Die Hohkönigsburg. Julius Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066111274
Скачать книгу
einem hübschen Mädchen ein paar scherzende Worte zu wechseln. Graf Oswald folgte dem Beispiel, um sich auch seinerseits bei dem Volke beliebt zu machen und die Huldigung der so tief unter ihm Stehenden wohlgefällig entgegen zu nehmen. Dabei mußte er jedoch die Enttäuschung erleben, daß ihm durchaus nicht mit der Unterwürfigkeit und ersterbenden Hochachtung Platz gemacht und begegnet wurde, wie er im Gefühl seiner Erhabenheit erwartet hatte. Die Fahrenden zeigten sich gleichgültig und kühl zurückhaltend gegen ihn statt die große Ehre gebührend zu würdigen, die er ihnen seiner Meinung nach mit seiner gnädigen Herablassung anthat. Diese schlichten Naturkinder, die bei allem Übermuth und Leichtsinn einen ihnen angeborenen gesunden Verstand, noch verstärkt durch ein gutes Theil List und Schlauheit, besaßen und sich in ihrem steten Wanderleben Menschenkenntniß und Erfahrung erworben hatten, durchschauten die Absicht des hoffährtigen Herren und fühlten sich durch die Art und Weise seiner Annäherung mehr verletzt als geschmeichelt.

      Zur Steigerung seines Verdrusses darüber mußte er nun noch mitansehen, wie so ganz anders sich die Spielleute gegen ihren Schutzherren benahmen, wie ihre Augen strahlten und an Schmasmans Munde hingen, wenn er mit ihnen sprach, wie sie so garnicht schüchtern vor ihm waren, sondern ihm freimüthig und treuherzig auf seine Fragen Bescheid gaben, seelensvergnügt lachten, ihn umdrängten, ihm so anhänglich und innig ergeben schienen, als wären sie jeden Augenblick bereit, ihr Leben für ihn zu lassen. Diese eifersüchtigen Beobachtungen waren freilich nicht dazu angethan, des Grafen Oswald Stimmung zu verbessern und aufzuheitern. Sein Gesicht ward immer ernster und finsterer, seine Haltung immer steifer und stolzer.

      Jetzt fingen auf den Kirchthürmen die Glocken an zu läuten, und sofort kam Bewegung in die angestauten Massen. Hans Loder reckte seinen Stab über Aller Häupter empor und schwenkte ihn zum Zeichen, daß man Raum schaffen und sich zum Antreten des feierlichen Ganges nach der Kapelle ordnen solle.

      Zwei Stadtknechte mit Hellebarden und nach ihnen eine Schaar festlich geschmückter kleiner Mädchen, die Blätter und Blumen auf den Weg streuten, eröffneten den Zug. Hinter ihnen schritt ganz allein Loder der Trumpeter im Glanz seiner Würde als Pfeiferkönig, gefolgt von den vier Weibeln und den zwölf Meistern, die eine aufsichtführende Stellung in der Bruderschaft einnahmen. Dann kamen die Gäste, und da sich Schmasman, wohl einem alten Brauche gemäß, seine Gemahlin Herzelande zur Begleiterin erkoren, thaten ihm dies die anderen Herren nach, so daß jeder von ihnen die eigene Gattin im Zuge führte, während sich die Jugend nach Belieben zu einander gesellte. Egenolf war so glücklich oder so gewandt, sich Leontine zu erobern, und schien ihr als Partner willkommen zu sein. Graf Oswald von Thierstein aber war unzufrieden, daß er mit seiner Gemahlin nicht als Vorderster oder doch wenigstens unmittelbar hinter Schmasman und Herzelande gehen konnte, sondern noch vier andere Paare und unter diesen auch die Rathsamhausen vor sich hatte. In mürrischem Sinnen starrte er vor sich hin, als spönne er einen heimlichen Anschlag.

      In endloser Reihe, Alt und Jung, Männer, Frauen und Mädchen bunt durch einander gemischt, schlossen sich die fahrenden Leute an, um an der geweihten Stätte ihrer Schutzheiligen, Unserer lieben Frau vom Dusenbach, in Andacht das Knie zu beugen. Und – o Lust und Pein! – Alle, Alle spielten mit der ganzen Kraft der Lungen und der Hände auf ihren Instrumenten ihre eigenen Weisen ohne sich in Takt und Tonart von dem bestimmen oder beirren zu lassen, was die Nachbaren im Zuge auf ihren Spielwerken zum Besten gaben. Sie bliesen und fiedelten, lautenierten und rasaunten Alle mit Gewalt darauf los, als wollte Jeder seine Melodieen, seine Sätze, Triller und Läufe am lautesten zur Geltung bringen.

      An eine Unterhaltung der Paare war dabei nicht zu denken. Man sah sich verzweifelnd und lachend an und mußte diese wunderbare, sinnbetäubende Musik stumm und geduldig über sich ergehen lassen und sein gemartertes Gehör zum Opfer bringen.

      Erst dicht vor der Kapelle, die der Zug nach einer halbstündigen Wanderung erreichte, schwieg auf einen Wink des Pfeiferkönigs der fürchterliche Lärm, und die plötzlich darauf eintretende Stille wirkte überraschend, aber wohlthuend und beruhigend; man athmete auf.

      Die Kapelle, die in ihrem Innern ein wunderthätiges Marienbild bewahrte, lag einsam im tiefen Waldesfrieden des Thales, und ihr hellgraues Gemäuer schimmerte freundlich aus dem grünen Laub der jenseitigen Bergeshalde, zu der eine Brücke über den Dusenbach führte.

      Auf der geebneten Lichtung davor stellten sich die Angekommenen in einem nach der Kapelle zu geöffneten Halbkreise auf, dessen Mitte frei blieb und dessen vorderste Reihe die geladenen Gäste einnahmen. Hinter ihnen drängte sich die Menge Schulter an Schulter bis über die Brücke hinüber und noch auf dem Wege am andern Ufer.

      Der Pfeiferkönig, in der Hand eine pfundschwere Wachskerze, die er der benedeiten Jungfrau als Weihegeschenk brachte, stieg die Stufen zum Eingang empor und hielt an die Versammelten eine kurze Ansprache, mit der er sie hier bewillkommnete und zum Eintritt in das Heiligthum aufforderte, soweit es der beschränkte Raum zuließ.

      Jetzt geschah etwas Unerhörtes. Ehe Einer aus dem Kreise Miene machte, der Einladung des Pfeiferkönigs zu folgen, weil Alle auf Schmasmans Anführung warteten, schritt Graf Oswald von Thierstein mit Gräfin Margarethe über den Platz und auf die Kapelle zu, um sich als die Ersten hineinzubegeben. Aber schnell vertrat ihnen Schmasman mit seiner Gemahlin den Weg und sagte: »Verzeiht, Herr Graf! ich habe den Vortritt.«

      Oswald erwiederte trotzig: »Ihr? warum Ihr? ich meine, ich bin hier der Erste unter unseres Gleichen?«

      »Da seid Ihr im Irrthum,« gab ihm Schmasman zur Antwort. »Vergeßt nicht, daß ich als Lehnsherr der Pfeiferbruderschaft vor allen Anderen hier den Vorrang habe.«

      »Vergeßt Ihr nicht, Herr Graf von Rappoltstein,« sprach Oswald hochfahrend, »daß ich der Landvogt bin, es also mir gebührt, den ersten Rang hier einzunehmen.«

      »Mit Nichten gebührt Euch das, Herr Graf!« erklärte Schmasman sehr bestimmt, »Ihr steht hier auf meinem Gebiet, und ich muß Euch bitten, die Kapelle erst nach mir zu betreten.«

      »Das werde ich nicht thun, Herr Graf von Rappoltstein!« sagte Oswald in gereiztem Tone.

      »Schmasman, hier am Gotteshause keinen Streit!« flüsterte Herzelande ihrem Gatten zu, »gieb nach! sie sind unsre Gäste.«

      Aber Schmasman schüttelte das Haupt, warf einen Blick zu Burkhard hinüber, der von Jost von Müllenheim kaum in Ruhe zu halten war und vor Wuth ersticken wollte, und schritt mit den Worten: »Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe; hier habe ich allein zu entscheiden,« seine Gemahlin führend, an den Thiersteins vorbei und über die Stufen in die Kapelle hinein.

      Graf Oswald stand bleich und rathlos und sprach heftig auf seine Gemahlin ein, die sich, leise an seinem Arme ziehend, vergeblich bemüht hatte, ihn zum Rückzug zu bewegen. Er wollte fort, hinweg von diesem Orte, mußte aber einsehen, daß ein Durchkommen über die dicht besetzte Brücke nicht möglich war. Schon waren andere Gäste dem Grafen Schmasman in die Kapelle gefolgt, und um wenigstens nicht der Letzte zu sein, blieb dem Ergrimmten nichts Anderes übrig als ebenfalls mit seiner Gemahlin die Stufen hinan und in den dämmrigen Raum hinein zu gehen.

      Alle näher Stehenden hatten den überaus peinlichen Auftritt mit angesehen und den erregten Wortwechsel der beiden Betheiligten gehört. Die Gäste und noch weit mehr die Spielleute waren über das ungebührliche Vordringen des Thiersteiner Grafen empört. Die Letzteren bekundeten ihren Unwillen durch ein deutlich vernehmbares Murren, und Rufe wie »Zurück! Graf Rappoltstein voran!« wurden laut. Als sie aber sahen, daß Schmasman durch seine unerschütterliche Ruhe und Festigkeit in dem Rangstreit obsiegte, waren sie drauf und dran, ihre Freude darüber in hellem Jubel auszulassen, und die Weibel und Meister hatten Mühe, diesen, den Unterliegenden geradezu verhöhnenden Ausdruck leidenschaftlicher Parteinahme für den geliebten Lehnsherrn zu dämpfen.

      Graf Oswald konnte seinen Ärger über diesen zweiten Mißerfolg seines ehrgeizigen Strebens kaum verbeißen und verbergen, zumal er sich sagen mußte, daß er sich damit bei seinen Standesgenossen eine durch nichts gut zu machende Blöße gegeben und beim gemeinen Volke sein Spiel nun erst recht ein für allemal verloren hatte. Und da war außer seinen nächsten Angehörigen Niemand, der ihm die zu Theil gewordene Zurückweisung nicht gegönnt hätte. Nur die an dem leidigen Vorfall völlig unschuldigen Thierstein'schen