Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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Ich folgte ihm, ich glaubte, daß ich ihn lieben könnte, weil er mich so liebt ...

      Wüßtest Du, wie ich müde bin ... Dich, Dich liebe ich schon lange – lange ... Seit er angefangen hat, von Dir zu sprechen ... Ich bestimmte ihn, hierherzukommen ... Als ich Dich sah, das erste Mal – ich zitterte, als sollte ich umsinken ... Aber ich darf nicht, ich darf nicht ... Ich will nicht von Einem zum Andren gehen ... Laß mich, laß –

      Aber er hörte nichts mehr, er preßte sie an sich, er wühlte sich mit seinen Lippen in die ihren, er umfaßte ihren Kopf und preßte und preßte ihn mit irrer Leidenschaft in sein Gesicht.

      Endlich riß sie sich los und schluchzte laut auf.

      – Laß mich. Quäl mich nicht. Ich – ich kann nicht!

      Er stand auf und eine unendliche Traurigkeit kam in seine Seele.

      Dann faßte er ihre beiden Hände, sie sahen sich stumm an und hielten sich lange, lange fest.

      – So gehen wir auseinander?

      – Ja ...

      – Und werden uns nicht mehr sehen?

      Sie schwieg. Tränen liefen stumm über ihre Backen.

      Nicht mehr! Falk zitterte heftig. Jetzt sollte er sein Todesurteil hören.

      – Nein ...

      XII.

       Inhaltsverzeichnis

      Als Falk wieder allein auf der Straße war, blieb er stehen.

      Er stand lange, bis er es plötzlich merkte.

      Ja, zum ersten Male empfand er diese furchtbare, würgende Traurigkeit.

      Er war wie gelähmt.

      Nie mehr! Es kam ihm nicht deutlich zum Bewußtsein.

      Er wiederholte es: Nie mehr. Aber er konnte es sich durchaus nicht vorstellen.

      An der Ecke blieb er wieder stehen.

      Nach Hause?

      Was sollte er zu Hause?

      Er sah gegenüber elektrisches Licht in Café-Fenstern.

      Mechanisch ging er hinein.

      Als er sich nach einem Platz umsah, schrak er heftig zurück.

      Er entdeckte Mikita in einer Ecke. Er sah schrecklich aus.

      War es Blut? – Ja, Blut ... Falk ging an ihn heran.

      – Herr Gott, was hast Du gemacht?

      Auf seiner Wange war geronnenes Blut und die Haare waren mit Blut verklebt.

      Mikita sah ihn mit gläsernen Augen an. Vor ihm stand eine große Karaffe Absinth.

      – Ah, Du bist es? Willkommen, willkommen, bin hocherfreut.

      – Was hast Du mit Dir gemacht?

      Es war ekelhaft.

      – Na, lieber Falk, was macht die Liebe?... Wie geht es mit der Liebe?... Das mit der Hauptsache ... leicht, nicht wahr? Isa ist eine Tänzerin, eine pietätlose Tänzerin ... Ha, ha, ha ...

      Mikita lachte mit widerlichem Zynismus.

      Falk empfand Ekel, aber bezwang sich.

      – Was hast Du denn gemacht! wiederholte er, Mikita anstarrend.

      – Was ich gemacht habe? He, he, he ... Den Kopf hab ich mir ein Bißchen zerschlagen. Bißchen Blut ... Herrgott! Das zieht die Aufmerksamkeit der Menschen an und ich kann meine Studien machen.

      Er zeigte auf die Marmorplatte des Tisches, die ganz und gar mit Bleistiftzeichnungen bedeckt war.

      – Nein, nein, das tut nichts ... Na, sag mal aber, Falk, wie weit bist Du denn eigentlich?

      Falk sah ihn verächtlich an. Aber plötzlich entdeckte er dies Gläserne, Seltsame, das er nie vorher gesehen hatte, und ihn packte Angst.

      – Du bist ein dummer Esel, schrie er ihn an.

      Mikita sank nach der künstlichen Aufregung wieder in sich hinein, sein Gesicht bekam einen stupiden Ausdruck, er nickte mechanisch mit dem Kopfe.

      – Weiß ... weiß ...

      Falks Angst wurde noch größer. Er setzte sich neben ihn.

      – Du Mikita, Du bist ein Idiot – was willst Du von Isa, was willst Du von mir? Sag es nur ganz offen.

      Mikita sah ihn plötzlich wütend an.

      – Willst Du mir etwa was vorlügen? Warst Du heute nicht den ganzen Abend mit ihr zusammen?

      Falk fuhr auf.

      – Deinetwegen bin ich mit ihr zusammen gewesen ... Jagst zuerst die Menschen zur Türe hinaus, und dann willst Du, daß sie ruhig nach Hause gehen. Du hast sie den ganzen Abend gequält und mit dummen nichtswürdigen Anspielungen gestichelt, und dann willst Du, daß sie ruhig auf ihr Zimmer geht und sich schlafen legt ...

      Die moralische Entrüstung war nicht übel, Falk schämte sich. Diese elende Feigheit und Betrügerei!

      – Wo warst du denn mit ihr, wo?

      – Wo ich war?... Ich mußte sie beruhigen, weil ihr süßer Bräutigam Gemütsblödigkeiten bekommt, und solche Auseinandersetzungen kann man wohl nicht auf der Straße halten.

      Mikita sah ihn mißtrauisch an.

      – Geh doch, dummer Mensch, hier nebenan und frag und forsche nach beim Wirt, dann wirst Du erfahren, wo ich mit ihr war– Übrigens bedank ich mich hundertmal, ich will nicht mehr den Vermittler in Euren Zänkereien spielen. Ich will nicht mehr Deiner Braut die herrlichen Gemüts- und Geisteseigenschaften Ihres künftigen Gemahls breit und weit entwickeln und sie entschuldigen ...

      Mikita sah ihn weit an.

      – Hast Du das getan?

      – Sonst würd ich es nicht erzählen.

      Das ist gemein! das ist gemein! wiederholte sich Falk in seinem Innern ... Warum denn eigentlich? Weil ich ihn damit beruhige? Das sollte gemein sein?... He, he., mögen sie glücklich werden, ich werde sie ja nicht mehr sehen.

      Vor Mikitas Augen flimmerte es. Er griff nach Falks Hand und preßte sie so fest, daß Falk hätte vor Schmerz laut aufschreien mögen.

      – Du ... Du, Falk ... stammelte Mikita ... ich ... ich danke – seine Stimme brach.

      Nie noch hatte Falk dies peinliche Gefühl gehabt, er hätte sich ohrfeigen mögen, aber ... er machte ihn ja glücklich. Gleichzeitig fühlte er einen dumpfen Haß. Er empfand Mikita als etwas Untergeordnetes .... Herrgott! Wie kann man mit dieser blutigen Backe herumlaufen!

      – Wisch Dir doch das Blut weg!

      Mikita wurde verlegen. Er schämte sich und sah Falk hilflos an. Dann ging er in den Toilettenraum und wusch sich.

      Falk schüttelte sich. Ekelhaft; jetzt fühlte er sich unwillkürlich als ein Wohltäter des armen, belogenen Mikita ... Ja, eine Art Mäzen, der dem betrogenen Zwerg das Glück wiedergab – ekelhaft!

      Aber – ja! Warum sollte er sein Glück Mikitas wegen preisgeben? Warum? Weil da so ein Stück posthumer Vergangenheit, ein Stück dummen Gewissens in ihm stecke, atavistische Begriffsüberbleibsel von Haben, Besitzen, von Früher und Später ... Er hätte ebensogut vor Mikita sein können, und Mikita könnte dann ebensogut das tun, was er tun wollte, was er nicht mehr tun will ... na ja, jetzt ist Alles vorbei ... jetzt, – jetzt ...

      Mikita kam zurück.

      – Nun siehst du wieder menschlich aus. Falk empfand das Bedürfnis, zu Mikita gut zu sein, – ja, wie früher, wie ein Bruder ...