Die Hohkönigsburg. Julius Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066111274
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       Inhaltsverzeichnis

      Der große Tag, dem die Spielleute des Wasgaues alljährlich mit Freuden, etliche, die kein reines Gewissen hatten, aber auch nicht ohne Bangen entgegensahen, war herangekommen. Aus allen Himmelsrichtungen, von nah und fern strömten die Fahrenden beiderlei Geschlechts durch die Thore der Stadt Rappoltsweiler herein, um an dem Feste theilzunehmen. Jedes Alter, jede Gattung von weltfreien Künstlern der vielverzweigten Zunft und alle möglichen Instrumente, denen durch Streichen und Blasen, Knipsen und Klimpern, Schwingen und Schlagen Töne entlockt werden konnten, waren in der tausendköpfigen Menge vertreten. Die Ankommenden hatten sich, je nach Mitteln und Geschmack, mit ihren besten Kleidern und Flittern in bunten, grellen, ja schreienden Farben aufgeputzt und trugen an einem blauen Bande um den Hals das Abzeichen der Bruderschaft, eine versilberte Schaumünze mit dem Bilde der heiligen Jungfrau Maria vom Dusenbach. Auffallende Erscheinungen, solche von jugendlicher Schönheit und Anmuth und solche von ungepflegtem, fast wüstem Äußern, anziehende, drollige, abenteuerliche Gestalten waren unter ihnen zu sehen. Aber fröhlich und guter Dinge waren sie Alle sammt und sonders, die am reichsten Geschmückten wie die bettelhaft Dürftigsten, als wüßten sie nichts von des Lebens Drang und Noth und hätten Leid und Sorgen für heute von sich abgeschüttelt oder wie abgetretenes Schuhzeug daheim in ihren Hütten zurückgelassen.

      Und Alle schienen sich unter einander zu kennen und begrüßten sich wie Glieder einer einzigen großen Familie, deren zahlreiche, weitläufige Verwandtschaft sich im Jahre nur einmal auf den Ruf ihres würdigen, allverehrten Oberhauptes versammelt, um sich ihrer Zugehörigkeit bewußt zu bleiben und ihre freundlichen Beziehungen unter sich aufzufrischen und aufrecht zu erhalten. Das Händeschütteln und Umarmen, das Lachen und Jauchzen beim Wiedersehen wollte kein Ende nehmen. Der Eine schaute dem Anderen in die Augen und fragte nach seinem Befinden und Ergehen. Harmlose und herausfordernde, kecke und derbe Scherze flogen hin und her, immer gut gemeint und niemals übelgenommen, denn an den Pfeifertagen sollte Eintracht walten; wehe dem, der den Frieden brach oder muthwillig störte!

      Wie die zugewanderten Schaaren in der Stadt ein Unterkommen finden wollten, blieb der Umsicht und Spürkraft jedes Einzelnen überlassen, aber die Bürger, die sich allerseits an den Belustigungen des dreitägigen Festes rückhaltlos betheiligten und mit dem alljährlich in Massen wiederkehrenden, sich hier frank und frei tummelnden Spielmannsvolke von Jugend auf bekannt und vertraut waren, nahmen sie gern auf in ihren Häusern und gaben ihnen kostenfreie Herberge unter Dach und Fach, soviel sie vermochten. Die Fahrenden waren auch nicht verwöhnt, begnügten sich mit einem Strohlager auf dem Söller, in Ställen und Schuppen und dankten ihren gütigen Wirthen mit allerhand Kunststücken und munteren Spielmannsweisen. Einige hatten sich, durch Erfahrung gewitzigt, ein zusammengelegtes, leichtes Zelt mitgebracht, das sie in Höfen und Gärten, an der Stadtmauer und wo sonst Platz war, aufschlugen, um mit Weib und Kind, allein oder zu Mehreren darin zu schlafen.

      An Räumlichkeiten zu geselligem Aufenthalt fehlte es indessen nicht. Es gab Gastwirthschaften und Weinhäuser, die für geziemende Verpflegung mit Speise und Trank nur eine billige Irte berechneten. Für die Vorträge und Vorführungen der Spielleute und Geschicklichkeitskünstler, soweit sie nicht im Freien stattfanden, war an geeigneter Stelle eine große Halle mit Sitzbänken rings an den Wänden errichtet, die nach dem Feste abgebrochen und im nächsten Jahre wieder aufgebaut wurde. Bei ungünstigem Wetter wurde auch das Gericht darin abgehalten. Den vornehmen Gästen aber, namentlich den älteren Herren diente der mit guten Weinen versorgte Rathskeller als Trinkstube, wo sie unter sich waren und, ihre Frauen, Söhne und Töchter nach deren Belieben den Lustbarkeiten des Festes überlassend, dem Becher wacker zusprachen.

      Graf Schmasman, als Ältester der Rappoltsteiner der Lehensherr der Pfeiferbruderschaft, hatte während der drei Tage den Wirth zu spielen, zwar ohne die Kosten tragen zu müssen, doch mit der sich selbst auferlegten Verpflichtung, sich möglichst viel unter sein liebes Spielmannsvolk zu mischen und sich um das Wohl und Wehe seiner Schutzbefohlenen theilnahmsvoll zu bekümmern. Viele von ihnen kannte er und beglückte bald Diesen, bald Jenen mit einer traulichen Ansprache, wobei ihm überall von Alt und Jung die größte Ehrerbietung erwiesen wurde.

      Um daneben auch eines vergnüglichen Verkehrs mit Standesgenossen pflegen zu können und zugleich dem Feste durch Betheiligung der ritterlichen Gesellschaft einen erhöhten Glanz zu verleihen, lud er stets einige benachbarte, ihm befreundete Familien dazu ein, die sich das bewegte, geräuschvolle Treiben und die ergötzlichen Gestalten der Fahrenden gern ansahen und, Schmasman in seinem Amt als Wirth unterstützend, die Spielleute durch ein wohlwollendes, freundliches Benehmen ehrten und erfreuten.

      So hatte er diesmal die Thierstein mit den bei ihnen auf der Hohkönigsburg zu Gaste weilenden Fleckenstein, die Müllenheim, die Andlau, die Lützelstein von der Frankenburg und die Rathsamhausen geladen, welche letzteren während der Dauer des Festes auch auf der Rappoltstein'schen St. Ulrichsburg wohnten. Außer den Geladenen hatten sich auch noch einige andere ältere und jüngere Herren und Damen unaufgefordert in Rappoltsweiler eingefunden, die in dem Kreise durchweg willkommen geheißen wurden.

      Graf Oswald von Thierstein war in der Erwartung und mit der Absicht gekommen, unter allen Anwesenden hier eine erste, bevorzugte Stelle einzunehmen. Er hatte, als er mit den Seinigen, alle prächtig gekleidet und auf schön gezäumten Rossen, einritt, sich mit einem ansehnlichen Gefolge umgeben, um von vornherein die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der Stallmeister Isinger, der nun doch ohne Gefahr für die Sicherheit der Hohkönigsburg dort abkömmlich zu sein schien, bildete voranreitend die Spitze und die beiden Leibtrabanten des Grafen, Marx und Herni, nebst ein paar Troßknechten den Schluß des stattlichen Zuges, in dem auch die gefallsüchtig lächelnde Zofe Dimot nicht fehlte. Aufsehen erregte Graf Oswald allerdings damit, aber kein ihm günstiges. Nur ein kaltes, neugieriges Staunen hatten die fahrenden Leute für den prunkenden Aufzug, weil sie an eine solche Prachtentfaltung seitens der Herrschaften bei dem volksthümlichen Feste nicht gewöhnt waren. Die übrigen Herren und Damen hatten auch an der gebräuchlichen Einfachheit in ihrem Äußeren festgehalten und selbst die Fleckenstein, die mit den sämmtlichen Thiersteinern kamen, waren von dieser löblichen Sitte nicht abgewichen, was dem Grafen Oswald gerade recht war, denn desto mehr stach er selber mit seinen Angehörigen durch den gemachten Aufwand hervor. Den stolzen Erscheinungen der schönen Thierstein'schen Frauen versagte man die Bewunderung nicht, und sie gab sich in mancher laut werdenden Bemerkung kund, als sie durch die in den Gassen auf- und abfluthende Menge zur Herberge ritten.

      Auf dem Platze davor, von dem die fromme Wanderung nach der Kapelle am Dusenbach ausgehen sollte, versammelten sich die ritterlichen Gäste und wurden von den Rappoltsteinern auf das Zuvorkommendste empfangen.

      Egenolf hatte vom ersten Erblicken an nur für Leontine noch Augen und konnte kaum der Versuchung widerstehen, ihr vom Pferde zu helfen, denn hier würde sie ja wohl nicht wie damals in der Waldeinsamkeit allein aus dem Sattel springen. Aber zu dieser Hilfsleistung war ja der Stallmeister mitgenommen, und Egenolf mußte sich gedulden, bis die Reihe an sie kam und er der Abgestiegenen die Hand bieten konnte, die sie leicht erröthend nahm mit den leise gesprochenen Worten: »Ich danke Euch vielmals, Herr Graf, für die freudige Überraschung, die Ihr mir mit dem herrlichen Wolfsfell bereitet habt –.« Sie hatte die Stimme am Ende des Satzes nicht gesenkt, als wollte sie noch etwas hinzufügen, aber sie brach ab und erwähnte des Briefes mit keiner Silbe. Was hätte sie ihm auch darüber sagen sollen? etwa, daß sie ihm künftig jedes Wort glauben wolle? das hätte er doch so auslegen können, als erwarte sie, bald ein bedeutsames Wort aus seinem Munde zu hören. Er konnte ihr auf ihren Dank nichts erwiedern, denn Imagina und seine Schwester Isabella nahmen sie sofort für sich in Beschlag.

      Nach allseitiger Begrüßung entspann sich eine lebhafte Unterhaltung der sich hier Treffenden, denen Schmasman auf mancherlei Fragen nach dem herkömmlichen Verlauf des Festes Rede stehen mußte. Burkhard von Rathsamhausen raunte ihm mit einem Augenwink auf Oswald spöttisch zu: »Nun sieh ihn Dir an, Schmasman! geputzt und gespreizt wie ein Pfau. Mir schwant, wir werden heute noch etwas mit ihm erleben.« Schmasman antwortete nichts, aber er hatte selber schon in Oswalds Zügen einen Ausdruck wahrgenommen, der ihm wenig gefiel und auch in ihm einige Besorgniß erweckte.

      Noch