Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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sah nun das Auge in sich, es sah ihn an ... Wie sah es ihn an?

      Wenn er es malen würde?... Nun, drei Schritte zurück ... Nein! in die Ecke des Ateliers hinein – in die andere ... Und nun durch den Spiegel ... Ja, er konnte sich nicht helfen ... Es war Verachtung! Große, kalte Verachtung!

      Für Isa wurde es nun unausstehlich. Sie empfand eine fiebernde Unruhe; sie fühlte, wie das Herz schnell und schwer gegen das Korsett schlug.

      Sie müsse um jeden Preis Falk sehen, er muß doch endlich kommen. Jeden Tag ist er doch hier; warum kommt er denn gerade in diesen Tagen nicht?

      Das Gespräch kam wieder in Gang.

      – Ach, laßt mich nur mit der Literatur in Ruhe; dies ewige Geplapper über Poeten und Verleger und Verlegerpreise macht Einen wirklich ganz nervös – Iltis gähnte affektiert – Was wollt ihr vom Falk? Er ist ein guter Kerl.

      Isa horchte auf.

      Sie sah Mikita, wie er sich plötzlich aufrichtete.

      – Was? Was? Falk?

      – Na ja, dozierte der Säugling, Falk hat Talent, das will ich ja zugeben; aber es ist noch im Werden, es muß ausreifen, es muß ausgären; man weiß noch nicht, wie er sich entwickeln wird. Er sucht, er tastet noch ...

      – Was? Falk tastet?... Mikita lachte mit gespielter Herzlichkeit. Sie sind kostbar ... Wissen Sie, Falk ist der Einzige, der was kann. Falk hat das Neue gefunden. Ja, Falk kann das, was Ihr Alle können möchtet – Falk – Falk ...

      In diesem Momente trat Herr Buchenzweig an Isa heran.

      Er setzte voraus, daß alle diese Gespräche eine Dame langweilen müßten, und so wollte er sie unterhalten.

      Sie sah auf das glatte, feiste, schöne Friseurgesicht.

      Was wollte nur der Mensch?

      Ja, Herr Buchenzweig hatte die große Ehre gehabt, das gnädige Fräulein auf der Soirée in Gegenwart des Herrn Falk gesehen zu haben. Herr Falk sei ein ungemein interessanter Mann, eigentlich derjenige, der ihn am meisten interessierte ... Er sei auch nur hergekommen, um ihm zu begegnen ...

      – Du, Isa, rief Mikita über den Tisch hinweg – weißt Du, daß Falk von Berlin weggereist ist?

      Er heftete starr seine Augen auf sie.

      Isa fuhr zusammen. Sie empfand einen heftigen Schmerz in ihrem Gesichte, ein Schnürgefühl in der Brust ... sie sah mit weiten Augen das wilde, boshafte, stark gerötete Gesicht von Mikita, dann wandte sie sich ganz mechanisch an Buchenzweig.

      Sie wollte ein Glas Wein trinken; es war leer.

      Buchenzweig lief dienstfertig nach dem Kellner.

      Alles floß in ihren Augen zusammen. Sie sah nichts. Sie hörte plötzlich Jemanden sprechen; es war Buchenzweig. Aber sie verstand nicht gut, was er wollte. Sie sah ihn nur, lächelte mechanisch – der Wein wurde gebracht. Sie trank.

      – Herrn Halbe kenne ich sehr genau. Ein ungemein liebenswürdiger Mensch, eine große Kraft in unserer Zeit, der es so sehr an großen Talenten mangelt.

      Isa sah ihn an. Der Mensch wurde ihr plötzlich widerwärtig. Sie wußte nicht warum.

      – Verzeihen Sie, Herr Buchenzweig, Ihre Gesellschaft ist mir sehr angenehm, aber ich muß nun nach Hause.

      Sie ging an Mikita heran.

      – Ich muß jetzt nach Hause gehen.

      – So, so? – wirklich? Langweilst Du Dich hier?

      Sie hörte nicht auf ihn und kleidete sich an.

      Wieder sah sie das widerwärtige Friseurgesicht des Herrn Buchenzweig.

      An wen erinnerte er sie nur? Ja, richtig, an den Friseur, bei dem sie sich ihr Haar shampoonieren ließ.

      Als sie sich in die Droschke setzten, wobei Iltis sehr galant Isa behilflich war, schrie ihm Mikita zu:

      – Wartet nur, bis ich zurückkomme! Wir sollen eine lustige Nacht haben.

      Isa zuckte mit den Achseln.

      Beide sprachen kein Wort.

      Sie war gelähmt, sie konnte nicht denken. Sie war so müde.

      Hin und wieder empfand sie eine trostlose Verzweiflung, die dann wieder in diese schlaffe Müdigkeit umkippte.

      – Du, Isa, morgen wird meine Ausstellung in München eröffnet.

      – So, so ...

      Der Wagen blieb stehen.

      – Gute Nacht! Mikita zuckte es in allen Gliedern.

      – Gute Nacht.

      – Jetzt fahren Sie mich aber schnell zurück, brüllte er den Kutscher an.

      Der Kutscher schlug auf den Gaul los, die Droschke flog nur so über die Asphaltstraße.

      Inzwischen krümmte und wand sich Mikita in einem heftigen Anfall von Weinkrampf.

      Als er in die »grüne Nachtigall« zurückkam, war er ruhig und gefaßt.

      Er wurde mit einem kräftigen Gejohle begrüßt.

      Ja, Isa hat uns Alle gedrückt, dachte er.

      – Du, er setzte sich neben Iltis – wenn ich heute stark betrunken werde, so setze mich morgen früh in den Zug, der nach München geht. Sieben Uhr dreißig, merke es Dir ...

      – Weiß schon, weiß schon; habe hundert Mal die Strecke befahren.

      XV.

       Inhaltsverzeichnis

      Falk saß auf seinem Hotelzimmer und brütete vor sich hin.

      Wozu war er eigentlich hergekommen? Er hätte sich ja ebenso gut in Berlin quälen können.

      Nun sind es wohl sechs Tage?

      Er sann nach. Ja, er war schon sechs Tage hier.

      Aber jetzt konnte er es nicht mehr aushalten. Nein, unmöglich. Ja, er mußte ohne jegliches Selbstmitleid, einfach als eine nackte Tatsache konstatieren, daß er unmöglich länger diese Qual ertragen konnte. Er würde sicherlich zu Grunde gehen. Jeden Tag barst in ihm Etwas, das noch gestern heil war, jeden Tag wuchs der Ekel vor dem Leben – und dieser Schmerz ...

      An einem Weibe zu Grunde gehen? Er, der Künstler, Er ... Ha, ha, ha ...

      Als ob es nicht besser wäre, an einem Weibe zu Grunde gehen, als an einem idiotischen Schlaganfall, oder an Typhus, oder an Diphtherie ...

      Oh du dummer Iltis! Wie flach du bist! Dann geh ich wenigstens an mir selbst zu Grunde; dann geh ich an dem zu Grunde, was mich grade in meiner intimsten Seelenstruktur ausmacht. Und sie, ja sie: das bin Ich, Ich, den du nie gesehen hast, den ich erst jetzt in mir erkannte.

      Er konnte nicht zu Ende denken ...

      Magst du an deinem Säufer- oder Verfolgungswahnsinn zu Grunde gehen, wenn du das als eines Mannes würdiger ansiehst – ich gehe an Mir zu Grunde ...

      Aber wozu denn zum Teufel zu Grunde gehen? Ich will glücklich sein – ich will leben ...

      Er verlor plötzlich den Gedankenfaden. Sein Gehirn war doch gar zu zerfahren in der letzten Zeit.

      Er saß und saß und merkte, daß er ganz stumpf war. Er zwang sich, zu denken.

      Hm; er hatte doch niemals Etwas getan, wobei er sich nicht kontrolliert hätte. Ja, die ersten zwei Tage hatte er sich noch in seiner Macht. Er wirkte ja auf sie mit bewußten Mitteln ...

      Herrgott! Die lächerliche Geschichte mit den Schwänen! Wie dumm erfunden, wie ungeschickt ... patzig, ja, patzig ...

      Und dann kam der Strudel, der Wirbel ...