Morde zwischen Rhein und Themse. Rita M. Janaczek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita M. Janaczek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959591270
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22. März

      Beverly sah die Tropfen über sich auf das Fensterglas fallen. Sie lauschte dem leisen Regen und Daniels gleichmäßigem Atem. Seine warme Hand lag auf ihrem Bauch, seine Stirn berührte ihre Schulter. Sie hätte endlos so liegen bleiben können. Zum ersten Mal, seit sie bei Scotland Yard arbeitete, wäre sie lieber im Bett geblieben. Sie dachte an die schlechte Stimmung, die sich schon seit Tagen durch die Reihen der Kollegen zog, an Whitefields Zustand und an die Dinge, die unter der Oberfläche brodelten, von denen sie nicht wusste, was dahinter steckte. Das einzige, das sie im Moment motivierte, war der Gedanke daran, dass Sands gegen Mittag aus Birmingham zurück sein würde.

      Whitefield hatte angeordnet, dass sich alle zur Besprechung um dreizehn Uhr in seinem Büro treffen sollten. Er ging davon aus, dass das Team dann wieder komplett sein würde. Bis dahin galt es die Zeit zu nutzen. Stanton versuchte sich noch einmal an den Nonnen. Er säuselte so zuckersüß in den Hörer, dass Beverly fassungslos den Kopf schüttelte. Trotzdem ließen sie ihn völlig im Dunkeln, was St. Williams’ Aufenthaltsort betraf. Angeblich hatten sie keinen blassen Schimmer, wo er sich herumtrieb, wenn er nicht bei ihnen war. In Stanton keimte der Verdacht, dass sie ihn womöglich doch in der Unterkunft versteckt hielten. Er beschloss, gemeinsam mit Henderson hinzufahren. Miller schloss sich an, und den beiden stand die Begeisterung darüber ins Gesicht geschrieben.

      Beverly schrieb ihren Bericht und hütete das Telefon. Sie wählte hin und wieder die London News an, ohne Erfolg. La Vince war nicht zu sprechen. In Intervallen von dreißig Minuten sah sie nach, ob Sands schon zurück war. Als sie wieder nervös über den Korridor schlich, traf sie Daniel.

      Er hielt sie kurz an und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund. „Ich hab mich gerade bei Whitefield abgemeldet. Ich muss um zwölf im Institut sein.“ Er strich über ihr Haar. „Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird. Soll ich dich anrufen?“

      Sie nickte und tauchte ihren Blick in seine Augen. Einen Augenblick lang standen sie schweigend und sahen sich nur an, dann trennten sich ihre Wege mit einem Lächeln. Sie küssten sich nicht zum Abschied, denn Miller, Stanton und Henderson kamen bereits zurück. Ihre Gesichter kündeten von Erfolglosigkeit, und Beverly sah Daniel nach, bis er hinter der Glastür im Korridor verschwand.

      Sie versuchte noch einmal, La Vince zu erreichen. Die Frau am anderen Ende des Telefons vertröstete sie wieder. Beverly entschloss sich, kurz vor Feierabend höchstpersönlich bei der London News vorbeizufahren, um zu versuchen, ihn dort aufzutreiben. Stanton schrieb eine Notiz über den Besuch bei den Nonnen, Miller war gegangen, um Kaffee zu holen. Wahrscheinlich blieb es nicht dabei, zwischendurch brauchte er immer mal wieder frische Prozente.

      Beverly verließ den Raum und ging zu Sands Büro. Noch immer abgeschlossen. Sie hörte Stimmen, die anscheinend vom Treppenhaus herkamen, sie ging in diese Richtung. Kurz vorm Treppenabsatz im Seitenkorridor vor dem Materialraum standen Sands und Miller. Sie wollte gerade auf die Beiden zugehen, als sie bemerkte, was vorging. Gibt es in diesem verdammten Laden denn nur noch Streit? Beverly drückte sich an die Wand, von dort konnte sie die beiden gut sehen.

      „Das wollen wir ja mal abwarten“, blaffte Hank und sah sein Gegenüber herausfordernd an. Sands blickte ihm seelenruhig in die Augen aber Hank wich seinem Blick aus. „Sie sind im Yard schon lange nicht mehr tragbar, Miller. Sie haben die Chancen, die man Ihnen immer wieder eingeräumt hat, mit Füßen getreten, und jetzt ist Schluss.“

      Hank grinste breit und machte einen Schritt nach vorn. „Das sieht Whitefield aber ganz anders. Er hat mich sogar für Tom Callaghers Posten vorgeschlagen. … Es war mir auch klar, dass Sie die kleine rote Schlampe ins Rennen bringen würden.“

      „Vorsicht, Miller.“ Die beiden Worte waren eher ein Flüstern, Sands Haltung blieb dabei völlig gelassen, dennoch wich Hank unwillkürlich zwei Schritte zurück.

      „Evans hat sowieso keine Chance.“

      „Das steht hier nicht zur Debatte. Sie haben keine Chance, Miller. Ich werde dafür sorgen, dass Sie vom Dienst suspendiert werden, es wird das nächste sein, was ich hier tue.“ Hank kniff die Augen zusammen. „Ach ja? Erklären Sie das doch mal dem guten Whitefield. Er wird Ihnen sagen, was er davon hält, ... nämlich gar nichts.“

      Sands lächelte, und Hank sah ihn irritiert an. „Ich weiß, dass Sie Whitefield unter Druck setzen.“

      Miller grinste. „Bluffen Sie doch nicht Sands, womit sollte ich das denn tun?“

      Kurzes Schweigen. Beverly spürte, wie die Spannung die Luft fast zum Bersten brachte.

      „Whitefield hat mir vorgestern einige Akten auf den Schreibtisch gepackt. Dazwischen lag zufällig ein Umschlag, der wohl nicht für mich bestimmt war“, bemerkte Sands völlig ruhig, und Beverly konnte den Triumph in seinen Augen sehen.

      Er brauchte nicht mehr zu sagen. Millers Gesicht wechselte im Bruchteil einer Sekunde die Farbe. Er griff in die Tasche seines Sakkos, wohl, um sich an seiner Flasche festzuhalten. „Das werden Sie bereuen“, zischte er, wandte sich ab und lief die Stufen hinunter.

      Beverly hastete eilig den Korridor entlang. Es war ja nicht gerade die feine englische Art, es war eigentlich auch nicht ihre eigene Art zu lauschen, aber zugegebenermaßen war es hochinteressant gewesen. Jetzt ging es Miller also endlich an den Kragen. Jetzt bekam er endlich, was er verdiente.

       …Dieser Umschlag, schon wieder dieser Umschlag! Sie erinnerte sich daran, wie Sands ein Kuvert vor Whitefield auf den Tisch geworfen hatte. Anscheinend war etwas darin, mit dem Miller den Superintendent in der Hand hatte. Das würde erklären weshalb Whitefield nie etwas gegen Hanks Verhalten unternommen hatte. Er hatte Angst, Miller würde ihn mit dem Inhalt dieses Umschlages diskreditieren.

      Plötzlich wurde Beverly bewusst, auf welch schmalem Grad Sands jetzt wandelte. Wenn er Miller wirklich hochnahm, wie wollte er verhindern, dass Whitefield mit abstürzte?

      Henderson und Stanton saßen nebeneinander gedrängt am Computer, sie ließen sich durch Beverlys Erscheinen nicht weiter stören. Sie setzte sich und versuchte ihr Gedankenknäuel zu sortieren. Vergeblich. Sie erhob sich wieder und heftete ihren Bericht ab. Sie ging ans Fenster. Es hatte aufgehört zu regnen, die Wolkendecke riss allmählich auf, und man konnte ahnen, dass irgendwo dahinter die Sonne versteckt war. Es klopfte, Sands winkte sie hinaus auf den Korridor. Er sah besorgt aus.

      „Wie war’s in Birmingham?“, wollte sie wissen.

      Er antwortete nicht auf ihre Frage. „Ich muss unbedingt mit dir reden, bevor wir ins Team gehen. Hast du Zeit?“

      „Ja, hab ich.“ Jetzt würden sich vielleicht einige der Fragen entwirren, die sie in den letzten Tagen beschäftigt hatten.

      Stanton warf die Tür auf und sah sie an. „Beverly, Telefon für dich. … London News.”

      Sie sah kurz zu Bill, dann wieder zu Sands. „Ich komm gleich in dein Büro, Harold.“ Sie ging zurück an den Schreibtisch und griff nach dem Hörer. Die Frau, durch die sie an diesem Tag bereits mehrfach abgewimmelt wurde, war am anderen Ende der Leitung. „La Vince hat mitgeteilt, dass er um fünf zurück sein wird. Er ruft Sie dann an. Sind Sie im Büro zu erreichen?“

      „Ich denke schon. Hinterlassen Sie ansonsten eine Nachricht in der Zentrale.“ Sie warf den Hörer auf und ging zur Tür. „Ich bin bei Sands.“ Sie verließ das Büro und blickte im Korridor kurz aus dem Fenster. Sie hielt inne. Miller kam aus einer Telefonzelle gewankt, den Kopf im Nacken, eine Flasche am Mund. Er nahm sie runter, sah sich kurz um, schraubte sie zu und steckte sie in seine Manteltasche. Dann ging er zurück zum Dienstgebäude.

      Als Beverly Sands Büro betrat, telefonierte er gerade. Sie setzte sich und sah auf die Uhr. Bis zur Dienstbesprechung waren es noch fünfzehn Minuten. Sie musterte ihn. Sie beneidete ihn nicht um die Probleme, die jetzt auf ihn zukommen würden. Wie würde er es einfädeln, Whitefield aus der Sache herauszuhalten? War das überhaupt möglich? Oder hatte er Allister am Mittwoch bereits vor vollendete Tatsachen gestellt? Das wiederum konnte sich Beverly beim besten Willen nicht vorstellen ... Dennoch, das Bild