Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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– es wurde ihm heiß und kalt, und Ekel erfaßte ihn mit sich selbst.

      – Du Falk, wir wollen gehen.

      Sie gingen stillschweigend neben einander.

      In Mikita kochte es, dann floß es über.

      – Du verstehst es nicht, Erik; Du kannst es nicht begreifen ... Weißt Du etwas von ihr? Sag es, sag – weißt Du? Nichts, nichts ... drei, vier Monate bin ich mit ihr zusammen, und ich weiß nichts. Ich stürzte mich hinein – nein, nicht ich; ich wurde durch einen Wirbel aufgesogen, und nun stürz ich und stürze, weiß ich wohin?

      – Du – Du, Erik. – Er faßte krampfhaft seinen Arm ... Du weißt es nicht, wie es frißt ... Diese Unsicherheit – dies ... Verstehst Du ... Es packt mich manchmal auf der Straße, mitten im Gehen – ein Stich ins Herz, ein Krampf ... ich komme von Sinnen; ich – ich ...

      O wüßte er, wie ich mich quäle, dachte Falk ... Mir das zu sagen!... Ha, ha, ha.

      Plötzlich kam ihm die Situation lächerlich vor. War es nicht unendlich komisch, daß sie Beide wie drehkranke Schafe um das eine Weib ... Er unterdrückte den Haß, der immer hoch wollte gegen den Menschen, mit dem er dieselbe Leidenschaft und denselben Schmerz teilte.

      – Du kennst Deine Braut nicht ...

      Deine Braut! Wie unsagbar das schmerzte. Aber er sollte sie ja nicht mehr sehen. Es wurde ihm plötzlich klar, jetzt endlich hatte er es begriffen. Nicht mehr ... Es überlief ihn kalt.

      – Ja, ja ... ich kenne sie nicht, ich weiß nichts von ihr ... Mikitas Stimme zitterte – aber eben, eben ...

      Falk hörte ein unterdrücktes Glucksen. Aber er empfand kein Mitleid.

      Er wurde hart.

      – Du, Mikita, ich fühle, daß Du eifersüchtig auf mich bist – Du hast keinen Grund dazu. Ja, ja, ich weiß, daß Du mit dem Verstande dagegen kämpfst, aber das – das, was von Unten kommt, läßt sich nicht überzeugen ... Also verstehst Du, Deine Braut soll mich nicht mehr sehen ... Nein, nein, erlaub mal, das ist kein Opfer. Ich habe Deine Braut sehr lieb, aber Du irrst Dich, wenn Du glaubst, daß es ein tieferes Gefühl sei – ganz dasselbe ist es bei Deiner Braut ...

      Falk weidete sich förmlich an dem Worte Braut. Das tat doch wenigstens weh.

      – Nein, nein, ich kenne Dich; ich kenne Deine Freundschaft zu mir – aber das wird das Beste sein, daß wir uns vorläufig nicht mehr sehen ... Na, leb wohl ...

      Mikita war ganz sprachlos.

      – Ja, ja, leb wohl –

      Mikita wollte Etwas sagen, aber Falk sprang in eine Droschke hinein.

      – Wohin soll ich Sie fahren?

      Falk nannte mechanisch, ohne es zu wissen, die Straße, in der Janina wohnte.

      Er besann sich plötzlich.

      Was? Wie? Wohin hat er gesagt? Wie kam es ihm so plötzlich ins Gehirn?

      Er hatte doch keinen bewußten Gedanken an Janina – den ganzen Tag nicht. Nein, nicht ein einziges Mal hatte er an sie gedacht.

      Was wollte er von ihr?

      Aber er verweilte nicht länger dabei. Es war ja gleichgültig, wohin er nun fahre. Und gleichgültig war es ja auch, ob er es wußte oder nicht ...

      Das Andre, das tausendmal wichtiger war, wußte er auch nicht.

      Warum hatte er sich in das Weib verliebt? Warum? Warum leide er so unerhört? Eines Weibes wegen!

      Ha, ha, ha ... da gehen die stolzen, harten Männer umher und verachten das Weib.

      Falk schüttelte sich vor Lachen.

      Sie verachten das Weib, oh, die klugen, harten Männer! – Sie leiden auch nicht unter dem Weibe. Sie sind so stolz und so hart! Ja, selbst der alte komische Iltis verachtet das Weib ...

      Falk lachte nervös, ohne zu wissen warum ...

      Ich habe nie unter einem Weibe gelitten! Falk sah Iltis vor sich.

      Weil Dein Organismus roh ist, lieber Iltis; Dein Geschlecht ist noch unabhängig vom Gehirne, Du bist wie die Hydromeduse, die plötzlich einen Fangarm mit Geschlechtsorganen abwerfen kann und ihn nach einem Weibchen suchen läßt, ohne sich weiter um ihn zu kümmern. Gott! Bist Du glücklich, lieber Iltis! Aber ich beneide Dich nicht um Dein Glück. Ich habe niemals das Vieh beneidet, daß es Gras fressen kann, und mag ich noch so lange hungern.

      Ich leide an mir, lieber Iltis, ich leide an einem Versuch meines Gehirns, seine Tiefe zu offenbaren, die Nabelschnur bloßzulegen, mit der ich mit dem All zusammenhänge, mit der ganzen Natur ... Ich leide, weil ich nicht Natur werden, weil ich das, wovon ich eine Hälfte bin, das Weib, nicht in mich aufsaugen kann, weil ich ... weil ... Es ist ja am Ende gleichgültig, was ich kann, und was nicht, es sind ja nur Alles Lügen meines überbildeten Gehirns – nur die Tatsache, die Tatsache ... ich leide, wie ich noch nie gelitten habe ...

      Er streckte sich in dem Wagen ganz lang aus.

      Nun solle er sie nie mehr wiedersehen ... Warum?

      Weil Mikita der Erste war, ja vielleicht auch der Ältere und dem Alter gebührt ja der Vorrang – und dann, ja, weil Mikita leiden würde ...

      Falk lachte höhnisch.

      Ja, er müsse sich opfern, weil ein Andrer leiden würde. Und damit ein Andrer nicht leiden solle, müsse er es tun. Hat sich nicht Rabbi Jeschua am Kreuze annageln lassen, damit den Andern der Himmel geöffnet werde? Und Er, ja Er, Herr Erik Falk, nehme die Leiden eines Andern auf sich, Er sei der Wohltäter, der große Erlöser.

      Nun ist Mikita ganz überschüttet mit meinen Wohltaten, er konnte sich ja kaum auf den Füßen halten ob der schweren Last ...

      Ekelhaft! Falk spie aus, was er sonst nie zu tun pflegte.

      Ja, er wolle wegfahren, um Mikita nicht unglücklich zu machen. Nur deswegen!

      Natürlich fahr ich weg, weil sie mich darum bittet, aber warum soll ich nicht vor einem Andren als ein Erlöser gelten? Warum nicht?

      Ich könnte ja Mikita sagen, daß ich wegfahre, weil mir eine Gefahr drohe, aber das würde sich nicht so schön machen – vielleicht doch? Na ja, gleichgültig ...

      Oder ich hätte sagen können: Mikita, du bist ein Esel und zu Zeiten nicht allzu ästhetischer Herr. Natürlich ist Ästhetik etwas unglaublich Lächerliches, aber so viel Zivilisation muß man im Leibe haben, um sich vor Schmerz nicht den Kopf zu zerschlagen ...

      O, Allmächtiger, wie dank ich dir, daß du mich nicht so geschaffen hast, wie jenen Zöllner da ...

      Ja, man kann in unbewachten Augenblicken fabelhaft brutal denken.

      Aber was ich doch sagen wollte ... siehst du, Mikita, man muß so was ein Bißchen maskieren ... Herrgott, ich habe ja nichts dagegen, daß du leidest; warum nicht? Das tu ich auch, aber du müßtest dich dabei anders anstellen ... Also siehst du: du merkst, daß deine Braut dich mit dem Freunde verrät. Sogleich wirst du ungemein freundlich, mit einer gewissen, wegwerfenden, nachlässigen Kälte. Du stellst dich ganz gleichgültig an. Nur an deinem Gesichte sieht man hin und wieder ein zuckendes Leiden. Nicht oft übrigens, nur da, wo es wirklich angebracht ist. Das ist Sache des instinktiven Taktgefühls.

      Kurz: gleichgültig, kalt, wegwerfend.

      Weißt du, was ich dann tun würde?

      Schämen würd ich mich in Grund und Boden hinein, ich würde mich als armer Sünder empfinden, lächerlich würd ich mir vorkommen. Möglich, daß dann alle diese negativen Gefühle mich abkühlen, ernüchtern würden ...

      Aber so; – Ja, so bin ich dein Wohltäter, vor dem du dich schämst, ja schämst, weil du so lächerlich deine Eifersucht zur Schau trägst, weil deine Backe mit Blut besudelt ist ...

      Ja, dein Wohltäter bin ich, vor dem du Worte des Dankes stammelst ...

      Ja,