ALTE WUNDEN (Black Shuck). Ian Graham. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ian Graham
Издательство: Bookwire
Серия: Black Shuck
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351257
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      Er stellte das genaue Gegenteil zu Osman dar: Jederzeit gut gekleidet und ohne dass auch nur eine seiner schwarzen Locken nicht richtig gelegen hätte, erweckte er den Anschein, besser vor einer laufenden Kamera als im Wachdienst aufgehoben zu sein. Der einzige Hinweis auf die Strapazen, die er durchgemacht hatte, waren seine dunklen Augenringe, die von Schlafentzug zeugten. Declan wusste, dass Kafni ihn nicht aufgrund seiner außerordentlichen Einsatzbereitschaft angestellt hatte, sondern wegen seiner technischen Intuition und Begabung. Wenn etwas schwamm, flog oder gefahren werden konnte, war Nazari nach ein paar Minuten imstande, es zu bedienen, zu reparieren oder zu zerstören.

      »Ja, bin ich. Der Typ hatte zwar keinen Bart, aber das war er.«

      »Dass Baktayew in die USA eindringen konnte, ohne dass der Mossad Wind davon bekam, ist praktisch unmöglich«, sann Osman. »Die haben zwei Wochen lang alle Personen durchleuchtet, von denen man wusste, dass er Kontakt zu ihnen hatte. Und sie haben nichts entdeckt. Wir dachten wahrhaftig, Russland hätte doch nicht gelogen und er wäre tatsächlich tot. Wir haben sogar an unserem Mann im Gefängnis gezweifelt.«

      »Sie können nicht zur selben Zeit überall sein«, hielt Declan dagegen. »Sollten sowohl CIA als auch NSA Moskaus Behauptungen Glauben geschenkt und ihn darum nicht erwartet haben, hätte er dem Mossad leicht durch die Lappen gehen können.«

      »Er hat recht«, stimmte Nazari zu. »Auch ungeachtet ihres regen Austauschs untereinander hätten die Sicherheitsbüros unserer Länder mit vereinten Kräften vorgehen müssen. Ohne die Hilfe der amerikanischen Informationsdienste wäre der Mossad im US-Luftraum nie auf seine Spur gestoßen.«

      »Abidan meinte, ihm müsse eine ziemliche Kapazität in der Welt des Terrors zur Seite gestanden haben, um aus diesem Gefängnis fliehen zu können«, führte Declan aus. »Falls das stimmt, handelt es sich eventuell um dieselbe Person, die ihn bei der Einreise in die Staaten unterstützt hat – aber weshalb? Sind dem Mossad irgendwelche Verbindungen aufgefallen, die genug Einfluss dazu hätten?«

      Osman zog seine Schultern hoch. »Die einzige Person mit Vermögen, von der wir wussten, war Sa'adi Nouri, doch der ist genauso tot wie seine Organisation. Aber wer weiß? Gut möglich, dass al-Qaida oder sonst jemand die Finger im Spiel hat.«

      Declan schüttelte erneut den Kopf. »Nichts von alledem ergibt nur ansatzweise einen Sinn.«

      »Das ist noch nicht alles«, sprach Osman weiter. »Wir wurden aufgefordert, das Land zu verlassen. Man hat unsere Visa heute Morgen eingezogen. Sobald die Gerichtsmedizin Abidans Leiche freigibt, sollen wir zusehen, dass wir mit dem nächsten Flug nach Tel Aviv verschwinden.«

      »Warum? Wer befiehlt das?«, wollte Declan wissen.

      Osman zuckte wieder mit den Achseln.

      »Also gut, was tun wir jetzt?«, fragte Declan.

      Was Osman nun zu sagen hatte, als er sich nach vorne beugte, passte ihm offensichtlich selbst nicht. »Wir verhalten uns unauffällig. Sie haben alles von uns erfahren, was wir wissen, und sind nun auf sich allein gestellt.«

      »Bleibt uns etwas anderes übrig?«, fügte Nazari hinzu. »In den USA sind wir keine Agenten, nur Sicherheitskräfte. Kafni stellte den Amerikanern vor zwei Wochen alles zur Verfügung, was er über Baktayew gesammelt hatte. Jetzt liegt es an ihnen, zu handeln.«

      Declan verzog das Gesicht. Was sein ehemaliger Kollege sagte, stimmte; es gab nichts, was sie sonst tun konnten.

      »Pass auf«, begann Nazari wieder. »Die Forensik rückt Abidans Leichnam heute Nachmittag heraus. Am Flughafen in Lynchburg wartet eine israelische Maschine darauf, ihn nach Hause zu fliegen, und Mrs. Kafni wird gerade mit den Kindern hergebracht. Wir bringen ihn und Levi zurück nach Jerusalem, um ihn zu beerdigen. Du solltest uns begleiten. Sie erhalten ein standesgemäßes Begräbnis in dem Land, für das sie so erbittert gekämpft und dem sie so große Liebe entgegengebracht haben.«

      Declan stockte, als er sich vor Augen rief, seinen Freund zu begraben. Er musste Kafnis Tod nach wie vor erst verdauen.

      »Nein«, sagte er schließlich. »Ich muss hierbleiben. Ich werde versuchen, die Polizei auf die richtige Fährte zu führen. Was ich gesehen habe, entspricht der Wahrheit, ob Agent Castellano es glauben will oder nicht.«

      »Wir werden sehen, was wir von unserer Seite aus unternehmen können, sobald wir zu Hause sind«, versprach Osman, während er Nazari durch die Tür folgte. »Pass auf dich auf, Declan. Es genügt, zwei gute Freunde unter die Erde bringen zu müssen.«

      Kapitel 14

      14:35 Uhr, Eastern Standard Time – Samstag, Regierungsgebäude Lynchburg, Lynchburg, Virginia

      Senator David Kemiss knöpfte sein Jackett zu, als er hinten aus dem schwarzen Lincoln Town Car stieg. Nachdem er sein dickes Brillengestell auf der Nase zurechtgerückt hatte wie ein in die Jahre gekommener Clark Kent, machte er sich auf einen Ansturm von Medienvertretern gefasst, während er auf den Haupteingang des unauffälligen, vierstöckigen Gebäudes zuging, in dem die meisten Verwaltungsbüros der Stadt untergebracht waren. In den größtenteils leer stehenden Räumlichkeiten an der Kreuzung von 12th und Court Street hatte sich über Nacht rege Betriebsamkeit eingestellt. Bundesbeamte aus dem Gesetzesvollzug jeglicher Institution, die dem Justizministerium unterstand, sowie Heerscharen von Mitarbeitern nationaler Nachrichtenanstalten waren über den stillen Innenstadtblock hergefallen wie eine Horde Ungeziefer.

      Kemiss sog erschrocken Luft ein, als er mehreren Reportern auffiel, die sogleich ihre Kameraleute in seine Richtung führten.

      »Senator Kemiss! Senator Kemiss!«, rief eine dralle Blondine, die in hochhackigen Pumps und roter Leggins zu ihm stakste, wobei sie einen fettleibigen Mann mit seinem Gerät hinter sich herzog.

      »Stacey Courtney von ABC News. Sir, was können Sie mir als hochrangiges Mitglied des Informationsgremiums im Senat über den Anschlag gestern Abend sagen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Bombe und dem Mord an Dr. Kafni?«

      »Er hielt die Festrede anlässlich der großen Gala zur Eröffnung des Gebäudes, das durch die Explosion beschädigt wurde; natürlich gibt es einen Zusammenhang«, antwortete er im Vorbeigehen. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden, ich kann das jetzt nicht diskutieren.«

      »Senator, warum sind Sie hier? Hat das FBI Sie gerufen?«

      Das verneinte er entschieden. »Warum sollte es? Ich bin politischer Entscheidungsträger, kein Ermittler, und aus dem gleichen Grund hier wie jeder andere auch. Seit über 30 Jahren lebe ich in dieser Region und komme als betroffener Bürger her, um mich zu vergewissern, dass der Staat alles in seiner Macht Stehende tut, um diejenigen zu fassen, die für die jüngsten Ereignisse verantwortlich sind. Also bitte …«

      Kemiss drängelte sich an der Traube Berichterstatter vorbei, die sich hinter ihrer Kollegin scharten, und betrat das Gebäude durch eine Glastür, die ihm von zwei Bundesbeamten in schwarzen Anzügen aufgehalten wurde. Die beiden schlossen sie rasch hinter ihm und wimmelten die Medienvertreter ab.

      Der abgeschabte Teppichboden im Zugangsbereich verströmte einen feuchten Geruch und die Tapete auf dem schmalen Flur, der zum Hintereingang in die Büros führte, war nicht mehr die Neuste. Zwischen den Glastüren zu beiden Seiten prangten die Logos mehrere Regierungsbehörden.

      »Wo finde ich das FBI?«, fragte er jemanden in einem weißen Hemd mit Knopfkragen auf dem Weg zum Vordereingang.

      »Die haben das dritte Obergeschoss eingenommen«, antwortete der Mann. »Der Fahrstuhl befindet sich am Ende des Flurs links.«

      Als er in der dritten Etage ankam, klingelte der Aufzug einmal, bevor sich die Kabine geräuschvoll öffnete. Kemiss trat hinaus und sah sich um. Hinter einer Doppeltür aus Glas liefen Männer in Anzügen in einem hastig eingerichteten Bürosaal hin und her. Was am Vortag vermutlich nur eine verschlafene Außenstelle mit einer Handvoll Personal gewesen war, hatte sich binnen 24 Stunden in eine wahrhaftige Einsatzzentrale verwandelt. Der Senator zog einen Türflügel auf und trat ein. Mehrere Agenten schauten