Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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nur ihre Stimme vernimmt, dass die Stimme des Volks nicht zu ihm dringen kann.

      Sie will dadurch ihre alten Privilegien wahren, jene, von denen ich sprach; sie schützt die Erhaltung des Throns vor, aber sie stürzt den Thron. Haben Ew. Exzellenz noch einen Befehl für mich?«

      Und der Obristlieutenant Friedrichs blickte den General von Taubenheim mit seinem ganzen festen Stolze an.

      Der General hatte sich verfärbt. Er sann auf eine Antwort; er hatte sie vielleicht schon und suchte nach dem Mute, sie dem stolzen, festen Mann gegenüber auszusprechen. So stand er schweigend.

      Auch der Obristlieutenant sprach nicht mehr; er verbeugte sich stumm und verließ mit seinem ruhigen, festen Schritte das Zimmer.

      Der General fand die Sprache wieder, wenn auch nur für sich.

      »Den Thron umstürzen? Ah, ah, die Partei des Umsturzes wird bald an das Licht kommen.«

      Der Bediente trat wieder ein.

      »Lieutenant Becker!« meldete er.

      »Lieutenant Becker?« sagte der General, sich vergeblich auf den Namen besinnend.

      »In einer sehr abgetragenen Landwehruniform«, sagte der Bediente.

      »Ah, ein Landwehrlieutenant! Dazu passt auch der Name! Ein Bettler? Eintreten!«

      Der Obristlieutenant Friedrichs war mit jenem ruhigen Stolze in das Vorzimmer zurückgekehrt Er suchte mit den Augen den Lieutenant Becker; er trat zu ihm.

      »Sie werden jetzt vorkommen. Ich warte unten auf der Straße auf Sie.«

      »Es wird mit mir lange dauern, Herr Obristlieutenant.«

      »Haben Sie so viel zu bitten?«

      »Das nicht. Aber ich werde dem Herrn General die Wahrheit sagen.«

      »So werden wir uns desto früher wiedersehen.«

      Der Bediente des Generals bat den Landwehrlieutenant, in das Zimmer des Generals zu treten.

      Der Obristlieutenant verließ das Zimmer.

      Der Lieutenant trat zu dem General ein; gerade, mit dem gebräuchlichen militärischen Gruße; er war in Uniform, der General war es auch.

      Der General rührte sich nicht. Gegen den Landwehrlieutenant in der abgeschabten Uniform, mit dem plebejischen Namen Becker, gegen den Bettler wollte er nicht einmal stolz sein, nur vornehm.

      »Was wünschen Sie?«

      Der Lieutenant Becker nahm das vornehme Wesen etwas leicht auf, als wenn er schon viel mit vornehmen Herren umgegangen sei und sie kenne.

      »Ich bin der Lieutenant Becker, Exzellenz«, sagte er.

      »Der Bediente hat mir Ihren Namen genannt.«

      »Ich bin Landwehrlieutenant, Exzellenz.«

      »Ich sehe es an Ihrer Uniform.«

      »Ich trage das Eiserne Kreuz!«

      »Ich sehe auch das.«

      Der General erwiderte das noch in seiner vornehmen Weise. Aber er musste doch den abgeschabten Landwehrlieutenant näher ansehen.

      Der junge Mann schien mit einem so eigentümlichen Humor gesprochen zu haben. Und ein Schalk schien sich auch hinten in seinen lebhaften Augen verbergen zu wollen. Diese Augen schlug er vor dem forschenden Blicke des Generals nicht nieder.

      Und so fuhr er keck fort:

      »Wissen Exzellenz, was ich früher war, ehe ich in die Landwehr eintrat?«

      »Wie kann ich das wissen!«

      »Ich war Kellner.«

      »Ah!«

      »Kellner in einem Café, bei einem Billard. Es war ein gutes Geschäft; ich hatte mein Auskommen. Ich gab es freiwillig auf; ich trat als Freiwilliger in die Landwehr.«

      »Darf ich fragen, warum Sie mir diese Ihre Antecedentien mitteilen?«

      »Exzellenz, ich komme mit einer Bitte zu Ihnen.«

      »Sie wäre?«

      »Man hat den Landwehroffizieren eine Versorgung nach Beendigung des Kriegs versprochen. Sie sollten bei Anstellungen, zu denen sie befähigt sind, vorzüglich berücksichtigt werden. Ich wäre nun zu mancher Stelle befähigt.«

      »Sie müssen sich an den Kriegsminister wenden.«

      »Der Kriegsminister schickt mich zu Ew. Exzellenz. Sie sind im Kabinett Seiner Majestät des Königs.«

      »Im Kabinett des Königs ist keine Stelle für Sie zu vergeben.«

      »Hm«, sagte der Lieutenant Becker, der vormalige Kellner in seinem vollen Humor für sich, aber laut genug, dass der General es hören musste, »hm, also wirklich von Pontius zu Pilatus.«

      Der General wandte sich um, zum Zeichen, dass die Audienz zu Ende sei.

      Aber der Lieutenant ging noch nicht.

      »Exzellenz«, sagte er, »vor allen Dingen muss man leben.«

      Der General antwortete ihm nicht.

      »Und um in dieser Welt leben zu können, muss man sich sein Brot verdienen können.«

      Es wurde ihm wieder keine Antwort.

      »Und um etwas verdienen zu können, muss man etwas verstehen.«

      Der General schwieg.

      »Nun verstehe ich nur zwei Dinge, mit denen ich mir mein Brot verdienen könnte. Ich könnte in einem Büro arbeiten, aber die Regierung will mich trotz jener Versprechungen des Königs nicht anstellen.«

      Er machte noch einmal eine Pause; er erhielt wieder keine Antwort; er fuhr fort:

      »So bleibt mir nur übrig, zu meinem früheren Geschäft zurückzugreifen; ich werde wieder Kellner. Es wird zwar wunderbar aussehen, wenn ich am Billard die Points markiere, die Beine aufsetze, den Herren Kaffee und Fidibus serviere, alles in der Uniform eines preußischen Offiziers und mit einem preußischen Ritterorden auf der Brust; aber vor allem muss man leben.«

      Er wollte gehen.

      Der General hatte sich rasch umgewandt.

      »Haben Exzellenz noch etwas zu befehlen?« sagte auch der Lieutenant, der wieder Kellner werden wollte.

      Der General hatte noch etwas zu befehlen; sehr kurz und trocken sprach er:

      »Zu Ihrem früheren Metier können Sie zurückkehren; das verwehrt Ihnen niemand. Sollten Sie aber dabei Ihre Uniform oder Ihren Orden tragen, so werden Sie als ein Ehrloser kassiert.«

      »Weil ich ehrlich leben will?« sagte der Offizier. »Aber fürchten Sie nichts, Exzellenz. Mir steht der preußische Offizier höher, als man ihn hier scheint schätzen zu können.«

      »Rauben Sie mir meine Zeit nicht länger«, sagte der General.

      Aber da hatte der Landwehrlieutenant doch noch eine Bemerkung für den hochstehenden General.

      »Exzellenz, es war gerade vor einem Jahre, als wir im heißen Kampfe bei Belle-Alliance standen, viele Tausende von Landwehrmännern, die freiwillig Haus und Hof, Beruf und alles verlassen hatten, um für König und Vaterland zu siegen oder zu sterben. Wir siegten. Wir werden dafür heute wie Bettler behandelt.«

      Er ging.

      Unten auf der Straße traf er den Obristlieutenant.

      Sie teilten einander die Unterredungen mit, die jeder von ihnen mit dem General gehabt hatte.

      »Das ist unser Lohn!«

      »Das ist der Lohn der Welt!«

      »Was wird weiter aus diesem schönen Institute der Landwehr werden?«

      »Aber was wird aus uns werden?« sagte der Lieutenant Becker.

      »Begleiten