Als die Frau Peter erblickte, stürzte sie ihm beinahe zu Füßen.
»Väterchen! Christen! Rechtgläubige! Helft! Helft!« rief sie weinend. »Mein Mädchen … meine kleine Tochter ist zurückgeblieben … sie wird verbrennen! Oh! Oh! Oh!«
»Höre auf, Maria Nikolaijewna«, sagte der Mann mit leiser Stimme zu der Frau. »Deine Schwester wird sie mitgenommen haben, es kann nicht anders sein.«
»Ungeheuer! Bösewicht!« schrie die Frau, indem sie plötzlich zu weinen aufhörte. »Du hast kein Herz für deine Kinder! Ein anderer würde das Kind aus dem Feuer geholt haben, aber du bist kein Mensch, kein Vater! Sie sind ein edler Mensch!« fuhr sie hastig zu Peter fort. »Es brannte im Nebenhaus, und dann kam es zu uns, ein Mädchen schrie: »Es brennt!« Wir stürzten hinaus, so wie wir standen, nur wenig haben wir noch retten können. Als wir die Kinder hinausführten, fehlte die kleine Katetschka! Oh! O Himmel!« Und wieder weinte sie laut.
»Was denn, wo ist sie geblieben?« fragte Peter.
»O Väterchen! Väterchen!« rief sie und umfaßte seine Knie. »Aniska, du Nichtswürdige, geh, begleite den Herrn!« schrie sie zornig mit weitgeöffnetem Mund das Mädchen an.
»Zeige mir den Ort!« sagte Peter hastig.
Das schmutzige Mädchen erhob sich und ging barfuß den Fußweg entlang. Peter war wie aus einem schweren Traum plötzlich erwacht. Seine Augen glänzten und er folgte mit raschen Schritten dem Mädchen. Als er in die Powarstraße kam, war die ganze Straße mit schwarzen Rauchwolken erfüllt, aus welchen sich immer wieder feurige Zungen erhoben. Eine große Menschenmasse drängte sich vor die Brandstätte. Inmitten der Straße stand ein französischer General. Peter wollte mit dem Mädchen nach der Stelle gehen, wo der General stand, aber französische Soldaten wiesen ihn zurück.
»Hierher, Onkelchen!« schrie das Mädchen. »Wir können durch dieses Gäßchen gehen.« Das Mädchen wandte sich zur Linken in ein Gäßchen. »Hier war’s«, sagte die Kleine, öffnete eine Hofpforte in einem Zaun und deutete auf ein kleines, hölzernes Haus, das hell brannte. Die eine Seite war eingestürzt, die andere brannte und die Flamme schlug aus den Fenstern und zum Dach heraus. Als Peter durch die Pforte in den Hof trat, empfand er eine erstickende Hitze.
»Welches ist euer Haus?«
»Oh! Oh! Oh!« weinte das Mädchen, indem es auf das kleine Haus deutete. »Das ist es! Ach, bist du verbrannt, unser Schatzkästchen, Katetschka? Oh!« heulte Aniska beim Anblick des Feuers.
Peter näherte sich dem Hause, aber die Hitze war so stark, daß er unwillkürlich einen Bogen um dasselbe beschrieb, so daß er sich vor einem neuen, großen Hause befand, welches noch erst auf einer Seite brannte und um welches sich eine Gruppe Franzosen drängte. Anfangs begriff Peter nicht, was diese Franzosen machten, welche etwas herauszogen, aber als er vor sich einen Franzosen bemerkte, der auf einen Bauern losschlug und ihm einen Fuchspelz abnahm, bemerkte Peter, daß hier geplündert wurde. Doch er konnte dies nicht aufhalten. Das Krachen der einstürzenden Wände und Decken, das Prasseln und Zischen der Flammen, das Schreien der Volksmenge, der Anblick der aufsteigenden Rauchwolken, der umherfliegenden Funken und der an den Wänden emporleckenden Flammen, die Hitze und der Rauch – das alles brachte auf Peter die gewöhnliche, aufregende Wirkung einer Feuersbrunst hervor. Jetzt fühlte er sich frei von dem Druck seiner Gedanken, er war heiter und entschlossen und wollte schon in den Teil des Hauses eindringen, der noch stand, als er gerade über seinem Kopf mehrere Stimmen vernahm, worauf etwas Schweres mit lautem Krachen neben ihn niederfiel.
Peter blickte in die Höhe und sah in den Fenstern des Hauses Franzosen, welche eine Kommode, in der sich metallische Gegenstände befanden, herausgeworfen hatten. Andere französische Soldaten, die unten standen, stürzten auf die Kommode zu.
»Was will dieser da?« schrie einer der Franzosen.
»Ein Kind ist in diesem Hause! Haben Sie nicht ein Kind gesehen?« fragte Peter.
»Was schwatzt er da? Geh zum Teufel!« schrie die Stimme, und einer der Soldaten, welcher befürchten mochte, daß Peter ihnen das Silberzeug wegnehmen werde, das sich in der Kommode befand, trat mit drohender Gebärde auf ihn zu.
»Ein Kind?« schrie von oben ein Franzose. »Ich habe im Garten etwas schreien gehört, vielleicht ist das ein Kind! Nun, man muß doch menschlich sein!«
»Wo ist es? Wo ist es?« fragte Peter.
»Hierher!« rief ihm der Franzose vom Fenster aus zu und deutete auf den Garten hinter dem Hause. »Warten Sie, ich werde sogleich herabkommen!« Und wirklich sprang ein kleiner, schwarzhaariger Franzose, mit einem Flecken auf der Wange, durchs Fenster des unteren Stockes, klopfte Peter auf die Schulter und lief mit ihm in den Garten.
»Heda! Rasch!« rief er seinen Kameraden zu. Hinter dem Hause, auf einem mit Sand bestreuten Gartenweg, zog der Franzose Peter am Arm und deutete nach einer Bank, unter welcher ein dreijähriges Mädchen in einem rosafarbigen Kleidchen lag. »Sehen Sie, da ist Ihr Kind! Ach, ein Mädchen! Um so besser!« sagte der Franzose. »Auf Wiedersehen, dicker Freund!« Damit lief er zu seinen Kameraden zurück. Freudig lief Peter auf das Mädchen zu und wollte es auf den Arm nehmen, aber das Mädchen schrie und wollte davonlaufen. Peter erfaßte es jedoch und hob es auf den Arm, während es verzweifelt und boshaft schrie und sich von Peter loszureißen und ihn zu beißen suchte. Ein Gefühl des Mitleids und des Widerwillens ergriff Peter. Er überwand es und beeilte sich, den Rückweg aufzusuchen. Aber es war nicht mehr möglich, auf demselben Wege zurückzukehren. Aniska war verschwunden, und Peter lief durch den Garten, um einen anderen Ausweg zu suchen.
205
Als Peter wieder in die Powarstraße kam, erkannte er die Stelle nicht mehr, von welcher er ausgegangen war, um das Kind zu retten, so sehr war alles von Volksmassen und Habseligkeiten überfüllt. Peter suchte eilig die Familie des Beamten, um der Mutter ihr Kind wiederzugeben, und dann vielleicht noch jemand zu retten. Es war ihm zumute, als ob er noch viel Eiligeres zu tun hätte. Die Kleine war verstummt und blickte sich mit wilden Blicken um. An der Stelle fand Peter weder den Beamten noch seine Frau vor. Mit raschen Schritten drängte sich Peter durch das Volk und betrachtete die Gesichter. Bald sammelten sich einige Leute um die auffallende Gestalt Peters.
»Hast du etwas verloren? Wem gehört das Kind?« wurde er gefragt.
Peter antwortete, das Kind gehöre einer Frau mit einem schwarzen Mantel, welche an dieser Steile mit Kindern gesessen habe.
»Ach, das muß Anferow gewesen sein«, sagte ein alter Kirchensänger.
»Wieso Anferow?« fragte ein altes Weib. »Anferows sind schon am Morgen davongefahren. Das war entweder Maria Nikolaijewna oder Iwanows.«
»Er sagte, es sei ein Weib gewesen, aber Maria Nikolaijewna ist eine Dame«, bemerkte ein Leibeigener.
»Nun, ihr werdet sie kennen, sie hat solche langen Zähne und ist hager«, bemerkte Peter.
»Das ist Maria Nikolaijewna! Sie ist in den Garten gegangen, als diese Wölfe da gekommen sind«, sagte das Weib, auf die französischen Soldaten deutend. »Gehen Sie nur da hindurch, dort sind sie!«
Aber Peter hörte nicht auf das Weib. Schon seit einigen Augenblicken beobachtete er, was einige Schritte von ihm entfernt vorging. Dort saß eine grusinische oder armenische Familie, welche aus einem alten Mann, einem Typus orientalischer Schönheit, mit einem neuen Kaftan und neuen Stiefeln, sowie aus einer alten Frau desselben Typus und einer jungen Frau bestand. Letztere war sehr jung und erschien Peter als ein Muster orientalischer Schönheit mit ihren schwarzen, hochgewölbten Augenbrauen und einem langen, ungewöhnlich zartgeröteten Gesicht. Sie saß in ihrem reichen Atlaskleide