»Aber, Kruzitürken, weshalb wollte sie dann vor zwei Tagen, dass ich zu ihr komme?«, stieß er unwillig hervor. »Ich muss es wissen.«
Schließlich rang sich Hans-Günther Hornegg zu einem Entschluss durch. In der Mittagsstunde des zweiten Tages nach dem Telefongespräch begab er sich in das Heim. Von seinem Geschäft waren es ja nur wenige Minuten zu gehen.
Als er das Büro betreten wollte, kam gerade eine der Mitarbeiterinnen Christines den Gang entlang. Er kannte das Mädchen, Hannelore hieß es.
»Sie wollten zu Frau Häußler, Herr Hornegg?«, fragte Hannelore, die natürlich wusste, in welcher Beziehung er zu Christine stand.
»Ja, natürlich …«
»Tut mir leid, aber sie ist nicht hier.«
»Nicht hier?« Der junge Mann blickte das Mädchen erstaunt an. »Wo ist sie denn?«, wollte er wissen.
»Zu Hause, vermute ich«, gab Hannelore zurück. »Wir haben sie seit zwei Tagen nicht mehr gesehen. Ich schätze, dass sie krank ist, vielleicht hat sie eine Grippe und muss im Bett bleiben. Das habe ich ihr sogar selbst geraten.«
In Horneggs Zügen arbeitete es. »Hat sie sich in den beiden letzten Tagen denn nicht bei euch gemeldet?«, fragte er. »Ich meine, ob sie telefoniert hat, dass sie krank ist?«
Hannelore schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte sie. »Wozu auch? Ich weiß ja, das heißt, ich habe es ja gemerkt, dass sie sich schon seit Tagen nicht richtig wohlgefühlt hat. Sicher werden wir in den kommenden Tagen von ihr hören.«
Hans-Günther Hornegg sah das Mädchen irritiert an. »Tja, dann …, dann werde ich wieder gehen, Hannelore«, presste er etwas unsicher hervor.
»Rufen Sie sie doch mal an«, riet Hannelore dem jungen Mann. »Sie wird sich sicher freuen.«
»Da haben Sie eigentlich recht«, murmelte Hornegg. »Das werde ich auch tun.« Er nickte dem Mädchen zu und verließ mit wuchtigen Schritten wieder das Heim. Eine eigenartige und unerklärliche Unruhe hatte ihn erfasst. Am liebsten hätte er sich jetzt sofort ins Auto gesetzt und wäre nach Schliersee gefahren, um Christine aufzusuchen. Leider konnte er das Geschäft nicht allein lassen und auch nicht vorübergehend schließen. Dafür aber griff er sofort nach dem Telefon, kaum dass er wieder im Geschäft war, und wählte Christines Nummer. Das Freizeichen klang zwar an sein Ohr – vier-, fünf-, sechs- und siebenmal – aber niemand meldete sich.
Horneggs Augenbrauen zogen sich finster zusammen. War es möglich, dass Christine das Läuten des Telefons nicht hörte? Konnte sie so fest schlafen? Oder war sie gar nicht zu Hause?
Da erwachte wieder das leise Misstrauen in ihm. Wenn sie krank ist, so krank, dass sie nicht einmal zum Dienst geht, dann müsste sie doch zu Hause sein, überlegte er.
»Ich versuche es später noch einmal«, brummte er.
Das tat er auch und nicht nur einmal. Jede Stunde wählte er an diesem Nachmittag und auch noch im Laufe des Abends Christines Nummer. Eine Verbindung bekam er jedoch nicht. Christine meldete sich nicht. Für Hans-Günther Hornegg stand nun fest, dass Christine nicht zu Hause war. Seine Eifersucht kam wieder auf Touren. Voller innerer Unruhe fragte er sich, wo sie wohl sein konnte. Für ihn stand nun fest, dass sie nicht krank war. Jedenfalls nicht bettlägerig. Ihr Unwohlsein, ihre angebliche Krankheit war also nur ein Vorwand. Aber wofür?
Je länger Hans-Günther Hornegg sich solchen Überlegungen hingab, desto größer wurde sein Zorn auf den Klinikarzt, der ihm – auf welche Weise auch immer – seine Christine abspenstig machen wollte und es vielleicht sogar schon geschafft hatte.
»O nein, nicht mit mir, Herr Doktor«, kam es wütend über seine Lippen. »So leicht lass ich mir mein Mädel nicht wegnehmen.« Ein hartes Funkeln zeigte sich in seinen Augen.
Wie ein gereizter Tiger lief Hans-Günther Hornegg in seiner über dem Geschäft befindlichen Wohnung hin und her. Es drängte ihn danach, etwas zu unternehmen, aber er wusste nicht was. Endlich, der Abend ging schon langsam in die beginnende Nacht über, glaubte er, den richtigen Entschluss gefasst zu haben. Jetzt wollte er es genau wissen. Aus dem Telefonverzeichnis suchte er sich die Nummer der Klinik am See heraus und rief dort an. Eine Frauenstimme meldete sich. »Klinik am See.«
»Ich möchte gern Doktor Berner oder so ähnlich sprechen«, rief Hans-Günther Hornegg. »Es ist wichtig.«
»Tut mir leid, aber Herr Doktor Bernau – den meinen Sie wahrscheinlich – ist nicht mehr hier«, kam die bedauernde Antwort. »Er kommt erst morgen wieder zum Dienst.«
Hannes Hornegg zuckte zusammen. Aha, dachte er, dienstfrei hat der Herr, und Christine ist nicht zu Hause. Wahrscheinlich ist sie bei ihm, rumorte es hinter seiner Stirn. »Schade«, stieß er hervor. »Sie wissen wohl nicht, wo er jetzt sein könnte?«, fügte er fragend und mit gespannter Erwartung hinzu.
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen«, antwortete die Frauenstimme, die einer der Nachtschwestern gehörte, freundlich. »Er hat ja seinen freien Abend. Vielleicht ist er zu Hause. Ich weiß es nicht.«
»Hm, zu Hause, meinen Sie«, gab Hornegg zurück. »Wo wohnt er denn? In Auefelden? Hat er Telefon?«
»Herr Doktor Bernau hat sein Appartement hier in der Klinik«, erwiderte die freundliche Schwester. »Telefon hat er natürlich auch. Möchten Sie seine Nummer haben?«
»Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.« Hannes Hornegg zwang sich zur Freundlichkeit, obwohl er innerlich vor Wut kochte. Er bekam die Privatnummer des Arztes. »Danke sehr …«, murmelte er.
Die Schwester schien plötzlich zu stutzen. »Wollten Sie Herrn Doktor Bernau dienstlich sprechen?«, fragte sie. »Ich könnte Sie mit dem diensthabenden Nachtarzt verbinden, wenn es so …«
»Nein, nein, es ist ganz privat«, unterbrach Hornegg die Schwester. »Ich danke Ihnen jedenfalls.« Grußlos legte er auf, ehe die Schwester noch etwas sagen konnte.
Minutenlang überlegte Hans-Günther Hornegg und griff dann erneut zum Telefon. Diesmal wählte er die Privatnummer des Arztes, die ihm die Schwester gegeben hatte. Lange ließ er es läuten, doch niemand meldete sich. Zornig knallte er den Hörer auf die Gabel. »Nicht zu Hause, der Herr, und Christine auch nicht«, knurrte er. Damit war ihm klar, dass Christine mit diesem verdammten Doktor zusammen war. Vielleicht saßen die beiden in irgendeiner Weinstube und turtelten miteinander. Hannes Horneggs von der Eifersucht beeinflusste Fantasie gaukelte ihm die verrücktesten Bilder vor.
Dass Dr. Bernau zu dieser Stunde tatsächlich mit Christine zusammen war, ahnte der Eifersüchtige nicht. Nur – es war kein Beisammensein, wie er es sich vorstellte, sondern lediglich ein außerdienstlicher Besuch des Arztes bei seiner Patientin.
Dr. Bernau, der zwar den Abend und die Nacht dienstfrei war, hatte sich entschlossen, noch einmal Christine Häußler aufzusuchen. Einige Bemerkungen des neuen Kollegen hatten ihn dazu bewogen. Es war auch verständlich, dass die Nachtschwester, die im Erdgeschoss gleichzeitig den Telefondienst versah, keine Ahnung davon hatte, dass in der oberen Etage ein an sich dienstfreier Arzt noch einmal nach einer seiner Patientinnen sah.
Hans-Günther Hornegg aber war nun in Fahrt. Wenn die beiden miteinander ausgegangen sind, redete er sich ein, so mussten sie ja einmal wieder nach Hause kommen. Die Frage war für ihn nur, wen von beiden er zur Rede stellen sollte. Christine, wenn sie von dem Arzt wieder nach Hause gebracht wurde oder den Mediziner? Im ersten Fall müsste er nach Schliersee fahren und dort warten. Nach kurzem Überlegen entschied er sich für den Arzt. Ja, vor der Klinik am See, in der dieser Doktor nach Aussage der Schwester wohnte, wollte er warten, um dem Mann in aller Deutlichkeit beizubringen, dass er die Hände von Christine zu lassen habe.
Horneggs