Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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je näher er an Berlin kam, um so stärker wuchs seine Unruhe. Die alte Qual stieg wieder in ihm hoch, und die letzten zwei Stunden war er nur noch eine willenlose Beute der wüstesten Schmerzensraserei.

      Wie ein Tier wurde er gequält! Das ist doch unerhört, was sich so ein Mensch quälen muß – unerhört!

      Und er lief in dem Coupé hin und her, sprang und zuckte, und dann plötzlich befiel ihn dies furchtbare Zittern am ganzen Körper, daß er glaubte, er müsse nun wahnsinnig werden vor Schmerz und Angst.

      Isa empfing ihn mit kaltem, verlegenem Lächeln.

      Sie war mit Packen beschäftigt.

      Mit einem Ruck empfand Mikita eine klare, eisige Klarheit.

      Er konnte ebenso gut gleich gehen, aber er war so erschöpft, daß er sich hinsetzen mußte.

      Isa wandte sich weg.

      – Du! schrie er sie plötzlich heiser an, ohne sie anzusehen.

      Er kam nicht weiter. Auf dem Tisch sah er ein paar grüne, seidne Strümpfe. Irgend eine verborgene, geschlechtliche Assoziation löste sich in ihm aus, er packte die Strümpfe und zerriß sie in Stücke.

      Isa sah ihn verächtlich an. Jetzt endlich hatte sie den Mut gefunden.

      – Was willst Du von mir? Ich liebe Dich ja nicht. Sie versuchte nur, ob sie ihm das sagen könne.

      – Ich liebe Dich nicht. Du bist mir vollkommen fremd ...

      Sie wollte noch Etwas von Falk hinzufügen, aber das konnte sie nicht.

      Sie sah dies Hündische, Unterwürfige in ihm.

      Er wurde ihr widerwärtig.

      Sie sagte noch Etwas, dann hörte er nichts mehr.

      Er ging auf die Straße.

      Einmal hatte er doch irgendwo gelesen, daß man in solchen Augenblicken nichts verstehe, aber er hatte Alles verstanden, so klar, so deutlich. Eigentlich brauchte sie es ihm gar nicht zu sagen.

      Warum die Straße nur so leer war?... Aha! es war ja Sonntag und da gingen alle Menschen hinaus ins Freie ... Sonntag ... prima Aprilis – Nachmittags – er sah auf die Uhr – sechs Uhr Nachmittags ... To be or not to be – Ja, wenn ich vor dem Spiegel stehe mit Hamletsmantel und dem Schädel in der Hand, dann muß ich der Zeittatsache in dem Schlußmonolog Erwähnung tun.

      Er hätte sich das doch niemals denken können, daß man vor seinem Ende so klar, so ruhig und so vernünftig denken könne ...

      Ja – Garborg hat Recht. Wenn man erst weiß, daß man unabwendbar sterben muß, dann ist man ganz ruhig.

      Ja, ja ... die Schriftsteller sind immer diejenigen, welche ...

      Er ging sehr langsam, aber jetzt blieb er stehen.

      Dieser dumme Bengel irritierte ihn schon lange. Ja, schon eine geraume Zeit mußte er ihn beobachten.

      Er ging wohl zu einem Mädchen, wollte kleine Füße haben und hatte sich zu enge Stiefel gekauft. Und jetzt mußte er jeden Augenblick stehen bleiben, und um seine Hühneraugen zu maskieren, tat er, als ob er die Schaufenster ansah.

      Da – da ... nun blieb er wieder stehen!

      Eine plötzliche Wut erfaßte Mikita gegen diesen dummen Bengel. Er trat mit strenger Miene an ihn heran.

      – Sie, junger Herr, Sie haben wohl mächtige Hühneraugen?

      Der junge Herr sah ihn verblüfft an, dann wurde er zornig, ganz tiefrot vor Zorn.

      Mikita bekam Angst.

      – Das ist eine gemeine Unverschämtheit! schrie der junge Mann.

      Mikita kroch ängstlich in sich zusammen. – Verzeihung ... Sie wissen ... Wachsmutringe in der Uhr ...

      Er entfernte sich schnell.

      Gott, wie die Menschen ungemütlich werden – sie schreien mich an, plagen mich, quälen mich bis aufs Blut –ja ... seigner à blanc ...

      Ja, er fühlte, daß ihm Tränen über die Backen rollten.

      Na, Mikita! Es ist dir zwar viel Schlimmes widerfahren, aber deswegen brauchst du nicht zu heulen ... Zum Teufel! Beruhige dich doch!

      Er wurde wütend.

      Dummer Mensch mit deinen sentimentalen Komödien! Warum greinst du? Vermutest du etwa was vom schönen Geschlecht in der Nähe, das dir gleich so rührselig wird? Heh? Das schöne Geschlecht ... na ob!...

      Er ging in sein Atelier hinauf, und schloß die Tür zu.

      Er sah ein Bild an. Diese scheußliche Verzeichnung! Daß er das nicht bemerkt hatte! Das mußte er gleich verbessern!...

      Er faßte einen Pinsel, aber seine Hand flog willenlos umher.

      Er wurde rasend, packte in sinnloser Wut das Gemälde und riß es in Stücke.

      Dann warf er sich auf das Sofa. Aber von Neuem flog er auf, als wäre er von tausend Teufeln besessen.

      – Isa! schrie er auf – Isa!

      Er fing an zu lachen. Ein Lachkrampf, daß er erstickte.

      Er wälzte sich auf dem Boden. Er schlug mit dem Kopf gegen die Dielen, er faßte einen Stuhl, zerschlug ihn in Stücke, eine Vernichtungsraserei wütete in ihm.

      Als er zu sich kam, war es Nacht.

      Er war erschöpft. Sein Gehirn war irr.

      Nur das Eine, das Letzte: Ja, Gott, was war es denn, was sollte er doch nur tun.

      Plötzlich fühlte er etwas Schweres in der Tasche.

      Aha! Ja, richtig! Richtig ... Er ging suchend im Zimmer umher und wiederholte fortwährend: Ja, richtig, richtig ...

      Das war es! Der Revolver in der Tasche hat ihm wohl die Haut am Bein abgeschürft. Es brannte so. Sich hinsetzen! Nicht wahr? Das war wohl das Richtigste.

      Wie die Ruhe weh tat!

      Er nahm den Revolver, es dauerte lange, bis er ihn geladen hatte. Seine Hände wollten nicht mehr seinem Willen gehorchen.

      Er wurde sehr böse.

      Natürlich sich zuerst hinsetzen. Das war das Wichtigste.

      Er setzte sich hin.

      Ins Herz? Freilich! Das war ne gute Idee. Man schießt gewöhnlich einen Millimeter höher und wird dann kuriert! He, he ...

      Plötzlich verfiel er in ein willenloses Brüten, er vergaß Alles.

      Mit einem Mal hörte er ein Singen auf dem Hof. Eine jähe Unruhe ergriff ihn. Er umklammerte fest den Revolver.

      Schnell! Schnell!

      Es peitschte ihn Etwas in eine furchtbare Unruhe. Nach einer Sekunde würde er es nicht machen können.

      Und mit jähem Ruck steckte er die Waffe tief in den Mund hinein und drückte los ...

      XVIII.

       Inhaltsverzeichnis

      Falk und Isa saßen am selben Abend im Coupé! Sie fuhren nach Paris.

      – Liebst Du mich? fragte sie und sah ihn glücklich an.

      Falk antwortete nicht. Er drückte ihr die Hand und sah ihr mit unendlicher Innigkeit in die Augen.

      – Du mein ... Du! Sie saßen lange, eng aneinander gepreßt. Sie wurde müde. Er machte ihr ein Lager aus Plaids zurecht, wickelte sie ein und sah sie immer an mit derselben heißen, zärtlichen Innigkeit.

      – Du mein ... mein ...

      – Küß mich! Sie schloß die Augen.

      Er