Im Hause Rostow wurde es immer trüber.
110
Zu Beginn des neuen Jahres kündigte Nikolai seiner Mutter seinen festen Entschluß an, Sonja zu heiraten. Die Gräfin hatte schon lange bemerkt, was zwischen Sonja und Nikolai vorging und diese Erklärung erwartet. Schweigend hörte sie ihren Sohn an und sagte ihm, er könne heiraten, wen er wolle, aber weder sie noch der Vater würden ihm ihren Segen dazu geben. Zum erstenmal sah Nikolai, daß seine Mutter unzufrieden mit ihm war und daß sie bei aller Liebe für ihn nicht nachgeben werde. Kalt und ohne ihren Sohn anzusehen, sandte sie nach ihrem Mann, und als dieser kam, wollte die Gräfin ihm in Gegenwart Nikolais kurz und gut erklären, um was es sich handelte, aber sie konnte sich nicht halten, brach in Tränen des Verdrusses aus und verließ das Zimmer.
Der Graf begann Nikolai mit zaghaften Worten ins Gewissen zu reden und bat ihn, sein Vorhaben aufzugeben. Nikolai aber antwortete, er könne sein Wort nicht brechen. Der Vater schloß seufzend und augenscheinlich verlegen seine Ermahnungen und ging zur Gräfin. Bei allen Zusammenstößen mit seinem Sohn verließ den Grafen nicht sein Schuldbewußtsein wegen seiner schlechten Wirtschaftsführung und deshalb vermochte er nicht, gegen seinen Sohn zornig aufzutreten. Er mußte sich sogar sagen, wenn seine Umstände nicht zerrüttet wären, so könnte man für Nikolai keine bessere Frau als Sonja wünschen. Er wußte, daß an diesem Zustand nur er allein mit seinem Mitenka, seiner Lässigkeit und Bequemlichkeit die Schuld trage.
Die Eltern sprachen nicht mehr über die Sache mit dem Sohn, aber einige Tage darauf rief die Gräfin Sonja zu sich. Mit einer Erbitterung, die beiden unerwartet war, warf die Gräfin ihrer Nichte vor, daß sie ihren Sohn ins Netz ziehen wolle und ein undankbares Geschöpf sei. Schweigend hörte Sonja die grausamen Worte der Gräfin an und begriff nicht, was man von ihr verlangte. Sie war bereit, alles für ihre Wohltäter zu opfern, aber in diesem Fall begriff sie nicht, wen und was sie opfern sollte. Sie liebte die Gräfin und die ganze Familie, konnte aber nicht aufhören, auch Nikolai zu lieben und mußte sich gestehen, daß ihr Glück von dieser Liebe abhänge. Gedrückt und kummervoll fand sie keine Antwort. Nikolai glaubte dieses Leben nicht länger ertragen zu können. Bald flehte er seine Mutter an, ihm und Sonja zu vergeben und in diese Heirat zu willigen, bald drohte er ihr, wenn sie Sonja verfolgen würde, sich sogleich im geheimen mit ihr zu verheiraten.
Die Gräfin erwiderte ihm mit einer Kälte, wie er sie noch nie bei ihr gesehen hatte, er sei volljährig und könne ebensogut wie Fürst Andree ohne die Einwilligung seines Vaters heiraten, aber niemals werde sie diese Intrigantin als Tochter empfangen.
Entrüstet über das Wort »Intrigantin« erwiderte Nikolai heftig, er habe nie geglaubt, daß seine Mutter ihn nötigen wolle, seine Gefühle zu verkaufen, und wenn es so sei, so spreche er zum letztenmal… Aber er vermochte die entschlossenen Worte, welche die Mutter mit Entsetzen erwartete und welche vielleicht auf immer für beide eine schreckliche Erinnerung gewesen wären, nicht auszusprechen, weil Natalie mit bleichem Gesicht ins Zimmer trat, nachdem sie an der Tür gehorcht hatte.
»Nikolai, du sprichst unbedacht! Schweige, sage ich dir!« rief sie, um seine Stimme zu übertönen. – »Mama, liebe Mama, das ist nicht so gemeint«, sagte sie zur Mutter, welche mit Entsetzen ihren Sohn anblickte, aber in der Hartnäckigkeit des Kampfes nicht nachgeben mochte. – »Nun also, Nikolai, ich werde mit dir sprechen, geh! – Aber hören Sie mich an, Mama!«
Ihre Worte waren zusammenhanglos, hatten aber den Erfolg, den sie beabsichtigte. Die Gräfin verbarg tief seufzend ihr Gesicht an der Schulter der Tochter. Nikolai stand auf, faßte sich an den Kopf und verließ das Zimmer. Natalie suchte sogleich eine Versöhnung zustande zu bringen, was ihr auch so weit gelang, daß Nikolai das Versprechen von seiner Mutter erhielt, Sonja solle nicht rauh behandelt werden, und daß er dagegen versprach, nichts ohne Wissen der Eltern zu tun.
Mit dem festen Entschluß, seinen Abschied zu nehmen, sobald er seine Angelegenheiten im Regiment geordnet habe, und dann Sonja zu heiraten, reiste Nikolai im Anfang Januar ab zum Regiment, kummervoll und ernst, aber, wie er glaubte, leidenschaftlich verliebt.
Nach seiner Abreise wurde es noch trübseliger als jemals im Hause. Die Gräfin erkrankte infolge der Aufregung, Sonja war betrübt nicht nur über die Trennung von Nikolai, sondern noch mehr über den feindseligen Ton der Gräfin gegen sie. Der Graf war mehr als je durch seine üble Lage in Anspruch genommen, welche entschiedene Maßregeln erforderlich machte. Es war unumgänglich notwendig geworden, das Haus in Moskau und das Gut bei Moskau zu verkaufen. Zu diesem Zweck mußte er nach Moskau reisen, der Gesundheitszustand der Gräfin jedoch veranlaßte ihn, die Abreise von Tag zu Tag aufzuschieben.
Natalie, welche in der ersten Zeit die Trennung von ihrem Bräutigam leicht und sogar heiter ertragen hatte, wurde jetzt mit jedem Tag aufgeregter und ungeduldiger. Der Gedanke, daß ihre beste Zeit, die sie auf die Liebe zu ihm hätte verwenden können, jetzt nutzlos verging, peinigte sie beständig. Über seine Briefe war sie meist erzürnt. Sie dachte mit Verdruß daran, daß er den Vorzug hatte, ein wirkliches Leben zu genießen, neue Städte, neue interessante Menschen zu sehen, während sie nur in dem Gedanken an ihn lebte. Es gewährte ihr keinen Trost, an ihn zu schreiben, sondern es erschien ihr als eine langweilige Verpflichtung. Sie verstand nicht zu schreiben, weil sie nicht verstand, in den Briefen wenigstens den tausendsten Teil dessen richtig auszudrücken, was sie mit der Stimme, mit einem Lächeln und einem Blick auszudrücken gewohnt war. Sie schrieb ihm klassisch einförmige, trockene Briefe, denen sie selbst keine Bedeutung beilegte und in welchen die Gräfin ihre orthographischen Fehler verbesserte. Der Gesundheitszustand der Gräfin wurde nicht besser, aber endlich konnte die Reise nach Moskau nicht länger aufgeschoben werden. Man mußte die Aussteuer besorgen, man mußte das Haus verkaufen und überdies erwartete man den Fürsten Andree zuerst in Moskau, wo in diesem Winter sein Sohn lebte, und Natalie war überzeugt, er sei schon gekommen.
Die Gräfin blieb auf dem Gut, und der Graf fuhr Ende Januar mit Sonja und Natalie nach Moskau.
111
Nach der Verlobung des Fürsten Andree mit Natalie empfand Peter ohne sichtlichen Anlaß plötzlich die Unmöglichkeit, sein früheres Leben fortzusetzen. So fest er auch von den Wahrheiten überzeugt war, die ihm sein Freund Joseph Alexejewitsch geoffenbart hatte, so freudig er sich auch in der ersten Zeit der innerlichen Arbeit der Selbstvervollkommnung widmete – nach der Verlobung des Fürsten Andree mit Natalie und nach dem Tode von Joseph Alexejewitsch hatte dieses Leben plötzlich allen Reiz für ihn verloren. Er hörte auf, sein Tagebuch zu führen, mied die Gesellschaft der Freimaurer, besuchte wieder den Klub, trank viel, schloß sich wieder an leichtsinnige Lebemänner an und führte ein solches Leben, daß seine Frau nötig fand, ihm ernste Vorwürfe zu machen. Peter fühlte, daß sie im Recht war, und um seine Frau nicht zu kompromittieren, reiste er nach Moskau.
Sobald er in Moskau seinen großen Palast mit den vertrockneten Fürstinnen und der großen Dienerschaft betrat, fühlte er sich ruhig und behaglich wie in einem altgewohnten, schmutzigen Schlafrock. Von der Gesellschaft wurde er freudig empfangen. Für die Moskauer Welt war Peter der liebenswürdigste, gutherzigste, klügste, heiterste und großherzigste Sonderling, ein echt russischer großer Herr nach alter Art. Seine Börse war immer leer, weil sie allen offen stand. Benefize, schlechte Gemälde und Statuen, Wohltätigkeitsgesellschaften, Zigeuner, Schulen, Festessen, Gelage, Kirchen, Bücher – nichts