Seelenrätsel. Wilhelm Walloth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Walloth
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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konnte er eigentlich nur dann ein wärmeres kindliches Gefühl in sich erzwingen, wenn er sich beide, als alte hilfsbedürftige Leute, nicht als seine Erzeuger, vorstellte. Mit Trauer blickte er in die Vergangenheit zurück, da ihm das Wort: »Vater« noch der Inbegriff alles höchsten, heiligen gewesen. Wohin war diese Märchenzeit geschwunden und zu was ist die höhere Bildung, die der Kunstenthusiasmus verleiht, nütze, wenn sie uns solche Jugendgefühle raubt. War er denn eigentlich ein herzloser Mensch, der nicht lieben konnte? Dem widersprach doch zu sehr das Gefühl, das er für den kleinen Ludwig hegte. Wie wohl that ihm der aufmerksame, ehrfürchtige Blick des Knaben, welche Lust bereitete es ihm, den aufgeweckten Burschen heranzubilden und selbst seine oft auf Eigennutz beruhenden Schelmenstreiche, wie gerne verzieh er sie, wie fesselte gerade diese Schalkhaftigkeit ihn an den Jungen. Er wandte sich schmerzlich bewegt vom Fenster weg zur Mutter, die bereits, da sie von der Ankunft ihres Mannes Kunde erhalten, ein frisches Hemd am Ofen ein wenig wärmte.

      »Seine Haare wurden in den letzten Jahren sehr grau,« sagte er leise, wie geistesabwesend, »auch scheint mir, daß ihm sein Asthma mehr zu schaffen macht, ihr müßt ihm das zuviele Arbeiten verbieten!«

      Die Mutter beschäftigte sich gerade mit dem Austeilen der Suppe, die ihr Gesicht in eine Dampfwolke hüllte, die Gelegenheit, dem zurückgekehrten Sohn ihr Herz auszuschütten, konnte sie indeß nicht vorübergehen lassen.

      »Nicht wahr, er arbeitet zu angestrengt?« fiel sie sogleich ein, ohne sich in ihrem Geschäft stören zu lassen, »da läßt er sich nichts dʼreinreden, wenn es sich um seinen Wald handelt.« Nun tadelte sie, die letzten Reste der Suppe in die verschiedenen Teller ausgießend, eifrigst diese übertriebene Liebe des Mannes für die grünen Bäume, die ja, wie sie meinte recht schön, ja sogar, was mehr, nützlich seien, die es jedoch mit einer regelrecht gebauten Straße in der Stadt keineswegs aufnehmen könnten. Ihrem Manne goß sie sodann den Teller bis an den Rand voll, ein kleines, gefülltes Liqueurgläschen in die Nähe schiebend.

      »Denke Dir nur,« fuhr sie fort, während Eduard sinnend zuhörte, »als er im vorigen Jahre einige Wochen hindurch krank lag, mußte ihm der Knecht das ganze Bett mit frischen Buchenzweigen umstecken, damit er stets an seinen Wald erinnert würde, von dem er getrennt war.«

      Auf Eduard machte dieser kindliche Zug im Charakter des Vaters zwar einen tiefen, doch mehr einen ästhetischen Eindruck Die Liebe des Alten zum Wald berührte, wie er sich, mit sich selbst unzufrieden, eingestand, weniger sein Herz, mehr seinen beobachtenden Kunstverstand. Ebenso weckte dieser dampfende Tisch, die geschäftige Mutter, der nach Hause kehrende Förster mehr seine malerische Produktionslust, als daß dieses Bild seinen Familiensinn befriedigte, er fühlte mit Unbehagen, wie er statt mitten in der Situation zu leben, viel mehr über derselben schwebte, ein Gefühl, das ihn öfter überraschte und ihm die rechte, mitempfindende Teilnahme am eignen, wie am Dasein anderer zerstörte.

      Schon hörte man die näherkommenden Schritte des Försters, als die Mutter ihren Mund verstohlen an ihres Sohnes Ohr legte.

      »Lieber Gott!« flüsterte sie, »wenn ihn der Graf nur nicht pensioniert. Es ging schon im vorigen Jahre das Gerücht. Der Gehalt ist alsdann zu gering. Doch das ginge noch. Er würde aber sterben, Eduard, wenn er nicht mehr in seinem Wald arbeiten dürfte. Ich sage Dir, er würde sterben,« setzte sie mit zitternder Stimme hinzu. Eduard zuckte zusammen, es ward wieder auf einige Augenblicke warm in seiner Brust. Die Liebe dieser Frau zu dem unfreundlichen Mann beschämte ihn.

      »Du hast Recht,« hatte er noch Zeit zu flüstern, »wenn seine Kräfte abnehmen, sorgt dafür, daß der Graf davon nichts merkt. Das darf nie geschehen. Das ist sein Tod.«

      »Wer spricht hier vom Tod?« erdröhnte die rauhe Stimme des Försters inʼs Zimmer, »laßt mir doch das garstige Wort.« Verdrießlich lachend warf er seinen Hut auf ein an der Wand befestigtes Hirschgeweih, legte die Pfeife bei Seite und schielte, sich über die triefende Stirne fahrend, nach dem Liqueurgläschen.

      »Es ist heiß, aber heutʼ Abend wirdʼs regnen, der Hund fraß Gras,« meinte er, noch immer lachend, dem Sohn zunickend, während Frau Enger bemüht war, ihm den Rock auszuziehen.

      »Schweigʼ nur still,« rief er dann barsch seiner Frau zu, noch ehe diese ein Wort gesprochen.

      »Wie der Mann geschwitzt ist,« wollte sie dann sagen, erhielt aber kaum nach dem zweiten Wort die Weisung, nur den Mund zu halten, sie verstände nichts. Sie ließ sich dadurch weiter nicht einschüchtern, brachte es jedoch nie zu einem geschlossenen Satz, immer wieder wurde ihr das Wort im Munde mit einem rauhen: Nur still! zerschnitten. Anfangs widersetzte er sich wie gewöhnlich der Operation des Rockausziehens, murmelte verschiedene Redensarten, ließ es dann endlich geschehen und verfügte sich brummend ins Nebengemach, ein trockenes Hemd anzulegen, da ihn Louise an den Rheumatismus erinnerte, der ihm vor drei Wochen gar nicht aus dem Rücken gewollt habe.

      »Muß alles mitgemacht werden,« rief er im Weggehen ärgerlich-lustig, »ist ganz recht so, der Rückenschmerz muß auch mitgemacht werden . .«

      Als nun aus der Thüre des Nebengemachs die Mahnung: Nur still, nur still! ununterbrochen hervortönte, begleitet von den begütigenden, ängstlichen Bitten der Frau, fühlte sich Eduard recht unbehaglich. Die Art, mit der der Vater (der gegen Fremde die Liebenswürdigkeit selbst war) seine Frau als Dienstmagd behandelte, gefiel ihm nicht, obgleich er wußte, daß sich die Mutter nun seit Jahren an dies barsche Benehmen gewöhnt.

      »In welcher Ehe ist es anders,« sagte sie meist entschuldigend, »er ist der Schlimmste noch lange nicht.«

      Ich halte es hier keine drei Wochen aus, dachte der Künstler, ruhig diese väterliche Tyrannei mit ansehen mag ich nicht, dreinreden läßt er sich nicht, er wäre im Stande, mich alsdann aus dem Hause zu jagen. Das ist so die vielgerühmte deutsche Familiengemütlichkeit! Er fühlte mehr denn je den Abstand, der ihn von den Eltern trennte. Noch als er sie vor drei Jahren besucht, hatte er sich besser in ihre Lebensart zu schicken gewußt, diesmal kam er sich wie ein Fremdling in der Heimat vor. Und doch war der Vater ein guter Mensch, der kein Tier leiden sehen konnte, warum er nur seinen Angehörigen gegenüber immer diese Tyrannenlaune hervorkehrte.

      »Guten Tag, Eduard,« rief eine helle Knabenstimme, während aus dem Nebengemach das Gezänke weiter forttönte, und Eduard fühlte sich jetzt heftig von dem hereinstürzenden Ludwig angerannt. Der Knabe warf sich mit ausgebreiteten Armen auf seinen eben noch von so trüben Gedanken heimgesuchten Freund und diesem ging das Herz auf, als er den Krauskopf an sich geschmiegt fühlte.

      »Onkel Heinrich hat mir ein Reh gezeigt,« sagte der Kleine, »wirst Du mir denn auch ein Reh zeigen?« Des Knaben Augen waren so vertrauensvoll bittend zu dem Maler emporgeschlagen, es leuchtete jener eigentümliche Glanz aus ihnen empor, in dem man die Keime der sich entwickelnden Seele belauschen zu können wähnt.

      »Gewiß,« erwiderte Eduard von diesem träumerischen Glanz des Kindesblicks getroffen, »wenn Du artig bist, erhältst Du Alles, was Du willst, mein Liebling.« Der Knabe errötete ein wenig, was seinem reizenden, schwarzumlockten Gesicht sehr gut stand, atmete dann tiefer auf und ließ seine Blicke verlegen im Zimmer umhergleiten.

      »Fehlt Dir etwas?« frug der Maler.

      »Lieber Eduard,« stammelte er lächelnd, »gieb mir – weißt Du —?«

      »Nein, was soll ich Dir geben —?«

      »Du weißt es,« sagte er, schalkhaft mit dem Finger drohend.

      »Ich? ich weiß nicht, was Du meinst?«

      »O doch.«

      »Nun, so sprich deutlicher.«

      »Es sieht braun aus und ist viereckig,« flüsterte Ludwig, seinen Kopf in seines Freundes Rock verbergend. Er hatte nicht Zeit, seine Beschreibung des gewünschten Gegenstandes zu vollenden, der Förster, in einen bequemen Schlafrock gehüllt, trat, sich den starren, weißen Schnurrbart streichend, aus dem Schlafgemach. Rasch benutzte der Kleine die Gelegenheit und flüsterte, als der Förster auf Eduards Staffelei zuschritt, dem Maler zu:

      »Die vornehme Dame gab mir gestern davon.« Eduard erriet, daß er Chokolade meinte und verwies ihm mit ein paar tadelnden Worten diese Naschhaftigkeit, welcher Tadel seine beschämende Wirkung nicht verfehlte.

      »Du