»Sie meinen Bonaparte?« fragte ihn lächelnd der General.
Boris sah seinen General fragend an und begriff sogleich, daß das eine Scherzprobe war.
»Fürst, ich spreche vom Kaiser Napoleon«, erwiderte er.
Der General klopfte ihm lachend auf die Schulter. »Du wirst es weit bringen!« sagte er und nahm ihn mit sich.
Boris befand sich unter den wenigen, welche Zeugen der Zusammenkunft der beiden Kaiser auf dem Niemen waren. Er sah die Flöße mit dem Namenszeichen und die Überfahrt Napoleons nach dem andern Ufer, an der französischen Garde vorbei. Er sah das nachdenkliche Gesicht des Kaisers Alexander, während er schweigsam in einem Krug am Ufer des Niemens saß und die Ankunft Napoleons erwartete. Er sah, wie beide Kaiser in Boote stiegen, und wie Napoleon, der zuerst auf dem Floß ankam, mit raschen Schritten Alexander entgegenging, ihm die Hand reichte, und wie beide in dem Pavillon verschwanden. Seit seinem Eintritt in die höhere Welt hatte Boris die Gewohnheit angenommen, aufmerksam zu beobachten, was um ihn her vorging, und es aufzuzeichnen. Er hörte auch aufmerksam auf die Worte, welche vornehme Personen sprachen. Als die Kaiser in den Pavillon traten, blickte er auf die Uhr und vergaß nicht, wieder darauf zu sehen, als Alexander heraustrat. Die Zusammenkunft hatte eine Stunde und dreiundfünfzig Minuten gedauert, und dies schrieb er noch an demselben Abend mit anderen Tatsachen nieder, welche ihm von historischer Bedeutung zu sein schienen. Da die Suite der beiden Kaiser sehr klein war, so war es wichtig für einen Menschen, der nach Erfolg im Dienst strebte, sich zu dieser Zeit in Tilsit zu befinden, und Boris hatte das Gefühl, daß seine Stellung sich schon sehr befestigt habe. Man kannte ihn nicht nur, sondern man gewöhnte sich auch an ihn, zweimal hatte er Aufträge an den Kaiser selbst, so daß auch der Kaiser ihn von Ansehen kannte, und alle der höchsten Person Nahestehenden nicht wie früher für ihn unzugänglich waren, da sie ihn für eine neue Persönlichkeit hielten, sondern sich sogar gewundert hätten, wenn er nicht zugegen gewesen wäre.
Boris wohnte mit einem anderen Adjutanten, einem reichen polnischen Grafen, Schilinsky, zusammen, der in Paris erzogen worden war und die Franzosen leidenschaftlich liebte. Fast jeden Tag während ihrer Anwesenheit in Tilsit waren französische Offiziere von der Garde und dem Generalstab bei Schilinsky und Boris zu Gast. Am 24. Juni (6. Juli) gab Schilinsky ein Souper, an welchem ein Adjutant Napoleons, einige Gardeoffiziere und ein junger Mann aus einer altaristokratischen französischen Familie, ein Page Napoleons, teilnahmen. An demselben Abend kam Rostow unter dem Schutze der Dunkelheit in bürgerlicher Kleidung in Tilsit an und trat in das Quartier von Schilinsky und Boris. Rostow, wie die ganze Armee, vermochte die früheren Feinde noch nicht als Freunde anzuerkennen, wie das Hauptquartier und Boris. Noch vor kurzem hatte Rostow mit einem Kosakenoffizier sich darüber gestritten, ob Napoleon, wenn er gefangen würde, nicht wie ein Kaiser, sondern wie ein Verbrecher behandelt werden würde. Daher war Rostow erstaunt, bei Boris französische Offiziere zu finden. Er blieb auf der Schwelle stehen und fragte auf russisch, ob hier Fürst Drubezkoi wohne. Als Boris eine fremde Stimme im Vorzimmer hörte, kam er heraus, und als er Rostow erkannte, drückte sein Gesicht im ersten Augenblick Mißvergnügen aus.
»Ach, du bist’s! Sehr erfreut! Sehr erfreut, dich zu sehen!« sagte er lächelnd, aber Rostow hatte den ersten Eindruck wohl bemerkt.
»Es scheint, ich komme ungelegen«, sagte er. »Ich wäre nicht gekommen, wenn ich nicht ein Anliegen hätte.«
»Nein, durchaus nicht! Ich wundere mich nur, wie du vom Regiment aus hierherkommst! – Ich stehe gleich zu Diensten«, erwiderte er einer Stimme, die ihn rief.
»Ich sehe, daß ich ungelegen komme«, wiederholte Rostow. Die verdrießliche Miene Boris’ hatte sich schon verwandelt, er ergriff Rostows Hand und führte ihn ins nächste Zimmer.
»Ach, höre doch auf! Wie kannst du ungelegen kommen?« sagte Boris.
Er machte ihn mit den Gästen bekannt und bemerkte dabei, er sei ein alter Freund, ein Husarenoffizier. Rostow blickte während der Vorstellung die Franzosen finster an und verbeugte sich nur widerwillig. Schilinsky war die Ankunft Rostows augenscheinlich wenig willkommen und er sprach nichts mit ihm. Boris schien dies nicht zu bemerken und bemühte sich, das Gespräch zu beleben. Einer der Franzosen wandte sich mit der den Franzosen eigenen Höflichkeit an den hartnäckig schweigenden Rostow und sagte, er sei wahrscheinlich gekommen, um die Kaiser zu sehen.
»Nein, ich habe hier etwas zu besorgen«, erwiderte Rostow kurz. Rostow war in schlechter Stimmung, seitdem er in der Miene Boris’ jenes Mißvergnügen bemerkt hatte, und, wie es immer bei Leuten in schlechter Stimmung der Fall ist, schien es ihm, daß ihn alle mißfällig anblickten, und er alle störe. Dies war auch wirklich der Fall, und er allein nahm an dem neuangeknüpften Gespräch keinen Anteil. Endlich stand er auf und ging zu Boris.
»Ich sehe, ich störe nur«, sagte er leise. »Ich habe dir nur etwas zu sagen über die Angelegenheit, die mich hierherführte, und dann gehe ich.«
»Nein, nein«, erwiderte Boris, »aber wenn du müde bist, so komm in mein Zimmer und ruhe dich aus!«
»Nun ja, wirklich!«
Sie gingen in das kleine Zimmerchen, in dem Boris schlief. Rostow erzählte ihm Denissows Angelegenheit. Mit aufgeregtem Wesen fragte er, ob Boris bei seinem General und dem Kaiser sich für Denissow verwenden und den Brief abgeben wolle.
Boris hörte Rostow an, wie ein General die Meldung eines Untergebenen anhört. Rostows Verdruß stieg.
»Ich habe von Sachen der Art schon gehört«, sagte Boris, »und weiß, daß der Kaiser in solchen Fällen sehr streng ist. Ich glaube, es wäre besser, dies nicht vor Seine Majestät zu bringen und lieber an den Korpsgeneral eine Bittschrift zu richten. Überdies meine ich ….«
»Du willst also nichts tun, dann sage es!« rief Rostow fast heftig, ohne ihm in die Augen zu sehen.
Boris lächelte. »Im Gegenteil, ich werde alles tun, was ich kann, ich meinte nur ….«
In diesem Augenblick wurde Boris von Schilinsky gerufen.
»Nun geh! geh! geh!« sagte Rostow. Er lehnte die Einladung zum Abendessen ab und blieb allein in dem kleinen Zimmerchen, in dem er lange auf und ab ging, während er die heiteren Stimmen der Franzosen aus dem Nebenzimmer hörte.
87
Der Tag, an welchem Rostow in Tilsit ankam, war sehr ungeeignet, um für Denissow zu wirken. Er selbst konnte nicht zum dejourierenden General gehen, da er im Frack und ohne Erlaubnis nach Tilsit gekommen war. Boris aber, wenn er auch gewollt hätte, hätte das erst am Tage nach der Ankunft Rostows tun können. An diesem Tag, dem 27. Juni (9. Juli), wurden die Friedenspräliminarien unterzeichnet, die Kaiser beschenkten sich gegenseitig mit Orden. Alexander erhielt den Stern der Ehrenlegion und Napoleon den Andreasorden erster Klasse, und an diesem Tage sollte auch ein Diner stattfinden, an welchem ein Bataillon der französischen Garde und ein Bataillon des Preobraschenskyschen Garderegiments teilnahm. Die Kaiser wollten an diesem Bankett ebenfalls teilnehmen.
Rostow war die Gegenwart Boris’ so unbehaglich, daß er sich schlafend stellte, als Boris am andern Morgen ins Zimmer blickte. Am andern Tag verließ er früh am Morgen das Haus, ohne Boris gesehen zu haben. Im Frack, mit rundem Hut schlenderte Nikolai durch die Stadt und besah die Franzosen und ihre Uniformen. Auf einem Platz waren Tische aufgerichtet und es wurden Vorbereitungen zu dem Festessen gemacht. Die Stadt war geschmückt mit russischen und französischen Fahnen mit verschlungenen Namenszügen, A. und N.
»Boris will mir nicht helfen, und ich werde mich auch nicht an ihn wenden«, dachte Nikolai. »Zwischen uns ist alles aus, aber ich gehe nicht fort von hier, ehe ich nicht alles mögliche für Denissow getan und wenigstens den Brief dem Kaiser übergeben habe. Dem Kaiser!… Da ist er!« dachte Rostow, indem er sich unwillkürlich wieder dem Hause näherte, welches Alexander bewohnte.
Vor dem Hause standen Reitpferde, die Suite sammelte