»Ach, was bringe ich nur mit? – Rose, was nehmen wir mit nach der Burg?«
Fritz war längst wieder daheim, aber noch immer berieten die beiden Kinder, womit sie die Ausflügler überraschen könnten. – Schließlich wurde Minna ins Vertrauen gezogen. Sie sollte ihnen etwas aus der Speisekammer geben, wodurch man allen, die am Sonntag mit in den Wald kämen, eine Freude machen könnte.
»Ich will es mir überlegen«, sagte Minna, und dann teilte sie Frau Sandler den Wunsch der beiden Mädchen mit. Die Försterin stiftete eine Flasche Himbeersaft.
»Unterhalb der Ruine ist eine Quelle, vielleicht ist es gut, wenn die Kinder Himbeersaft zum Trinken haben.«
»Werden die Kinder die Flasche unterwegs auch nicht zerschlagen?«
»O nein, Pucki wird schon achtgeben.«
Die Kinder umarmten Minna abwechselnd, als sie ihnen die Flasche mit Himbeersaft aushändigte.
»Du mußt sie noch aufmachen, Minna.«
»Nein, nein, die laßt nur hübsch zu. Einen Korkenzieher bringt die Mutti mit.«
»O nein«, sagte Pucki geheimnisvoll. »Mutti darf nichts davon wissen. Dann nehmen wir den Korkenzieher mit.«
»Meinetwegen, ihr bekommt die Flasche ja doch nicht auf.«
Die Flasche mit Himbeersaft wurde von Pucki am Sonnabend abends mit ins Bett genommen, damit sie ja nicht verloren ginge.
»Ätsch«, sagte sie abends zu der kleinen Schwester, »warum bist du noch so klein. Nun darfst du noch nicht mit zu der Ritterburg. Als ich so klein war wie du, durfte ich auch nicht mit. – Siehst du, warum bist du so klein!« –
Der Sonntag war voller Sonnenschein. Seit dem frühen Morgen fragten die Kinder, ob man denn nicht bald abführe.
»Haltet Ruhe, ihr Kinder«, schalt der Förster, der schon nervös geworden war, da die beiden Mädchen unablässig die gleiche Frage stellten. »Der Wagen fährt um zwölf Uhr dreißig Minuten von dem Niepelschen Gute ab. Ihr werdet kurz nach eins abgeholt, eher nicht.«
Pucki stand vor der Uhr und sagte seufzend: »Kannst du dich nicht ein bißchen schneller drehen, alte Uhr?«
Das Mittagessen wurde heute schon um halb zwölf Uhr eingenommen. Die Kinder vermochten vor lauter Aufregung kaum etwas zu genießen. Roses Augen glänzten wie im Fieber. Sie konnte sich einen solchen Ausflug nicht verstellen. Was würde sie heute Seltsames und Wunderbares erleben!
Die Flasche mit dem Himbeersaft wurde von Pucki wie ein Schatz gehütet. Sie wußte, daß die Mutti an jedem Morgen beim Aufräumen der Zimmer half. Wenn sie die Flasche sah, war die Überraschung vorbei. Darum trug Pucki die kostbare Flasche sogleich nach dem Aufstehen in den Hühnerstall und schob sie ins Stroh.
Von Zeit zu Zeit lief sie in den Stall, um nachzusehen, ob keiner die Flasche entfernt hätte.
»Jetzt wollen wir die Sachen, die wir mitnehmen, einpacken«, sagte die Mutter.
»Nimmst du auch was mit, Mutti?«
»Selbstverständlich, wir sind doch beinahe zwanzig Personen.«
»Oh, ich habe auch – – nein, nein, Mutti, ich verrate nichts.«
Frau Sandler lächelte still vor sich hin. Sie wußte ja genau, was ihr Töchterchen für den heutigen Ausflug mitnahm, doch sie wollte ihr die Freude an dem Geheimnis nicht verderben.
Die Kinder umstanden die Mutter, die in einen großen Henkelkorb allerlei einpackte. Ein Tischtuch wurde auch hineingetan.
»Wir decken auf dem Waldboden unseren Tisch und setzen uns daran.«
»Wir setzen uns auf Baumstümpfe, Mutti.«
»Mitten im Walde?« forschte Rose. »Ach, das wird herrlich!«
Endlich war es so weit. Draußen stand der Kastenwagen mit dem weißen Pferdchen. Pucki und Rose kletterten, ehe die Mutter kam, hinauf und riefen abwechselnd nach der noch beschäftigten Försterin.
»Mutti, komm doch schnell, sonst fährt der Leiterwagen weg! – Mutti, Mutti, so komm doch!«
»Wo hast du denn die Flasche?« fragte Rose.
»Oh – –!«
Pucki sprang vom Wagen und lag im nächsten Augenblick der Länge nach auf der Nase. Aber tapfer verbiß sie den Schmerz. Sie hatte sich die Nase ein wenig aufgeschlagen. Einige Blutstropfen wurden sichtbar.
Im Haus begegnete ihr die Mutter.
»Was ist denn geschehen? Das ist ja ein netter Anfang, Pucki. Komm schnell, ich will dir das Gesicht abwaschen!«
»Nein, nein, sonst fährt der Leiterwagen weg!«
»Er wartet, bis wir da sind. Also komm, zuerst das Gesicht abwaschen!«
Und so geschah es.
»So, Pucki, nun geh hinaus und steige in den Wagen, ich bin fertig.«
Aber Pucki lief davon, hin zum Hühnerstall, übersah in ihrer Eile die Schwelle und lag erneut auf der Erde. Das Kleidchen wies einige bedenkliche Flecke auf, denn wo Hühner sind, ist es nicht überall sauber.
Voller Schreck sah Pucki auf das beschmutzte Röckchen.
»Nun fährt der Leiterwagen bestimmt weg!«
Die Flasche wurde hervorgezogen, dann ging es in schnellem Lauf zurück durch das Haus und hin zum Wagen. Glücklicherweise war die Mutti noch nicht da.
»Ich hab' inzwischen deinen Schulranzen geholt«, sagte Rose, die auch vom Wagen gestiegen war. »Wir stecken die Flasche hinein, dann sieht sie keiner.«
Rose hielt Pucki die geöffnete Büchermappe hin, in der noch die Tafel und das Lesebuch steckten. Sorgsam legten die Kinder die Flasche hinein.
»Du bist ja voller Schmutz, Pucki.«
»Ich zieh' die Decke 'rauf.«
In dem kleinen Wagen lag stets eine Decke, die Pucki bis an den Hals hinaufzog. Die hilfsbereite Rose hockte sich neben sie und hielt die Decke mit fest. Frau Sandler wunderte sich über die Kinder, die so steif dasaßen; ließ sie jedoch gewähren.
Nun ging es los. Bald war das Niepelsche Gut erreicht. Vor dem Hause stand der große Leiterwagen, über und über mit frischem Grün geschmückt. Sogar die beiden Pferde, die vor den Wagen gespannt waren, hatten am Geschirr grüne Büschel.
»Fahren wir mit dem Wagen?« fragte Rose, und ihre Stimme zitterte vor Aufregung.
Die Ankommenden wurden von den bereits anwesenden Kindern mit lautem Hallo empfangen. Sie schwenkten die Lampions, die sie an langen Stöcken trugen. Gutsbesitzer Niepel hatte die Lampions gestiftet, und auch für Pucki und Rose waren solche bereit.
»Kind, wie siehst du denn aus?« rief Frau Sandler entsetzt, als sie ihr Töchterchen sah. »So schmutzig willst du nach der Ruine fahren?«
»Lassen Sie sie nur«, sagte Herr Niepel lachend. »Wenn die Kinder wieder heimkommen, werden sie alle so aussehen. Ich kenne das. Auf einem Ausfluge erlebt man mancherlei.«
Pucki wurde, so gut es ging, gesäubert, dann hieß es einsteigen, zumal auch aus der Oberförsterei der Wagen mit der Oberförsterin und den fünf Mädchen eingetroffen war.
»Kommt der große Claus nicht mit?« fragte Pucki ein wenig enttäuscht.
»Der Onkel kommt mit den beiden Jungen später nach.«
»Na, dann ist's gut.«
»Jetzt einsteigen«, rief Niepel. »Hallo, nicht alle auf einmal, immer hübsch einer nach dem anderen. – Paul, willst du die Bretter wohl in Ruhe lassen! Setz dich hin – nicht ins Stroh! – Dora, was machst du denn wieder für Dummheiten! – Grete, geh von den Pferden