Die Hohkönigsburg. Julius Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066111274
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und verbindliches Benehmen gegen die Gräfinnen Margarethe und Leontine den üblen Eindruck möglichst zu verwischen und ihnen zu zeigen, daß man sie für die unverzeihliche Anmaßung ihres Familienhauptes nicht im Mindesten verantwortlich machte, sondern sie nach wie vor hoch schätzte und verehrte, wie sie es für ihr liebenswürdiges Wesen verdienten.

      Schwer litt Egenolf unter dem zwischen seinem und Leontinens Vater so unerwartet und scharf hervorgetretenen, muthwillig hervorgerufenen Zwiespalt, der nicht ohne Einfluß auf den geselligen Verkehr und die sich nahe berührenden Standes- und Rechtsverhältnisse der durch ihre Nachbarschaft auf einander angewiesenen Familien bleiben konnte. Im Grunde seines Herzens mußte er seinem Vater Recht und dem Grafen Oswald entschieden Unrecht geben. Dabei drängte sich ihm jedoch die ihn beunruhigende Frage auf, wie sich wohl Leontine fortan zu ihm stellen und verhalten würde. Während des Streites, dessen Zeuge sie, neben Egenolf stehend, gewesen war, hatte sie mit keinem Wort und keiner Bewegung ihre Empfindungen verrathen und war dann auch ohne jede ablehnende Gebärde an seiner Seite in die Kapelle gegangen.

      Das Kirchlein war bis auf den letzten Platz gefüllt, aber die große Mehrzahl der Gläubigen mußte außerhalb bleiben und dort das Ende des Gottesdienstes abwarten.

      Es war üblich, daß an diesem Tage nicht nur Messe gelesen, sondern auch eine Predigt gehalten wurde, die seit Jahren der würdige Prior des Augustinerklosters zu Rappoltsweiler zu übernehmen pflegte. Auch heute betrat er die Kanzel und wandte sich mit seinen beredten Ausführungen an die Gemüther der Spielleute und Fahrenden. Er ermahnte sie zu unverbrüchlicher Eintracht in ihrem Bunde, zu christlicher Demuth und Bescheidenheit, zu Tugend und Ehrbarkeit, Zucht und Sitte. Sie sollten einander wie Brüder und Schwestern lieben und achten; Keiner sollte sich besser und vornehmer dünken als der Andere, Keiner dem Andern seinen Platz streitig machen, sich überheben und vordrängen wollen. Mit Nachsicht und Duldsamkeit sollte Jeder, eingedenk der eigenen Sündhaftigkeit, die Schwächen und Fehler, ja Hochmuth und Eitelkeit des Anderen ertragen in der tröstlichen Gewißheit, daß auch der hienieden scheinbar am höchsten Stehende vor Gott dem Allwissenden und Allgerechten keinen Deut mehr gälte als der Geringsten einer.

      Der Prior, der bis zum Beginn der Messe in der Sakristei verweilt hatte, wußte nichts von dem vorher stattgehabten Rangstreit der beiden Grafen und ahnte daher nicht, welche besondere Bedeutung seine Worte für die Hörer hatten. Diese sahen sich verwundert und mit dem Ausdruck großer Genugthuung darüber an, in welcher unabsichtlich, aber zutreffend anzüglichen Weise dem stolzen Grafen Thierstein hier ins Gewissen geredet wurde. Er selber saß in der vordersten Reihe, den Blick ohne mit einer Wimper zu zucken unverwandt auf den Redner gerichtet, als ginge ihn das in dieser Spielmannspredigt Gesagte garnichts oder doch nicht mehr als alle Übrigen an. Was sich in seinem Inneren dabei regte, was er und die rings um ihn und hinter ihm dicht Zusammengedrängten davon in ihren Gedanken und Gefühlen mit sich nahmen, das wußte auch nur der Allsehende, vor dem die Herzen der Menschen offen liegen wie ein aufgeschlagenes Buch.

       Inhaltsverzeichnis

      Auf dem Rückwege nach Rappoltsweiler wandelte die Schaar derer, die ihrem Andachtsbedürfniß Genüge gethan, nicht in geordnetem, feierlichem Zuge wie auf dem Herwege, sondern Jedermann ging nach seinem Gefallen, und es ward auch dabei nicht musizirt. Die vom Gottesdienst Kommenden mußten sich an den geduldig Harrenden draußen vorbeidrücken, denn keiner von diesen wollte von hinnen ohne in der Kapelle gewesen zu sein und der Heiligen mit einem Kniefall und einem stillen Gebet seine Verehrung dargebracht zu haben. Das erforderte, weil die Andacht dieser frohgemuthen Menschen, deren Gewissen schwere Sünden nicht belasteten und leichte nicht bekümmerten, eine aufrichtige und herzinnige war, geraume Zeit, und ehe die Letzten dem Altar nahen konnten, langten die zuerst Heimkehrenden schon in Rappoltsweiler an. Der Kampf der beiden Grafen um den Vortritt war, von Augenzeugen den draußen Stehenden berichtet und von Mund zu Mund getragen, bald dem ganzen Spielmannsvolk bekannt geworden, und Alle dankten es laut oder leise ihrem dem Gedränge schon entschlüpften Lehnsherrn, daß er fest geblieben war und, wie sie die Sache auffaßten, damit die Ehre der Bruderschaft gewahrt hatte.

      Die Herren und Damen schritten, zu plaudernden Gruppen vereint, wohlgemuth dahin. Sie wollten sich das eigenartige Vergnügen, einem Spielmannsfest beiwohnen zu können, nicht verkümmern lassen, erwähnten des Streites mit keinem Worte und thaten wie auf Verabredung ganz so, als ob nichts Ungewöhnliches vorgefallen wäre. Die Thierstein'schen Damen wurden allerseits mit absichtlicher Auszeichnung behandelt; besonders bestrebten sich Herzelande und Isabella, von Imagina unterstützt, sie den unliebsamen Zwist vergessen zu machen, und anscheinend mit dem besten Erfolge. Auch Schmasman schloß sich ihnen eine Strecke Weges an und entschuldigte bei der Gräfin Margarethe sein übermüthiges Spielmannsvolk wegen des musikalischen Mordspektakels auf dem Herwege mit einigen scherzenden Worten, die gute Aufnahme und freundliche Erwiederung fanden. Egenolf und Bruno wetteiferten mit einander, Leontinen die artigsten Dinge zu sagen und sie zum Lächeln und Lachen zu bringen, was ihnen auch gelang.

      Schwieriger war die Lage des Grafen Oswald und die von ihm als Nothwendigkeit erkannte Aufgabe, sich in den heiteren Ton der Anderen hineinzufinden, an ihrer Unterhaltung unbefangen theilzunehmen und, wenn es unbeschadet seiner Ehre geschehen konnte, sich mit Schmasman einigermaßen zu versöhnen. Er fühlte sich, wenn auch nicht äußerlich gemieden, von seinen Standesgenossen im Stich gelassen und konnte sich dem Eindruck nicht verschließen, daß ihm sein entschiedenes Vorgehen von allen verdacht wurde. Seine Freunde Friedrich von Fleckenstein und Hermann von Hattstadt suchten ihn zwar durch Gespräch auf andere Gedanken zu bringen, merkten aber sehr wohl, daß er fort und fort darüber grübelte und wußten nur nicht, ob er auf ein einlenkendes Wettmachen des begangenen Fehlers oder auf eine ihn erforderlich dünkende Vergeltung und Heimzahlung der ihm widerfahrenen Zurückweisung sann. Zu der ihm zugefügten Kränkung kam nun noch die anzügliche Predigt, die stellenweise wie auf ihn gemünzt und so gelautet hatte, als hätte der Prior schon vor der Messe noch schnell von seinem Streit mit Schmasman Mittheilung erhalten und ihm dafür von der Kanzel herab eine Verwarnung oder gar einen Verweis ertheilen wollen. Um nun zu zeigen, daß er sich von den gefallenen Anspielungen keineswegs getroffen fühlte, redete er den mitheimkehrenden Prior höflich an, sagte ihm laut, damit es möglichst Viele hören sollten, Schmeichelhaftes über seine vortreffliche, zu Herzen gehende Predigt und fragte ihn nach der Gründung der Kapelle und der Herkunft des Muttergottesbildes.

      Da gesellte sich Schmasman, Oswalds Frage vernehmend und ebenso wie dieser eine Versöhnung wünschend, zu den Beiden und drückte dem Grafen seine Freude über dessen Antheilnahme an der Entstehung der Kapelle aus. Er erzählte ihm, ein Vorfahr von ihm, ein Egenolf von Rappoltstein, hätte zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts das Marienbild aus einem Kreuzzuge mit dem blinden Dogen Dandolo von Venedig mitgebracht und der heiligen Jungfrau zu Ehren das Kirchlein errichtet. Er selber hätte die Absicht, das Innere der Kapelle mit bildlichen Darstellungen aus der heiligen Legende schmücken zu lassen.

      Graf Oswald ergriff sofort die Gelegenheit, sich mit Schmasman wieder auf guten Fuß zu stellen. Er lobte dessen frommes Vorhaben und bat um die Vergünstigung, zum Schmucke des alten Gotteshauses auch seinerseits etwas beitragen und zur Erinnerung an seine heutige Anwesenheit bei dem Spielmannsfest, einen Genuß, den er nur Schmasmans gütiger Einladung verdanke, ein paar gemalte Glasfenster für die Kapelle stiften zu dürfen.

      Schmasman nahm dieses großmüthige Anerbieten mit Dank an und reichte dem Thiersteiner Grafen die Hand. So war denn durch beiderseitiges Entgegenkommen in ritterlicher Gesinnung und gesellschaftlichem Takt der Friede zwischen ihnen wieder hergestellt und dem Einen wie dem Anderen ein Stein von der Seele herunter.

      Wer aber keinen Frieden mit dem Grafen Thierstein schließen wollte, obwohl er noch gar keinen Streit mit ihm gehabt hatte, das war Herr Burkhard von Rathsamhausen. Beim Ausgang aus der Kapelle hatte er Schmasman die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: »Das hast Du vorhin gut gemacht, Bruder! Hättest Du nachgegeben und den Thiersteiner vorgelassen, – ich weiß nicht, was ich dann angefangen hätte, ich glaube, ich wäre vorgesprungen und hätte ihn mit Gewalt zurückgetrieben. Mit ihm hätte ich mich dann auf eigene Faust auseinandergesetzt, zwischen Dir und mir aber hätte