Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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ich habe so viel gelitten ...

      Falk sah sie verwundert an. Was sie denn eigentlich wissen wolle?

      – O Sie wissen doch schon; es wird jetzt so viel in der ganzen Gegend von Ihnen gesprochen, und alle diese Reden müssen einen Grund haben. Ja: sagen Sie mir: ist das alles wahr? das – das mit der Französin – und – nein – das ist doch unmöglich ...

      – Was denn?

      – Ich meine ... das Kind.

      – Kind? Hm ...

      Falk ging mit großen Schritten auf und ab. Es trat ein quälendes Schweigen ein. Vom Hof her hörte man die Stimme eines Knechtes. Plötzlich blieb Falk vor ihr stehen.

      – Nun, ich will Ihnen die ganze brutale Wahrheit sagen; alles, alles will ich Ihnen sagen; ganz offen. Ja, ich werde ganz offen sein, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie mich nicht hören wollen und mir die Tür weisen. Freilich habe ich ein Kind; das Kind lebte schon, bevor ich Sie kennen lernte. Ja, das Kind ist eine herrliche Sache; es hat mich gerettet, dieses Kind. Es war wie ein festes Rückenmark, das mich wieder synthetisiert hat. Ich ging ganz auseinander, ich verlumpte schon. Ich war schlimmer wie der Schlimmste. Nein, Sie müssen mich ruhig anhören. Ich war ein Mann, ein Männchen, und als solches hatte ich das Recht Kinder zu zeugen ...

      Nun, wenn Sie Ihre dumme Prüderie nicht ablegen können, müssen Sie keine Geständnisse provozieren.

      Marit hatte Tränen in den Augen.

      – Verzeihen Sie, mein Fräulein, aber ich bin sehr nervös.

      Die Tränen flossen ihr herab.

      – Gute, teure Marit! Sei gut, Marit! Höre mich an, wie nur eine kluge Schwester anhören kann. Wenn Du auch nicht die Hälfte verstehst, höre mich an ...

      Herrgott, wolle sie denn weiter Blindekuh spielen und im Finstern tappen? Das könne er nicht dulden, dazu sei sie ihm zu fein und intelligent.

      Freilich hab ich einen Sohn, und liebe ihn. Seine Mutter, nein, die liebe ich nicht. Ich war, als sie mir damals in den Weg lief, in vollständiger Zerrüttung; sie war gut zu mir, wir lebten zusammen, und so haben wir einen Sohn gezeugt.

      – Mein Gott, mein Gott, wie ist das möglich?

      – Ja, es ist vieles möglich.

      Falk sprach mit müder Stimme und trank wieder. Er ging ein paar mal auf und ab, dann nahm er ihre Hand ...

      – Marit! jetzt werde ich es Dir ganz offen sagen. Marit: Du darfst mich nicht lieben. Ich war ein Elender. Ja, ich habe Deine Liebe verlangt, ich bat und flehte Dich um Deine Liebe, aber damals glaubte ich, daß ich Dich glücklich machen könnte. Ich glaubte daran, ich wollte Dich zu meiner Frau machen, und Du hättest meinen Sohn geliebt. Aber das Weib hängte sich wie eine Klette an mich an. Hundertmal versuchte ich sie abzuschütteln, aber ich konnte nicht, und werds wohl auch nicht können.

      Falk schien sehr erregt zu sein; Marit wollte ihn unterbrechen.

      – Nein, nein, sie solle ihn ausreden lassen. Ja, er habe dran geglaubt, daß er sie glücklich machen werde. Deshalb, nur deshalb habe er ihre Liebe großgenährt; sie dürfe nicht glauben, daß er ein Schurke sei. Aber jetzt, jetzt sei alles vorbei. Jetzt dürfe er diese Liebe nicht mehr verlangen; nein, es sei unmöglich. Nicht eine Unze Glück könne er ihr geben; das sei völlig ausgeschlossen. Nur das Eine: eine Freundin, eine Schwester solle sie ihm werden.

      Marit saß wie ohnmächtig.

      Falk kniete vor sie hin und griff nach ihren Händen.

      – Du, sei gut, sei meine Freundin. Geliebte kannst Du mir nicht sein. Nein, auch Freundin nicht – nein; ich gehe, ich gehe jetzt. Antworte mir; Du darfst mich nicht mehr sehen, nicht mehr. Also Du: leb wohl, ich gehe.

      Falk erhob sich taumelnd.

      Aber in dem Augenblick sprang Marit wie verzweifelt auf.

      – Nein, bleiben Sie! bleiben Sie! Tun Sie, was Sie wollen; aber ich muß Sie sehen; ich werde sonst krank. O Gott, Gott, ist das furchtbar!

      Falk fiel plötzlich über sie her.

      – Nein, um Himmelswillen, nein! Sie stieß ihn weg und lief aus dem Zimmer.

      Falk setzte sich an den Tisch, trank die Flasche leer und starrte vor sich hin. Die Dunkelheit tat ihm wohl.

      Auf einmal fuhr er auf.

      – Das ist doch merkwürdig, wie man vor einer Lampe erschrecken kann. Ich bin doch sehr nervös.

      Marit lächelte müde; sie stellte die Lampe auf den Tisch.

      – Papa muß sofort kommen; Sie bleiben doch zum Abendbrot?

      – Ja, das will ich tun. Ich bin ein guter Mensch. Ich bin ein Gentleman. Ich darf Sie nicht Papas Vermutungen exponieren.

      II.

       Inhaltsverzeichnis

      Am andern Tage kam Falk wieder nach Elbsfeld.

      Er war freundlich, tat, als ob er sehr froh wäre, konnte jedoch nur ungenügend eine nervöse Gereiztheit verhehlen.

      – Nicht wahr? Es ist doch nichts vorgefallen? Sie haben alles vergessen, ganz gewiß vergessen. Ich erinnere mich an gar nichts.

      Marit schlug die Augen zu Boden.

      – Ja, es gehe ihm zu Zeiten so, daß er auf ganze Stunden das Bewußtsein, nein nur das Erinnerungsvermögen verliere, ohne eigentlich betrunken zu sein. Freilich habe er gestern viel getrunken; aber er habe doch nicht den Anschein der Betrunkenheit erweckt? Oder doch? – Nun, dann habe er sich nur so angestellt, um alles ungestraft sagen zu können. Das tue er nämlich oft.

      Falk sprach übertrieben viel und schnell; er war sehr lustig.

      Marit sah ihn erstaunt an.

      – Was ihm denn eigentlich so frohes passiert sei?

      – O, er habe sehr gute Nachrichten aus dem Ausland bekommen; sein Buch sei ins französische übersetzt und ungemein günstig aufgenommen worden. Und er freue sich aufrichtig darüber. Er bewundere durchaus nicht die Franzosen, aber Paris sei doch die einzige Kulturstätte in Europa und das oberste Tribunal in Sachen des Geschmackes ...

      Ja, und dann, das können die sich nicht denken, wie das unglaublich komisch war; das muß ich Ihnen erzählen.

      Marit sah ihn wieder an; ihr Erstaunen wuchs. Was war ihm nur eigentlich?

      – Wissen Sie, daß Papa mich gestern mit seiner Equipage hat nach Hause fahren lassen? Selbstverständlich wissen Sies. Wir fahren also, und fahren sehr schnell.

      Auf einmal bleiben die Pferde stehen, sie schlagen aus, bäumen und wiehern wie die Hengste im Märchen, die plötzlich menschliche Stimmen bekommen. Der Kutscher schlägt auf sie los, aber es wird nur noch schlimmer. Nun steigt er vom Bock, ich krieche aus der Kutsche, wir fassen die Pferde am Zaum und versuchen sie vorwärts zu bringen. Es geht nicht; die Pferde werden wild, und der Kutscher konstatiert zum Überfluß, daß sie nicht gehen wollen. Was ist denn um Himmelswillen geschehen? Es war so dunkel, daß man hätte Ohrfeigen austeilen können, ohne gesehen zu werden. Na, ich fasse Mut, tappe mit Händen und Füßen vorsichtig auf dem Wege herum, und – glauben Sie mir, ich habe genug persönlichen Mut, die merkwürdigsten Skandale anzustellen, aber diesmal blieb mir einfach das Herz stehen. Ich stolperte nämlich über einen Sarg und fiel mit den Knien auf einen Kadaver.

      Marit fuhr zusammen.

      – Nein, das ist nicht möglich.

      – Ja, wahrhaftig. In meiner Angst schrei ich nach dem Kutscher, im selben Nu natürlich schäm ich mich meiner menschlichen Unwillkürlichkeit, da bekomme ich aufs Neue einen furchtbaren Ruck: ich höre deutlich ein qualvolles Stöhnen. Ich erinnere mich nicht, jemals einen so tierisch unreflektierten