Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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des zum Opfer bestimmten Knaben. Die Priester erheben ein furchtbares Geschrey um Hülfe, das den ganzen Wald durchdringt und von allen Seiten Gewaffnete herbeyführt. Allein die Schwerter der Ritter fallen zerschmetternd und zernichtend, zerstreuen die Haufen der Göttendiener, brechen sich überall blutige Bahn, und dringen siegend in die Nähe des gefesselten Knaben. Da drängen sich die Priester in dichten Reihen und in immer engeren Kreisen um ihr Opfer, und suchen es schnell zu ersticken, ehe die freche Hand der Räuber es erreichen können.

      Als das die beyden Ritter sahen, ließen sie vom Kampfe nach, und baten mit milderer Stimme um Freylassung des Knaben, und erboten sich, dafür mit den wilden Thieren, den Bären, Wölfen und Löwen zu kämpfen, die den Gott bewachten. Ihr Erbieten wurde angenommen, und die Ungethüme fielen brüllend unter den nervigen Fäusten der Ritter. Aber anstatt den Knaben freyzulassen, erhoben die Priester jetzt von neuem wildes Geheul und wehklagten über die Beleidigungen, die ihren Göttern widerfahren seyen. Und wie nun von allen Seiten neue Haufen von Kriegern herbeystürzten, ihren Götzen zur Hülfe, da wurden die Ritter von der Macht der gegen sie Anstürmenden fast erdrückt, ihre Rosse sanken todt unter ihren Leibern dahin, und die durch so vielfache und schwere Anstrengungen Erschöpften mußten ohnmächtig erleiden, wie auch sie in Fesseln geschlagen wurden.

      Laute Freudengeschreye durchjubelten jetzt den Wald, und jauchzend wurden der Knabe und die beyden Ritter zu dem Altare geschleppt, um auf der Stelle der beleidigten Gottheiten geopfert zu werden. Aber da trat hinter einer heiligen Eiche die Oberpriesterin des Gottes hervor, ernst und majestätisch, eine hohe Gestalt, angethan mit weißen, wallenden Kleidern, das Antlitz mit einem dichten Schleyer bedeckt, und überschaute mit einem ernsten, klaren Auge den empörten Haufen, und kein Laut wurde mehr gehört, und keine Gestalt bewegte sich mehr.

      Lange dauerte diese Stille, wie des Grabes. Da trat der erste Priester hervor und sprach mit dem Tone der Demuth: Heilige Jungfrau, wir bringen die drey Opfer, dem beleidigten Gotte zur Sühne! Befiehl, daß sie geschlachtet werden, damit ihr Blut den Ewigen angenehm sey, und sie unseren Waffen Sieg verleihen mögen.

      Die Blicke der Jungfrau weilten lange auf den drey unglücklichen Schlachtopfern, anfangs kalt und ruhig, als wenn Beruf und Gewohnheit sie gegen den schrecklichen Anblick schon abgestumpft hätten. Auf einmal aber wurden sie unruhig, und dunkle Gluth färbte schnell ihre bleichen Wangen, um einen Augenblick darauf der Blässe des Todes Platz zu machen. Sichtbar durchzuckte ein tiefer Schmerz ihre Seele, allein mit bewunderungswürdiger Gewalt sammelte sie sich rasch, und, indem sie das Auge zum Himmel emporhob, und dann langsam auf die Versammlung vor sich wieder niedersinken ließ, sprach sie mit fester, ruhiger Stimme: Der Opferplatz ist entheiligt durch freches, wildes Kampfgetümmel! Heute darf den Göttern kein Blut hier fließen! Kehret morgen zurück. Wenn der Mond heute Nacht seinen höchsten Punkt erreicht hat, werde ich den Willen der Götter erforschen, und morgen ihn Euch verkünden! Entfernt Euch jetzt, damit der Hayn von den heutigen Gräueln gereinigt werden könne.

      Die Menge wollte ehrerbietig dem Befehle der den Göttern heiligen Jungfrau gehorchen. Aber der Oberpriester hielt sie. Er hatte das Erbleichen der Priesterin bemerkt, und seine tückische Seele ahnte Verrath. Jungfrau! sprach er hastig, aber ohne die Ehrfurcht aus den Augen zu setzen, die er der Oberpriesterin schuldig war. Es sind schon größere Gräuel hier verübt worden, und doch floß Blut den Göttern, und es war ihnen angenehm!

      Eine halbe Sekunde lang senkte sich das dunkle Auge der Priesterin, wie aus Verlegenheit, schnell aber erhob es sich wieder klar und mit zürnendem Strahle. Verwegener! rief sie; Mögen die Götter ein Zeichen geben, um ihren Willen zu verkünden!

      Und wie sie kaum die Worte gesprochen hatte, erhob sich fernes dumpfes Getöse im Walde, das immer näher kam, und immer lauter und verwirrter wurde. In angstvollem Harren stand der ganze Kreis, der das von der heiligen Jungfrau herabbeschworene Zeichen der Götter herannahen zu sehen fürchtete.

      Fliehet! Fliehet! riefen tausend herandringende Stimmen auf einmal, und die Nähe des Altars füllte sich mit bleichen Gesichtern. Der große Schlächter nahet, hoch das Christenschwert schwingend, Tausende unserer Brüder sind schon vor ihm gefallen! Fliehet, Ihr Priester und Priesterinnen! Fort mit den Heiligthümern vor seinen entweihenden, Händen!

      Blasse Furcht ergriff das Chor der Priester. Sie rafften zusammen, was sie greifen konnten, Heiligthümer und Kostbarkeiten, und flüchteten damit in die nahe feste Fresburg. Auch die Gefangenen vergaßen sie nicht, schleppten sie mit sich, und warfen sie in die Gefängnisse der Burg, um bey der ersten Gelegenheit, wo es einer Erregung, einer öffentlichen Anfeuerung des Volkes bedurfte, ihr grausames Schicksal an ihnen zu vollziehen.

      Das gewaltige Heer Kayser Carl des Großen überschwemmte jetzt den heiligen Wald. Siegreich war der Kayser von Franken bis an die Diemel gekommen, jeder Widerstand gegen seine ungeheure Macht war vergeblich gewesen, alles hatte sich vor ihr demüthigen, sich ihr unterwerfen müssen. Hier an der Diemel aber fand er zuerst einen kräftigen Widerstand, der um so nachtheiliger auf sein Heer wirkte, je unerwarteter er war. In den undurchdringlichen Urwäldern Westphalens fand das Heer keine Lebensmittel; Hunger und Durst griffen mit entsetzlicher Gewalt um sich, und entkräfteten den Krieger, der gerade hier, um aus dem Gewinde der Waldungen zu kommen, die meisten Kräfte nöthig hatte. So kamen sie in den heiligen Wald, erschöpft vor Hunger, noch mehr aber vor brennendem Durste. Als sie aber das Ungethüm der Irmissäule auf hohem Altare vor sich erblickten, da erwachte, trotz Erschöpfung und Ermattung, noch einmal ihr wilder Muth. Herunter mit dem Götzen! rief der große, fromme Kayser! Und tausend Hände und tausend Waffen waren beschäftegt, schneller seinem Befehl zu vollstrecken, als er ihn ausgesprochen hatte. Zerschmettert, mit weithin durch den Wald schallendem Donner stürzte der Gott von seinem Gestelle, flog der Altar auseinander.

      Und siehe! in demselben Augenblicke öffnete mit fröhlichem Gemurmel sich ein reicher Quell, und strömte sein klares Wasser dem erstau ten Carl entgegen. Es war der Bullerborn, den die Priester, um das Volk durch einen verspiegelten Zorn der Götter desto mehr zu entflammen, durch eine im Altare der Irmensäule angebrachte Vorrichtung aufgehalten hatten. Der fromme Kayser aber glaubte ein Wunder zu sehen und fiel auf die Knie und dankte laut Gott, während das Heer jauchzte und an der köstlichen Gabe des Himmels sich erquickte.

      Wie sie aber noch sich freuten und labten, da wankte mühsam ein blinder Greis herbey; der rief mit jammernder Stimme: O gebt mir mein Kind wieder! Gebt mir meinen Knaben zurück! – Die Stimme des Greises durchschnitt die Herzen Aller, die ihn hörten. Der Kayser ließ ihn vor sich kommen, und als er die Schicksale des unglücklichen Clodoald erfahren, schwur Carl, ihm sein Kind zurückzugeben.

      Bald darauf meldeten Kundschafter dem Kayser, daß das ganze Heer der Sachsen, ihre Vornehmen und Heerführer und Priester sich in die Veste Fresburg geworfen hätten, und dort jedem Angriffe zu trotzen bereit waren. Schnell ließ Carl sein Heer gegen die Veste aufbrechen und diese stürmen. Der Kampf war hart, blutig, grausam, aber das Heer der Christen siegte über die blinde Verzweiflung der Heiden. Die Veste wurde genommen, die am Leben gebliebenen Sachsen mußten sich unterwerfen.

      Der Kayser hatte seines Versprechens, das er dem blinden Clodoald gegeben, nicht vergessen. Alsbald nach der Einnahme der Fresburg ließ er die Gefängnisse derselben durchsuchen, und Hyazinth und die beiden Ritter, die ihn hatten befreyen wollen, Faustinus und Ischyrion mit Namen, wurden aus dunkler Kerkernacht an das Licht der Freyheit hervorgezogen. Mit ihnen aber auch die Oberpriesterin, die von unerklärlichem Mitleid für die gefangenen Jünglinge sich hatte hinreißen lassen, einen Versuch zur Befreyung derselben zu machen; dieser war jedoch durch den Verrath einer Priesterin mißglückt, und auch sie darauf in strenge Haft geworfen worden.

      Thränen der Wehmuth und Freude entstürzten den blinden Augen des Greises, und den frommen des Knaben Hyazinth, als sie sich wieder hatten, und einander wieder an die liebenden Herzen drücken konnten. Laut dankte der edle Greis dem Himmel, daß er ihm die zwey Erstgebornen genommen, sein Alter doch nicht ganz hülflos gelassen habe.

      Die Ritter des Kaysers, die Zeugen des Auftritts waren, wurden auf das innigste gerührt, die beyden fremden Ritter aber und die Oberpriesterin wurden sehr unruhig. Und die letztere und der Ritter Ischyrion naheten sich dem Greise, und fragten ihn gleichzeitig, ob seine verlorene Erstgebornen nicht Clodoald und Hildegardis geheißen, und ob