ALTE WUNDEN (Black Shuck). Ian Graham. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ian Graham
Издательство: Bookwire
Серия: Black Shuck
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351257
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drängte sich an Castellano vorbei und wollte fortgehen.

      »Hören Sie«, meinte der Agent, während er den Arzt an einer Schulter festhielt und seinen Ausweis abermals zückte. »Ich bin Assistenzsonderbevollmächtigter Seth Castellano von der Antiterror-Abteilung des FBI, und die Sicherheit unseres Landes ist gefährdet.«

      Garvinton schaute ihn kurz über seine Brillengläser hinweg an, bevor er antwortete: »Die Beschreibung, die sie mir gerade gegeben haben, könnte auf einen Mann zutreffen, den wir vor etwa zehn Minuten in Raum 6 gebracht haben. Eine meiner Gehilfinnen ist im Augenblick bei ihm und näht seine Wunden, doch Sie werden sich vergeblich bemühen, ihn zu befragen, weil er immerzu in Ohnmacht fällt. Er hat einen ziemlich heftigen Schlag abbekommen und eine Gehirnerschütterung davongetragen. Ich weiß nicht, wie ernst es um ihn steht, solange kein Röntgenassistent hier antanzt, um ihn zu durchleuchten, darf Ihnen aber versichern, dass er auf jeden Fall bis morgen früh unter Beobachtung steht, abhängig von den Lichtbildern vielleicht auch länger. Heute Abend kann ich nicht mehr für Sie tun, als Ihnen unser Wartezimmer zu zeigen, wo seine Frau sitzt.«

      Mit den Augen folgte Castellano Garvintons Fingerzeig auf eine offene Tür rechts neben dem Eingang zum Schwesternzimmer.

      Der Arzt fuhr fort: »Ich habe eben selbst mit ihr gesprochen. Sie heißt Constance McIver, und ihr Mann ist Declan McIver. Ihre Beschreibung passt zu niemandem sonst, und die wenigen Worte, die er herausbrachte, klangen nicht so, als sei er von hier. Müsste ich raten, würde ich sagen, er ist Ire.«

      »Danke, Doktor.«

      Garvinton nickte und ging schnell davon.

      Castellano holte tief Luft, als ihm bewusst wurde, dass es mehr als einen Zeugen geben konnte. Warum hatten die Ersthelfer vor Ort keine Frau erwähnt? War sie mit ihrem Mann dort gewesen oder auf die Nachricht von seiner Verletzung hin ins Krankenhaus gekommen? Seth trat in den Durchgang und streckte den Kopf ins Wartezimmer. In dem Raum stand eine Bank mit Bezügen aus grünem Vinyl, auf der allein eine schlanke Frau mit goldbraunem Haar und einem Taschentuch in der Hand saß.

      »Mrs. McIver?«, fragte er in einfühlsamem Ton.

      Sie richtete sich auf. »Ja?«, antwortete sie und sah ihn erwartungsvoll an.

      »Ich bin Assistenzsonderbevollmächtigter Seth Castellano vom FBI.«

      Daraufhin betrat er den Raum vollständig und wies sich aus. Sie warf einen kurzen Blick auf die Marke und dann wieder in seine Augen, wobei ihm ihre meergrünen auffielen.

      »Ich leite die Ermittlungen im Mordfall Abidan Kafni …« Er stockte, als er an ihrem Gesichtsausdruck erkannte, dass sie den Israeli nicht für tot gehalten hatte, und lenkte ein: »Tut mir leid. Sie wussten nichts davon?«

      Sie schüttelte den Kopf, während sie ihre Augenränder mit dem Papiertuch betupfte. Er ließ ihr ein wenig Zeit, um sich zu sammeln, und fuhr dann fort: »Soweit man mir gesagt hat, war Ihr Ehemann … Declan lautet sein Name, richtig?«

      Constance nickte.

      »Soweit man mir gesagt hat, war er am Tatort, ist das korrekt.«

      Sie nickte wieder. »Ja.«

      »Und sind Sie bei ihm gewesen?«

      Das verneinte sie wieder kopfschüttelnd. »Wir fuhren nur zusammen bis ans Grundstückstor. Ich verließ die Universität mit ihm, und als wir zur Villa kamen, fanden wir den Wachmann an der Einfahrt tot auf. Declan schickte mich los, um Hilfe zu holen, weil keiner von uns Handyempfang hatte.«

      Castellano nickte. Gemäß ihres Plans war ein Signalunterbrecher zum Einsatz gekommen, um die Mobilfunkdienste rings um das Anwesen über mehrere Hundert Yards hinweg zu stören und so zu verhindern, dass irgendjemand Hilfe anforderte. Dabei hatten sie jedoch nicht berücksichtigt, dass jemand nach Kafni am Ort eintreffen und ihn wieder verlassen könnte, um dies zu tun. »Sie waren also nicht dabei, als er verletzt wurde?«

      Abermals schüttelte sie den Kopf und hielt sich das Tuch an die Augen.

      »Weshalb sind Sie mit ihrem Mann von der Universität aufgebrochen und zur Briton-Adams-Villa gefahren?«

      »Mein Mann war ein Freund von Dr. Kafni. Er arbeitete eine Zeit lang als sein Leibwächter. Declan half dabei, ihn aus dem Gebäude zu bringen, als … als es passierte.«

      Da war sie – die Verbindung, vor der ihm gegraut hatte. Wäre der Verletzte ein Gärtner oder irgendeine andere Haushaltshilfe und nur zufällig auf dem Gelände gewesen, hätte Seth das für weniger schlimm befunden. Vielleicht ein typischer Fall von zur falschen Zeit am falschen Ort, aber ein ausgebildeter Bodyguard? Seiner Auffassung zufolge stand so gut wie sicher fest, dass Declan McIver direkt in den Vorfall auf dem Anwesen verwickelt gewesen war. Sollte dem allerdings tatsächlich so sein, gab es keinen Grund dafür, dass ihn Ruslan Baktayew und seine Männer verschont hatten. Was wusste er? Konnte er Kafnis Mörder identifizieren? Castellano musste wieder tief Luft holen, während ihm diese Fragen und mögliche Antworten durch den Kopf gingen.

      Er hatte befürchtet, dass ihnen ein Fehler genau wie dieser unterlaufen könnte, und hatte versucht, dafür zu sorgen, dass man Kafni schon viel früher ausschalten würde, ohne dass er überhaupt zur Villa gelangt wäre. Während Baktayew vermutlich wütend gewesen wäre, wenn er den Mann nicht wie geplant persönlich hätte umbringen können, wäre für Seth nichts daran auszusetzen gewesen, ihn einer Bombe zum Opfer fallen zu sehen, deren Explosion dem Anschein nach ursprünglich nur das Universitätsgelände hatte evakuieren sollen. Seth sah sich nicht verpflichtet, es Terroristen recht zu machen; sein Anliegen bestand darin, sich selbst und David Kemiss bedingungslos zum Erfolg zu verhelfen. Deshalb hatten sie von Baktayew unbemerkt einen Sprengsatz mit höherer Durchschlagskraft verwendet und darauf spekuliert, Kafni so zu töten. Letztlich aber hatte sich Baktayew seinen Wunsch dank offensichtlicher Intervention durch einen ehemaligen Leibwächter, der ihnen unbekannt gewesen war, erfüllen können, sodass nun alles, wovor sich Kemiss und Castellano geängstigt hatten, als unumkehrbare Wirklichkeit feststand.

      »Sie sagten, er sei Kafnis Leibwächter gewesen, aber das war er zuletzt nicht mehr, oder?«

      »Nein«, bestätigte Constance. »Er stand Ende der 1990er und auch für kurze Zeit nach 9-11 in Kafnis Dienst. Das war, bevor wir uns kennenlernten, also weiß ich nicht viel darüber. Heute Abend begegnete ich dem Doktor zum ersten Mal. Wir wollten uns nach dem Festakt zum Abendessen treffen. Declan und er hatten sich mehrere Jahre nicht gesehen.«

      Seth nickte wieder. »Verstehe.«

      »Agent Castellano, was ist passiert?« Constance geriet sichtlich in Aufruhr.

      »Nun ja«, entgegnete er. »Das weiß ich noch nicht. Ich versuche selbst, mir einen Reim darauf zu machen. Wir stehen mit unseren Ermittlungen noch ganz am Anfang.«

      »Declan sagte, in einem der Fahrzeuge des Sicherheitsdienstes hätte eine Bombe gesteckt«, erzählte sie und schluchzte laut auf.

      »In einem der Fahrzeuge des Sicherheitsdienstes?«, wiederholte Castellano gespielt überrascht.

      »Ja. Er kam darauf, weil er das Auto brennen sah, als wir zu unserem Wagen liefen.«

      Castellano verzog sein Gesicht, denn Constance McIver verbriefte ihm mit jedem ihrer Worte, dass ihr Gatte tatsächlich eine Bedrohung darstellte. Wie aber sollte er damit umgehen? Als er die Arme verschränkte, fühlte er den Griff seiner Dienstwaffe unterm Mantel. Mit so vielen Augenzeugen ringsum kam es allerdings nicht infrage, sie zu erschießen.

      »Mrs. McIver«, rief eine weibliche Stimme von der Tür her.

      Er drehte sich um und sah eine junge Frau in weißem Kittel, die über die Schwelle getreten war.

      »Ja?«, erwiderte Constance und erhob sich von der Sitzbank.

      »Ich heiße Lisa Baker und bin Arzthelferin. Gerade bin ich mit Ihrem Mann fertig geworden, und nun verlegen wir ihn auf ein Beobachtungszimmer hier im Haus. Dann dürfen Sie ihn sehen.«

      »Kann ich mit ihm sprechen?«, fuhr Castellano dazwischen.

      »Nein,