Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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schließlich siege doch immer das letzte, das mächtige, unabwendbare Muß!

      Und er dachte es bis in das feinste Detail hinein, aber er wurde nicht froher.

      Ganz im Hintergrunde empfand er eine dumpfe Angst, eine verlegene schamvolle Pein, und dann fühlte er, wie Alles in ein Gefühl zusammenfloß, ein grenzenlos trauriges Gefühl, nicht selbst zu sein, nicht sich selbst zu gehören.

      Er ging an einer Uhr vorbei. Er schrak heftig auf.

      In einer Viertelstunde wird die Tür geschlossen sein, dann kann ich sie nicht mehr sehen. Nicht heute mehr ... Er stöhnte auf.

      Jetzt mußt du dich entschließen. Du mußt. Du mußt.

      Er fühlte eine schmerzhafte Spannung in jeder Fiber, in jedem Muskel. Er ging schneller und schneller.

      Nein, nein! Nicht mehr denken, nicht mehr; jetzt muß ich zu ihr ... Mag kommen, was will ...

      Er dachte noch, suchte noch zu kämpfen, aber er wußte, daß er es doch tun werde.

      Und dann: mit einem Ruck warf er alle Gedanken aus seinem Gehirn und stieg schnell die Treppe hinauf.

      Aber als er läuten wollte, befiel ihn wieder dies lähmende Angstgefühl. Er setzte mehrmals den Finger an den Knopf der elektrischen Glocke, aber er wagte ihn nicht zu drücken. Dann lehnte er sich an die Wand, weil er plötzlich sich so schwer fühlte. Nun stieg er ein paar Stufen hinunter, er zählte sie; dann hörte er unten das Klirren von Schlüsseln, und mit einem Male besann er sich auf sein Muß, auf das letzte Muß, das doch immer siegen müsse.

      Er ging wieder hinauf und läutete.

      Ein Dienstmädchen machte auf.

      – Ist Fräulein Isa ...

      – Fräulein Isa ist nicht zu sprechen; sie hat verboten, Jemanden vorzulassen ...

      – Aber sagen Sie ihr, daß ich sie sprechen muß ...

      Er schrie es fast, wußte aber nicht weswegen.

      In diesem Momente öffnete sich eine Tür: Isa stand im Korridor.

      Falk ging auf sie zu; ohne ein Wort zu sprechen traten sie in das Zimmer.

      Sie faßten sich an den Händen und zitterten Beide.

      Dann warf sie ihre Arme um seinen Hals und weinte laut auf.

      XVII.

       Inhaltsverzeichnis

      Mikita ging die ganze Zeit in München wie im Traume. Er tat Alles, was ihm seine Freunde rieten, er ging überall hin, wo man sagte, daß er hingehen müsse, aber er fühlte, daß es schlecht, sehr schlecht um ihn stehe.

      Nun mußte er abfahren. Er wäre so gerne in München geblieben, aber er hatte nichts mehr zu tun. Und er mußte etwas zu tun haben. Gleichgültig was.

      Er ging langsam zum Bahnhof. Ja, er mußte nach Berlin zurück.

      Eigentlich hätte er sich von seinen Freunden verabschieden sollen, aber das war so peinlich. Sie würden mit ihm auf den Bahnhof gehen wollen, dann würden sie Witze machen und ihm Freundlichkeiten erweisen ... nein! er mußte allein bleiben.

      Merkwürdig, wie seine Gedanken sich in die Breite zogen! Früher jagte das Alles sich übereinander, so daß er Mühe hatte, zu wissen, was er eigentlich wollte, und jetzt Alles so hübsch breit und behaglich und übersichtlich.

      Seine Stimme war auch leise geworden.

      Nur dies sonderbare Zittern, das ihn so stundenlang befallen konnte, dies seltsame Verschwinden des Bewußtseins – oh! das war fürchterlich.

      Er fühlte Angst, daß es wiederkommen würde.

      Plötzlich blieb er vor einem Waffenladen stehen. Er erinnerte sich an die tausend Reisegeschichten, die er in Zeitungen gelesen hatte. Die Möglichkeit war ja nicht ausgeschlossen, daß ihm auch so etwas passieren könnte. Ja, er könnte auch überfallen werden. Herrgott! Warum sollte ihm das nicht zustoßen, was tausend Andern zugestoßen war? Er lachte still in sich hinein.

      Ja! Sonderbar, dies mit dem Denken. Nicht ein einziges Wort hatte er übersprungen.

      Er sah die mannigfaltigen Waffen in dem Schaufenster.

      Furchtbar erfinderisch sind doch die Menschen!

      To be or not to be ... schoß es ihm plötzlich durchs Gehirn.

      To be or not to be ... Nun fehlte ihm noch ein passender Mantel und ein Schädel ... Potz Tausend! Das müßte er vorm Spiegel einstudieren! Der kleine Mikita ... wunderbar. Er würde ja ungefähr aussehen wie der kleine Opernsänger Sylva in der Robe des Riesenrecken Siegfried.

      Er ging in den Laden hinein.

      Das Erste, was ihm auffiel, war ein großer Abreißkalender.

      1. April – las er die riesigen Buchstaben. Prima Aprilis ... da gibt es heute viele Überraschungen.

      Er verlangte nach einem Revolver, war aber so müde, daß er sich hinsetzen mußte.

      War es denn durchaus nötig, daß er heute noch nach Berlin zurückfahren müsse? könnte er nicht warten, bis er sich ein wenig erholt habe?

      Da belebte er sich wieder.

      Die Entfernung ist ja für die Liebe von der allergrößten Bedeutung. Falk ist auch weg. Sie hat sich die ganze Zeit gelangweilt. Sie mußte ja immer Jemanden um sich haben. Wenn er jetzt zurückkäme ... Warum sollte ihm das nicht passieren, was tausend Andern passiert ist?

      Hatte er nicht in hundert Romanen gelesen, daß die Entfernung eine erlöschende Liebe wieder entflamme!

      Herrgott! Die Schriftsteller sind doch wirklich nicht von Pappe ... Wie schön und wie ausführlich sie das schon beschrieben haben!

      Er bezahlte den Revolver und ging.

      Eine Hoffnung löste die andre ab. Sein Gang wurde hastig. Er reckte sich. Es kam ihm vor, als träten plötzlich neue Muskeln in Tätigkeit.

      Und so kam eine Unruhe über ihn, eine Spannung daß er glaubte, unmöglich diese lange Reise aushalten zu können.

      Es fing an in seinem Gehirn zu fiebern.

      Er dachte an Isa; er dachte daran, wie sie glücklich waren, wie sie ihn liebte und bewunderte. Er war ja der mächtige Künstler, den sie in ihm verehrte.

      Aber es war nicht nur der Künstler. Nein, nein! Sie liebte es ja, sich an ihn anzuschmiegen, und ihn zu streicheln ... Sie – sie – o Gott, wie er sie liebte! Wie er gar nicht selbst war, wie jeder Faden seines Organismus mit dem ihren zusammengeknotet war, – so unlöslich ...

      Aber selbstverständlich mußte sie müde werden, er hatte sie doch unaufhörlich gequält mit seiner Eifersucht, seiner ... seiner ...

      Ja, nun, nun ... sie war so gut. Sie hatte ihm Alles vergessen.

      Da – Ja, da wird sie stehen und ihm die Hände hinstrecken und sich dann an seine Brust werfen: Gott sei Dank, daß Du hier bist! Ich habe mich so grenzenlos nach Dir gesehnt.

      Ja, das wird sie tun! schrie er auf. Er wußte es ganz sicher.

      Aber ... ja! Hat sie ihm nicht auf seine Briefe nur ein einziges Mal ein Billet geschickt, daß sie sich wohl fühle ...

      Er schlug sich auf den Kopf.

      O, du dummer Mikita! Was weißt du vom Weibe? Was weißt du von seiner Listigkeit ... Ja, selbstverständlich! Wie konnte er sich nur deswegen so quälen? Das ist ja ganz klar ... und es ist ganz Recht, daß sie mich so bestraft ...

      Und er überzeugte sich mit deutlichen und eindringenden Argumenten, daß er die ganze Sache total mißverstanden hatte, daß es nur weibliche Schlauheit, weibliche Klugheit ... nein, nein, wie sagte doch Falk ... angeborene