Jetzt ergriff Florian das Wort. »Kann es nicht, im Gegenteil, du wirst sogar noch öfter kommen müssen. Unsere Antonia wurde noch nicht getauft …, das werden wir sehr bald nachholen. Ihr Rufname ist Antonia, aber ihr zweiter und dritter Vorname sind Regina und Leonie …, und dich, liebe Leonie, bitte ich hier und jetzt, auch im Namen von Sandra, Antonias Taufpatin zu werden.«
Das großzügige Geschenk des Grafen hatte ihr beinahe den Atem genommen, jetzt konnte sie erst einmal nichts sagen. Sie schämte sich nicht der Tränen, die ihr übers Gesicht rannen. Nach einer ganzen Weile stammelte sie: »Nichts lieber als das … Danke für die große Ehre.«
»Wir danken dir, Leonie«, sagte Florian mit ernster klingender Stimme. »Wir zwei waren schon immer ein Herz und eine Seele. Was du für Sandra und mich getan hast …, es gibt keine Worte, die groß genug sind, das auszudrücken, was wir empfinden … Leonie«, er holte tief Luft, »es ist schön, dass es dich gibt.«
»Darauf trinken wir«, sagte Gräfin Klara rasch, die blitzschnell erfasst hatte, dass die Stimmung jetzt ins Sentimentale überzuschwappen schien.
Sie hoben die Gläser, prosteten sich zu.
Sandra wollte etwas sagen, doch sie wurde daran gehindert, als sich von der Tür her ein weinerliches Stimmchen vernehmen ließ: »Ich kann nicht schlafen, ich hatte einen schlechten Traum.«
Die kleine Antonia stand im Türrahmen, barfuß, verschlafen, ihren Teddy unter dem Arm.
Wie von der Tarantel gestochen, sprangen Graf Anton, Gräfin Regina, Florian und Sandra fast gleichzeitig auf, rannten, als gäbe es eine Goldmedaille zu gewinnen, zur Tür.
»Mein armes Herzchen …«
»Du darfst keine Angst haben …«
»Komm, der Opi bringt dich zurück ins Bett.«
»Nein, die Omi …«
Graf Anton war der Sieger.
Er trug, wie eine Trophäe, die kleine Antonia weg, Regina und Sandra, nicht zu vergessen Florian, folgten ihm wie bei einer Prozession.
Klara lachte.
»Das kann jetzt länger dauern. Komm, wir ziehen uns zurück. Wir haben morgen noch eine lange Fahrt vor uns …, bringst du mich hinauf in meine Suite?«
Leonie stand auf, ging um den Tisch herum, half ihrer Tante hoch.
»Aber selbstverständlich, mein Röschen.«
Sie hatte es absichtlich gesagt, wartete jetzt auf den Protest.
Nichts geschah.
Hatte Tante Klara das nicht mitbekommen?
Wohl eher unwahrscheinlich, die hatte Ohren wie ein Luchs.
Als sie die Tür erreicht hatten, bemerkte Klara leichthin.
»Übrigens, wir können es beibehalten, ich mein das mit dem Röschen. So schlecht finde ich es nicht …, und da ich ja insgesamt eine liberalere Einstellung bekommen habe, können wir es beibehalten.«
Sie blieb stehen, schaute Leonie an.
»Aber nur, wenn wir allein sind. Hörst du? Niemals vor anderen Leuten.«
»Niemals vor anderen Leuten«, versprach Leonie.
Gräfin Klara begann behende die Treppe hinaufzulaufen, Leonie hatte Mühe ihr zu folgen.
Als sie oben vor der Suite standen, sagte Klara: »So, du kannst jetzt gehen. Genieße die letzte Nacht in deinem geliebtem Turmzimmer …, und genieße diesen Triumph …, du hast den Fall gelöst. Nun ja, ein bisschen ich auch, denn ich habe Anton und Regina dahingehend bearbeitet, dass sie nicht anders konnten, als Florian und Sandra ihren Segen zu geben … Ich mein, wo leben wir denn … Standesbewusstsein hin und her. Das darf niemals auf Kosten von Menschen gehen. Ich habe doch recht, nicht wahr?«
»Du hast recht, wie immer, mein geliebtes Röschen«, Leonie hütete sich davor, ihre Tante jetzt darauf aufmerksam zu machen, dass sie nicht viel anders gewesen war als ihre besten Freunde.
Wenn sie wieder in der Villa Rosenstein waren, würde sich zeigen, ob ihre Tante es wirklich so meinte …, und das erste Indiz würden die Audienzen im gelben Salon sein.
Würde es die künftighin geben? Ach, welche Rolle spielte es! Sie war daran gewöhnt, konnte damit leben. Sie umarmte ihre Tante, hinter deren Zartheit sich eine so unglaubliche Stärke verbarg.
»Schlaf gut, mein Röschen …, ich habe dich sehr, sehr lieb. Und es ist schön, jetzt wiederhole ich das, was Florian gesagt hat, es ist schön, dich in meinem Leben zu haben.«
Da sie wusste, dass Tante Klara Sentimentalität nur bis zu einem gewissen Punkt vertragen konnte, wandte sie sich schnell ab.
Sie wusste, dass ihre Tante ihr nachblickte, und sie wusste auch, dass es ein Blick voller Stolz war.
Jetzt, da sie allein war, konnte sie zugeben, dass sie auch ein bisschen stolz auf sich war.
War alles ziemlich gut gelaufen …
stand sie auf, ging zum Schrank, holte eine flache dunkelgrüne Kassette heraus, brachte sie zum Tisch, zögerte einen Augenblick, ehe sie sie auf der aufgeschlagenen Zeitung abstellte. Ein wenig umständlich schloss sie die Kassette auf.
Wieder ein kurzes Zögern, dann raffte sie die Papiere und Zeitungsausschnitte zusammen und stopfte alles achtlos in eine große, altmodische Handtasche. Nun befand sich nur noch die goldene Kette in der Kassette, mit einem großen Saphiranhänger, umgeben von einem Kranz aus Brillanten. Es war eine schöne, wertvolle Kette.
Unschlüssig starrte sie eine ganze Weile darauf, ehe sie die Kette schließlich mit spitzen Fingern herausnahm und sie sich um den Hals legte.
Dabei zitterten ihre Hände so sehr, dass es eine gewisse Zeit dauerte, bis sie den Verschluss zu bekam.
Sie fühlte sich unbehaglich mit der Kette und widerstand der Versuchung, sie herunterzureißen.
Stattdessen brachte sie die leere Kassette an ihren Platz zurück und zog den Schlüssel ab, obschon darin doch nichts mehr enthalten war.
Aus Gewohnheit legte sie den Schlüssel in die hintere Ecke der Schrankschublade, in der sich nur ein nie benutzter Schreibblock und zwei Stifte befanden.
Die schwarze Katze umstrich ihre Beine.
Obwohl es nicht geplant war, ging sie zum Kühlschrank, holte eine Dose mit Futter heraus und schüttete alles in den cremefarbenen Napf.
Dabei hatte sie Tränen in den Augen.
Sie vermied es, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, die Katze zu streicheln.
Die Katze machte sich gierig über das Futter her.
Die Frau ging in den kleinen Flur und nahm ihren Mantel vom Haken.
Er war graumeliert und an den Kanten bereits ein wenig abgestoßen.
Er war einmal sehr teuer gewesen.
Sie überprüfte ihr Bild nicht im Spiegel, nachdem sie den Mantel zugeknöpft hatte.
Aber sie überprüfte die offene Badezimmertür, das offene Badezimmerfenster.
Dann verließ sie, ohne sich noch einmal umzudrehen, die Wohnung.
Sie schloss nicht ab, sondern zog die Tür nur ins Schloss.
Als sie Stimmen im Treppenhaus hörte, wartete sie, bis die verstummt waren, dann ging sie eilig weiter.
Unten warf sie den Schlüssel in den Briefkasten und verließ, die Tasche eng an sich gepresst, das Haus.
Es