Inzwischen hatte Dr. Scheibler die Wunde geschlossen und ordnete an, daß der Patient in den Aufwachraum hinübergebracht wurde, dann zog er seine Plastikhandschuhe aus und warf sie mit einer wütenden Geste in den Abfalleimer.
»Jetzt reicht’s!« erklärte er ärgerlich. »Das war der sprichwörtliche Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat.« Er sah Stefan an. »Ich verspreche dir, daß das der letzte ungerechtfertigte Angriff gewesen ist, den du bekommen hast. Noch heute werde ich deinen Vater über Wolfgangs unmögliches Verhalten informieren und dafür sorgen, daß der werte Herr Chefarzt ganz gehörig in seine Schranken verwiesen wird.«
Damit ging er hinaus und schloß die Tür zum Waschraum sehr nachdrücklich hinter sich. Stefan sah ihm nach, dann seufzte er.
»Das nützt mir im Augenblick allerdings herzlich wenig«, meinte er niedergeschlagen. »Ich muß mich jetzt nämlich trotzdem wieder von Wolfgang zusammenstauchen lassen.«
»Nein«, entgegnete Karina energisch. »Ich werde zu ihm gehen.« Sie sah ihren Bruder mit entschlossenem Blick an, dann fügte sie hinzu: »Und wage es nicht, mich aufzuhalten.«
*
Dr. Metzler sah ärgerlich auf die Uhr, als es an seiner Tür klopfte und diese sich gleich darauf öffnete.
»Das nächste Mal bist du gefälligst pünktlich, sonst…« Er hielt mitten im Satz inne, als er erkannte, daß nicht der von ihm erwartete Stefan ins Büro getreten war, sondern Karina.
»Wo ist dein Bruder?« fragte er in ungewohnt barschem Ton.
»Er wird nicht kommen«, antwortete Karina ruhig.
Wütend sprang Dr. Metzler auf. »Was soll das heißen? Wenn ich ihm sage, daß er sich bei mir zu melden hat, dann soll er gefälligst gehorchen, sonst…«
»Sag mal, Wolfgang, merkst du gar nicht, wie sehr du dich verändert hast?« fiel Karina ihm scheinbar ungerührt ins Wort.
Abrupt wandte Dr. Metzler ihr den Rücken zu. »Ich habe mich überhaupt nicht verändert.«
»Doch, Wolfgang.« Sie schwieg kurz. »Wenn du damals, als ich dich in der Villa meines Vaters kennenlernte, schon so gewesen wärst wie jetzt, dann hätte ich mich niemals in dich verlieben können.«
Langsam drehte sich Dr. Metzler um und sah sie an. »Heißt das… du liebst mich nicht mehr?« Er senkte den Kopf. »Darüber sollte ich eigentlich froh sein.«
»Bist du es denn nicht?«
»Doch, Karina, allerdings nicht so sehr um meinetwegen, sondern vor allem wegen dir. Es war schlimm für mich zu wissen, daß ausgerechnet ich derjenige bin, der dich so unglücklich gemacht hat.«
Karina ging zu ihm und berührte seinen Arm. »Siehst du, Wolfgang, so, wie du jetzt bist, bist du wieder der Mann, in den ich mich verliebt habe. Keine Angst, es ist vorbei – jetzt weiß ich es ganz sicher, aber… meine Güte, du warst so sanft… so rücksichtsvoll, und trotzdem mußte man vor dir Respekt haben.«
»Du sprichst in der Vergangenheit. Bin ich denn jetzt nicht mehr so?«
Karina schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Du bist ein rücksichtsloser Despot geworden. Du regierst in dieser Klinik wie ein Diktator, und das Ziel deiner sinnlosen Angriffe ist Stefan. Willst du ihm eigentlich den Arztberuf vermiesen, oder hast du nur Angst, er könnte einmal besser werden als du?«
»Das ist doch Unsinn!« begehrte Dr. Metzler wütend auf. »Ich bin nicht so, wie du mich darstellst!«
»Doch, Wolfgang, und es ist jammerschade, daß du so geworden bist.« Wieder schwieg Karina eine Weile, dann fügte sie hinzu: »Weißt du eigentlich, wie sehr Stefan immer zu dir aufgesehen hat? Du warst sein ganz großes Vorbild – mehr noch als Papa. Doch jetzt… es ist noch gar nicht so lange her, daß er über dich gesagt hat: ›Gott bewahre, daß ich einmal so werde wie der‹.«
Sie sah ihn an. »Wolfgang, wach endlich auf! Du bist im Begriff, etwas sehr Wertvolles zu zerstören, aber noch ist es nicht zu spät. Besinne dich auf das, was du einmal gewesen bist: ein Chefarzt, vor dem man Respekt, aber keine Angst hatte… ein Chefarzt, den man lieben und verehren konnte. Bitte, Wolfgang, werde wieder du selbst.«
*
Der Vormittag hielt für Dr. Daniel nur unangenehme Überraschungen bereit. Die Sprechstunde hatte gerade begonnen, als Erika Metzler auch schon völlig aufgelöst in der Praxis erschien.
»Robert, ich habe Blutungen!« stieß sie angsterfüllt hervor, kaum daß sie das Sprechzimmer betreten hatte, dann brach sie in Tränen aus. »Ich will dieses Baby nicht wieder verlieren!«
»Das werden Sie nicht, wenn ich es verhindern kann«, entgegnete Dr. Daniel beruhigend, dann bat er Erika, sich freizumachen, damit er sie untersuchen konnte.
»Es ist doch nicht schon wieder zu spät?« Erikas Stimme bebte. »Bitte, Robert, sagen Sie, daß es noch nicht zu spät ist.«
»Nein, Erika, beruhigen Sie sich. Ihr Baby ist noch genau da, wo es hingehört.« Dr. Daniel richtete sich auf und seufzte. »Allerdings besteht dennoch die Gefahr einer erneuten Fehlgeburt.« Er legte sehr behutsam eine Hand auf ihren Arm. »Ich fürchte, Sie müssen wieder Bettruhe halten, Erika, und ich kann Ihnen nicht versprechen, daß sich das bis zur Geburt noch ändern wird.«
»Egal«, erklärte Erika voller Überzeugung. »Wenn ich das Baby nur nicht verliere. Alles andere ist mir völlig gleichgültig.«
Dr. Daniel nickte. »Dann werde ich Sie jetzt gleich mit dem Krankenwagen abholen lassen. Wir wollen schließlich kein Risiko eingehen.«
Er wollte gerade nach dem Telefonhörer greifen, als seine Empfangsdame ein Gespräch von der Waldsee-Klinik durchstellte.
»Robert, hier ist Gerrit«, gab sich Dr. Scheibler zu erkennen. »Ich muß dringend mit Ihnen sprechen. Es geht um Wolfgang.«
Dr. Daniel unterdrückte nur mit Mühe einen Seufzer. »Heute paßt aber auch wieder alles zusammen. Ich komme unmittelbar nach der Sprechstunde zu Ihnen.«
»Kann ich auch in die Praxis kommen?« fragte Dr. Scheibler zurück. »Ich weiß, es ist nicht sehr nett, Sie so zu bedrängen, aber es ist wirklich wichtig.«
»Na schön, kommen Sie her, aber bringen Sie gleich einen Krankenwagen mit. Erika muß umgehend in die Klinik. Drohende Fehlgeburt.«
»O Gott«, entfuhr es Dr. Scheibler, dann seufzte er. »Das paßt ja ausgezeichnet. Ich bin in fünf Minuten mit dem Wagen bei Ihnen.«
Dr. Scheibler hatte nicht zuviel versprochen. Es dauerte tatsächlich nur kurze Zeit, bis der Krankenwagen der Waldsee-Klinik mit blinkendem Blaulicht auf dem großen Vorplatz stehenblieb. Dr. Scheibler sprang heraus, betrat eiligen Schrittes die Praxis und beugte sich dann als erstes zu Erika hinunter, die blaß und ängstlich auf der Untersuchungsliege lag.
»Erika, es tut mir so leid«, meinte er mitfühlend. »Ich hätte dir von Herzen eine problemlose Schwangerschaft gewünscht.«
Die junge Frau berührte seine Hand und brachte trotz der Angst und Sorge um ihr noch ungeborenes Baby ein zaghaftes Lächeln zustande.
»Du bist ein lieber Kerl, Gerrit«, erklärte sie leise »Weißt du, es macht mir nichts aus, wenn ich jetzt weiterhin liegen muß. Es ist nur… ich habe schreckliche Angst, daß ich das Baby trotzdem wieder verlieren könnte.«
»Das wird Robert sicher zu verhindern wissen.«
Inzwischen waren auch die beiden Sanitäter mit einer Trage hereingekommen.
»Ich werde unmittelbar nach der Sprechstunde