frau wiedersehen?«

      »Ich habe ihr Vorschläge für unsere beiderseitige Ruhe und Zukunft zu machen.«

      »Aber was soll dann werden? frage ich. Ehe Sie mir darauf antworten, noch eins. Ihre Frau liebt auch Sie noch.«

      Mahlberg nickte stumm.

      »Und nun, wenn Sie sie wiedersehen, können zwei Dinge passieren, nur die zwei. Sie nehmen Ihre Frau wieder auf oder Sie nehmen sie nicht wieder auf. Wozu sind Sie entschlossen?«

      Mahlberg wollte sofort antworten; sein Entschluss schien hier festzustehen.

      Der Domherr kam ihm zuvor.

      »Überlegen wir. Wenn Sie sie nicht wieder aufnehmen, warum dann ein Wiedersehen, eine Entsagungsszene, die Ihnen beiden das Herz brechen muss? Ihre Frau — ich sah sie noch vor acht Tagen — lebt jetzt ruhig in dem Gedanken der unabweisbaren Notwendigkeit der Trennung von Ihnen. Ein Wiedersehen, zumal wenn es von Ihrer Seite ausginge, würde ihre Überzeugung von dieser Notwendigkeit erschüttern, ihr ihre Ruhe nehmen. Wollen Sie sich aber wieder mit ihr vereinigen, dann würden zwei schwere Fragen eintreten. Zuerst würde man Sie nach den Standesbegriffen von der Ehre ans dem Offiziersstande ausstoßen. Würde ein so tapferer Offizier das verschmerzen können? Aber es wäre das geringere Übel. Das weit größere und schwerere wäre, Ihre Frau würde Ihre Sklavin werden, und das steht weder in der Bibel, noch taugt es im Leben. Jetzt antworten Sie mir.«

      Aber jetzt antwortete Mahlberg nicht.

      Er war wohl mit seinem Entschlusse fertig gewesen; aber manche Menschen fassen Entschlüsse, ohne vorher alles reiflich zu überlegen; brave Menschen können aber nachher, auch wenn sie die festesten und entschiedensten sind, bei einer bessern Überzeugung auch andern Sinnes werden.

      »Herr Domherr«, sagte Mahlberg, »darf ich jetzt eine andere Bitte an Sie richten?«

      »Heraus damit!«

      »Ich wollte meiner Frau die gerichtliche Scheidung vorschlagen. Diese sollte in der Art stattfinden, dass meine Frau nicht kompromittiert würde und dass sie zugleich immer rechtlich von mir ihr standesmäßiges Auskommen erhielte. Dazu müsste ich für den schuldigen Teil erklärt werden, und hierfür müssten vorher bestimmte Verabredungen zwischen uns stattfinden. Das sollte der Zweck meines Wiedersehens mit ihr sein. Wollen Sie die Güte haben, die Unterhandlung darüber mit ihr zu führen?«

      Der Domherr war verlegen geworden.

      »Hm, hm, lieber Herr, das ist ein verzweifeltes Ansinnen. Ich bin Geistlicher. Die Kirche sieht die Ehe als ein Sakrament an, als etwas Unauflösliches. Und ich soll Ihr Scheidungsagent werden!«

      »Meine Frau und ich sind protestantisch, Herr Domherr!«

      »Alle Wetter, desto schlimmer! Nur bei Euch eben kann die Ehe getrennt werden, nicht bei uns. Und doch ist auch Eure Ehe eine christliche. Und eine christliche Ehe soll nicht getrennt werden.«

      »Auch nicht, wenn sie schon innerlich getrennt, zerrissen, nichtig ist?«

      »Redensarten! Wer kann das sagen? Wer kann sich vermessen, das zu sagen? In der Schweiz haben sie ein Strafgesetzbuch, in dem steht: Ein unverbesserlicher Dieb soll gehängt werden. Heißt das etwas? Welcher Mensch ist unverbesserlich? Welcher Richter will da einen Mord auf sich nehmen? Ja, ja, einen Mord!«

      Der Domherr hatte sich fast in Eifer geredet. Der Grund?

      »Herr Domherr«, sagte Mahlberg, »Sie sprachen es vorhin selbst aus, dass meine Frau und ich niemals wie der als Ehegatten zusammenleben könnten, leben dürften!«

      »Ich war ein Narr!« rief der Domherr.

      Damit hatte er freilich seine geistliche Überzeugung gerettet. Denn diese und nicht seine äußerliche kirchliche Stellung war es bei dem braven, ehrlichen Mann, was ihn in den Konflikt mit sich selbst gebracht hatte. Aber er wusste diesen zu lösen.

      »Ich will mit Ihrer Frau sprechen«, sagte er.

      »Und ihr alles sagen, was ich Ihnen sagte?«

      »Zum Kuckuck, ja. Aber auch alles, was ich Ihnen sagte!«

      »Sie sind ein Mann von Ehre und Gewissen, Herr Domherr!«

      »Hm, hm, Gewissen?«

      »Aber nun noch eine Bitte, Herr Domherr.«

      »Noch eine?«

      »Nennen Sie mir jetzt den Aufenthalt meiner Frau. Ich will sie nicht sprechen. Ich möchte sie nur sehen, nur noch einmal.«

      »Ohne dass sie Sie sieht?«

      »Ich verspreche es Ihnen.«

      »Hm, wir sind alle schwache Menschen. Ihre Frau ist hier in der Nähe, in Ovelgönne. Ich muss heute Nachmittag mit dem Gisbert hinfahren. Wollen Sie uns begleiten?«

      »Ich werde zum Abend nachkommen.«

      »Sie haben Recht; es ist sicherer. Aber zu Mittag essen Sie mit uns.«

      Das nahm Mahlberg an.

      »Noch eins«, sagte der Domherr. »Hinter dem Herrenhause zu Ovelgönne liegt ein Garten, hinter dem Garten ein Birkenwäldchen. Seien Sie, wenn es völlig dunkel geworden ist, in dem Wäldchen. Sie werden es schon finden.«

      »Sie wollen?« fragte Mahlberg.

      »Ihnen nichts versprechen.«

      Sie aßen zu Mittag. Dann fuhren der Domherr und der Neffe nach Ovelgönne.

      »Aber, Gisbert«, sagte der Domherr unterwegs, »hatte Gisbertine in der Sache nicht Recht?«

      »Was willst Du damit sagen, Onkel?«

      »Dass sie keine Studentenfrau spielen wollte!«

      »Ich will ihr ja alles abbitten, wenn ich sie nur wiederfinde.«

      »Hm, Gisbert, um sie dann schon nach drei Tagen wieder in die Flucht zu jagen? Gisbertine