Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Britta Winckler
Издательство: Bookwire
Серия: Die Klinik am See Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740912307
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er viel Verständnis für seine Patienten aufbringt. Außerdem ist er ein Spezialist, ein Facharzt für Frauenleiden. Den kann ich Ihnen nur empfehlen, wenn Sie mal…« Sie unterbrach unvermittelt ab und sah Selma von Angern halb prüfend und halb mißtrauisch an. »Sie sind doch nicht etwa krank, Selma?« forschte sie.

      »Sehe ich so aus?« gab die Sängerin mit einem etwas erzwungen wirkenden Lächeln zurück.

      »Nein, das gerade nicht«, versicherte Anna Schleitz. »Aber darf ich Sie jetzt auch etwas fragen?« wechselte sie das Thema.

      »Bitte…!«

      »Was tun Sie eigentlich da draußen in der weiten Welt? Mein Mann und ich haben uns das schon oft gefragt und sind noch immer nicht dahintergekommen.« Das war nicht gelogen. Die beiden alten Leutchen wußten nur, daß die junge Baronesse viel in der Welt herumreiste, im Inland wie auch im Ausland, aber was sie da tat, entzog sich ihrer Kenntnis. Zugegeben – sie hatten sich dafür auch nicht sonderlich interessiert. Sie lebten ihr ruhiges und finanziell abgesichertes Leben und was außerhalb des Schlosses und außerhalb des Ortes geschah, kümmerte sie herzlich wenig.

      Selma von Angern war für Bruchteile von Sekunden etwas verlegen. Sollte sie nun sagen, daß sie Opern­sängerin geworden war? Bisher hatte sie das vor den Alten geheimgehalten, ohne einen besonderen Grund dafür zu haben. So sollte es auch vorläufig bleiben, entschied sie sich in der nächsten Sekunde. Falls die beiden irgendwann durch einen Zufall davon erfuhren, so war immer noch Zeit, es ihnen zu erklären. »Ich reise eben gern und lerne dabei viel«, beantwortete sie die Frage von Anna Schleitz. »Glücklicherweise bin ich finanziell dazu in der Lage, mir ein solches abwechslungsreiches Leben erlauben zu können.«

      »Ich verstehe«, murmelte die Frau des Kastellans, dabei begriff sie im Grunde genommen überhaupt nichts. Doch sie versagte sich weitere Fragen. »Du lieber Himmel«, stieß sie statt dessen hervor, »da rede und rede ich und Sie brauchen Ruhe.«

      »Schon gut, Anna.« Freundlich nickte Selma von Angern der Kastellansfrau zu und zog sich nun endgültig zurück.

      »Ich sage Bescheid, wenn das Abendessen fertig ist«, rief Anna Schleitz der jungen Frau nach.

      Die hörte es schon nicht mehr. Ihre Gedanken waren bereits auf etwas anderes ausgerichtet. Sie dachte an den nächsten Tag und an das Zusammentreffen mit diesem Frauenarzt Dr. Lindau. Wie würde der reagieren? Würde er bereit sein, ihr zu helfen?

      *

      Dr. Lindaus Sekretärin staunte nicht schlecht, als ihr Chef am nächsten Morgen in Begleitung seiner Tochter in die Praxis hinunterkam. Ihre Verwunderung galt in erster Linie Astrid, oder noch besser gesagt, deren Bekleidung, dem weißen Kittel nämlich.

      »Ich sehe Ihnen an, daß Sie neugierig sind, Frau Stäuber«, sagte Dr. Lindau verschmitzt lächelnd. »Ich will Sie nicht lange auf die Folter spannen«, fuhr er ernst werdend fort. »Meine Tochter Astrid, Sie kennen Sie ja, wird in den kommenden zehn Tagen Frau Sieber vertreten.«

      »Aha, deshalb ist die Sieber noch nicht da«, meinte die Sekretärin. »Ist sie denn krank?«

      »Nein, sie macht zehn Tage Urlaub.«

      »So plötzlich?« Marga Stäuber verzog das Gesicht.

      »Es hat sich erst gestern nach Tisch, als Sie schon weg waren, so ergeben«, erklärte Dr. Lindau.

      »Na ja«, murmelte die Sekretärin und sah Astrid skeptisch an.

      Die merkte diese Blicke, legte sie auch richtig aus, reagierte aber nicht darauf.

      Auch ihrem Vater entging Marga Stäubers Skepsis nicht. »Astrid findet sich schon zurecht«, gab er der Sekretärin zu verstehen. »Außerdem bin ich ja da, und es ist ja nur für zehn Tage.« Er sah auf die Uhr. »Ende der Debatte«, entschied er energisch. »Beginnen wir.« Er nickte seiner Tochter zu und verschwand mit ihr im Sprechzimmer.

      »Also dann«, rief er Astrid zu und bat sie, den ersten Patienten hereinzubitten.

      Bereits nach einer Stunde stellte er fest, daß sich Astrid wirklich sehr anstellig zeigte. Natürlich stellte sie diese und jene Frage – wenn gerade keine Patienten zugegen war – und bat um entsprechende Anweisungen.

      Dr. Lindau freute sich über das Interesse seiner Tochter und beantwortete deren Fragen sehr ausführlich.

      Für Astrid war das alles neu, aber es machte ihr Freude, und es interessierte sie einfach alles. Daß sie die Ohren spitzte, wenn ihr Vater gerade mit einer Patientin beschäftigt war oder diese auch untersuchte, war nur verständlich. Schließlich wollte sie ja auch Ärztin werden, und da konnte sie nicht früh genug damit beginnen, sich Kenntnisse anzueignen. Was sie an diesem Vormittag alles zu sehen und zu hören bekam, betraf zwar in der Hauptsache Frauenleiden, aber Astrid nahm alles soweit wie möglich in sich auf. Auch als Kinderärztin konnte es nicht schaden, ein wenig über Frauenkrankheiten Bescheid zu wissen.

      »Wieviel haben wir noch, Astrid?« fragte Dr. Lindau, als die junge Frau, bei der er eben eine Vorsorgeuntersuchung vorgenommen hatte, gegangen war.

      »Zwei«, antwortete Astrid. »Soll ich die nächste hereinlassen?« fragte sie.

      Dr. Lindau kam nicht zum Antworten, weil in diesem Augenblick das Telefon läutete. Er hob ab und meldete sich.

      »Ein Herr Reutlinger möchte Sie sprechen«, hörte er die Stimme seiner Sekretärin. »Sehr dringend«, sagte er. Soll ich verbinden?«

      Reutlinger? Dieser Name kam Dr. Lindau bekannt vor. Doch er konnte sich in diesen Bruchteilen von Sekunden nicht erinnern, einen Patienten dieses Namens in seiner Praxis gehabt zu haben. »Worum geht es?« fragte er kurz.

      »Um seine Frau, sagte er«, gab Marga Stäuber zurück. »Irgend etwas von Lebensgefahr erwähnte er.«

      Plötzlich erinnerte sich Dr. Lindau. »Lisa Reutlinger, ja, natürlich«, murmelte er. Vor zwei Wochen war sie bei ihm gewesen und hatte ihn um eine Abtreibung gebeten. Doch das hatte er abgelehnt, weil vom medizinischen Standpunkt aus gesehen keine Notwendigkeit vorhanden gewesen war. Eine dunkle Ahnung überfiel ihn. »Verbinden Sie!« sagte er.

      Gleich darauf hörte er die Stimme des Mannes. »Herr Doktor, bitte, kommen Sie sofort. Meine Frau... ich fürchte das schlimmste.«

      »Was ist geschehen?« fragte Dr. Lindau.

      »Meine Frau – sie hat fürchterliche Schmerzen... Blut... ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.« Stockend, aber in höchster Erregung kamen diese Worte durch die Leitung.

      Dr. Lindau glaubte Bescheid zu wissen.

      »Es ist wegen des Schwangerschaftsabbruches, wie?« vergewisserte er sich, obwohl er die Antwort schon ahnte.

      Sie kam auch. »Ja, Herr Doktor, meine Frau wollte das Baby nicht und da... da... hat sie... da war sie…«

      »Es ist gut – ich komme sofort«, unterbrach Dr. Lindau den Anrufer, legte auf und verlangte über das Sprechgerät die Adresse Lisa Reutlingers von seiner Sekretärin. Sekunden darauf hatte er sie. Seine Miene war finster, als er sich an seine Tochter wandte und sie anwies, die noch wartenden Patienten für den kommenden Tag zu bestellen. »Ich muß weg.«

      »Was ist geschehen, Paps?«

      »Ein Notfall«, stieß Dr. Lindau hervor. »Wahrscheinlich versuchte illegale Abtreibung. Verdammt, weshalb tun die Frauen das?«

      Es war nicht festzustellen, ob er damit die Schwangeren meinte oder diejenigen, die gegen menschliche, weltliche und medizinische Gesetze verstießen.

      Auf jeden Fall galt sein Zorn eben diesen letzteren. Schon früher hatte er davon gehört, daß es hier in der nächsten Umgebung eine solche Helferin für Schwangere, die aus irgendwelchen Gründen ihr Baby nicht haben wollten, geben sollte. Bis jetzt jedoch war er noch nicht dahintergekommen, wer diese »Engelmacherin«, wie der Volksmund solche Frauen bezeichnete, war und wo sie wohnte.

      Astrid wollte noch etwas fragen, aber da war ihr Vater schon mit seiner Bereitschaftstasche verschwunden.

      Sie