Noch eine letzte Neuinszenierung stand Wunderlich bevor, und nochmals ein Rollendebüt. Am 18. Juli sang er erstmals den Fenton in Otto Nicolais Oper Die lustigen Weiber von Windsor. Eine deutsche Spieloper, nach herkömmlicher Begriffsbildung, ein biedermeierliches, betuliches Rührstück und nicht viel mehr. Die Spielopern Lortzings und Otto Nicolais standen und stehen auch heute nicht sonderlich hoch im Kurs. Wunderlich war da allerdings ganz anderer Meinung: »Das ist für mich ein besonders reizvolles Gebiet. Wir lyrischen Tenöre haben den dramatischen und heldischen Tenören voraus, daß wir auch leichte Opern und Operetten singen können. Und ich bin der Meinung, daß ein Komponist wie Lortzing einem Tenor die gleichen Probleme bietet wie Mozart. Auch da kommt es darauf an, präzise zu intonieren; und das ist nicht einfach. Außerdem verlangt gerade die Spieloper ein ausgeprägtes Stilgefühl.«[139] Wunderlich nahm die deutsche Spieloper genauso ernst wie Mozart, weil er intuitiv spürte, daß die technischen Anforderungen, die beide Komponisten an die Sänger stellen, groß sind – größer, als sie meistens veranschlagt werden. Wen sollte es also noch wundern, wenn sich Wunderlich, der erfolgreiche Mozart-Tenor, mit dem Fenton eine neue Paraderolle eroberte? »Ein Sonderlob gebührt Fritz Wunderlich«, resümierte die Stuttgarter Zeitung am 20. Juli 1957. »Sehr bestimmt und gemessen auftretend, gelang ihm darstellerisch und gesanglich der elegante junge Liebhaber.«
Der elegante junge Liebhaber. Bereits wenige Wochen später sollte er diese Rolle mit einer ganz anderen vertauschen. Am 26. August nämlich wurde er Vater. »Am 25. August haben wir noch unseren ersten Hochzeitstag gefeiert, in Berlin, nach der Ansbacher Bachwoche. Und einen Tag später ist sie dann zur Welt gekommen – die Tochter Constanze.«[140] Gleich für zwei Konzerte hatte ihn Karl Richter diesmal nach Ansbach verpflichtet. Am 24. Juli wirkte Wunderlich im Eröffnungskonzert der Bachwoche in der Gumbertuskirche mit – Bachs Matthäus-Passion –, und eine Woche später stand die Johannes-Passion auf dem Programm. Wobei Wunderlich in beiden Aufführungen nur die Tenorarien sang; die Evangelistenpartie übernahm der englische Tenorkollege Peter Pears.
Daß Wunderlich mit seiner Frau anschließend einige Wochen in Berlin verbrachte, hatte seinen besonderen Grund. Zusammen mit Kurt-Heinz Stolze bereitete Wunderlich eine Schallplattenaufnahme von Schuberts Liederzyklus Die schöne Müllerin vor. Eine Produktion für den Europäischen Phonoklub, also nur für Klubmitglieder bestimmt und nicht für den regulären Schallplattenfachhandel. Dieser Hinweis ist deshalb wichtig, weil die Aufnahmen des Phonoklubs Jahre später von der Firma Ariola/Eurodisc aufgekauft und sogleich im regulären Fachhandel vertrieben wurden. Wunderlich war darüber alles andere als erfreut, und er versuchte wiederholt, den Verkauf dieser Aufnahmen zu stoppen. Zumal sie teilweise unter fast abenteuerlichen Umständen entstanden waren. Begonnen hatte es knapp ein Jahr zuvor. Wenige Wochen nach seiner Heirat wurde Wunderlich erstmals in Berlin vor den Mikrofonen erwartet: für eine Querschnittplatte von Puccinis Oper La Bohème.
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