Seelenrätsel. Wilhelm Walloth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Walloth
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
den Sammlungen, den langen, nachhallenden Korridoren waren hundert Jahre wie ein Tag. Wie ihr der kühle Hauch der lang verschlossenen Räume die Stirne streifte, war es Isabella, als empfinge sie den Kuß einer Fee, so plötzlich sah sich ihr Geist in verklungene Zeiten entrückt, mit so seltsam, verblaßten Bildern füllte sich die schwere, modrige Luft um sie her an. Und doch fühlte sie sich nicht glücklich, wenn sie das Vergangene mit der Gegenwart verglich. Etwas, das sie auf der Reise vergessen hatte, Gedanken, Befürchtungen, die sie in der Residenz bereits gequält, traten nun an diesem Orte der Ruhe, der Erholung wieder vor sie hin. Wirklich? Hier sollte es sich friedlich leben lassen? Mit dieser Aussicht in die Zukunft? Sie öffnete rasch den Laden, um das beklemmende Gefühl, das sie beschleichen wollte, durch das noch immer kräftige Licht des scheidenden Tages zu verscheuchen und stand dann sinnend am Fenster, den stillen Spiegel des Sees in seinen waldigen Ufern betrachtend, während vom Hofe herüber die Stimmen der Diener ertönten, die unter Anleitung der Frau von Pork die Koffer behutsam die Treppe hinauftrugen. Die alten Rokokomöbel schienen vergnügt den frischen Windhauch einzuatmen, der jetzt die Tapeten leise streifte, die Vorhänge rauschen ließ. Das lang entbehrte Licht fiel auf die vergoldeten Tapeten, die leise knisternd alte Märchen von Festen oder Jagden zu erzählen schienen. Das sonst so heitre Mädchen lehnte das Haupt an das reichverzierte Fenstersims und zog die Brauen finster zusammen, was ihrem Gesichtchen einen knabenhaft trotzigen Ausdruck verlieh. Manchmal verriet eine zuckende Bewegung ihrer Hand, das verächtliche Kräuseln ihrer Lippen, daß sie unwillig über jene ernste Angelegenheit nachgrübelte, bis sie endlich mit raschem Entschluß das Fenster schloß. Sie wollte sich gewaltsam zerstreuen, dies kündigte ihr unstäter Blick an, der nach einem einer längeren Betrachtung würdigen Gegenstand suchte, das verkündigte die Unsicherheit ihres Schrittes, der den Widerhall der dunklen Corridore wachrief. Endlich nach langem Wandern war sie, ohne es zu wollen, vor der unterirdischen Grabkapelle, die im linken Flügel des Schlosses lag, ihr Licht von einem dicht am Erdboden befindlichen Fenster empfangend, angekommen. Ein Druck öffnete die eisenbeschlagene Thüre: sie war überrascht, sich hier zu sehen. Die Feierlichkeit des Ortes, sein gedämpftes, graues Licht, der altertümliche Altar mit dem bald undeutlichen Ölgemälde darüber, die schweren, goldenen Leuchter, diese ganze abgestorbene Pracht wirkte wohl auf ihr ästhetisches, nicht auf ihr religiöses Gefühl. Links an der Wand stand der verwitterte Steinsarg der deutschen Kaiserin, einem großen Troge ähnlich. Das Mädchen betrachtete ihn mit der Empfindung, als sei dieser Sarg für sie bestimmt. Sie verfiel einen Augenblick hindurch in eine seltsame Geistesabwesenheit. Wie groß mein Sarg ist, dachte sie, bin ich denn von solcher Länge, solcher Breite? Und warum fehlen die Kissen? Sie trat näher heran und befühlte das kalte, ausgezackte Gestein. Wir wollen uns ein feierliches Begräbnis versinnbildlichen, sagte sie zu sich. Dann bedauerte sie, daß sie kein Feuerzeug zur Hand hatte, um die beiden thränenden Wachskerzen auf dem Altare anzuzünden, und fühlte auf einmal den unwiderstehlichen Drang, sich in den Sarg der Kaiserin zu legen. Sie faßte ihr Kleid, stieg über den Rand des Steines, konnte sich aber einer ans Gruseln streifenden Heiterkeit nicht erwehren, als durch die gemalten Fenster ein roter Strahl der untergehenden Sonne über die Goldleuchter des Altars glitt, um den mageren Christus des alten Gemäldes mit Blut zu übergießen. So, halb sitzend, halb liegend, wartete sie fröstelnd, bis der Purpur des Abends die graue Steinwand der Kapelle verlassen; kaum sichtbar mehr wurde das Ölbild; wie zwei unheimliche Augen blinkten die Goldleuchter aus der Nacht herüber. Wie stille es ringsum war! Wollten sie vielleicht die Geister Derjenigen besuchen, die sich über diesem Altare einst die Hand gereicht. Das Mädchen überließ sich mit schaudernder Wonne allerlei Fantasieen und belebte sich auf diese Art die Einsamkeit dieses Raums. »Hier unten müßte an heißen Sommertagen, Lenauʼs Gedichte in der Hand, gut weilen sein,« lachte sie auf, daß es dumpf von der Decke zurückdröhnte, als hätten unsichtbare Geister nur auf dieses Signal gewartet, um ihrem Hohngelächter den Lauf zu lassen. Erschrocken sprang sie empor und eilte, sich ihrer Beklemmung schämend, aus der Kapelle. Kaum hatte sie die Thüre geschlossen, als sie stehen blieb, dann, gleichsam um sich zu strafen, dieselbe Thüre noch einmal öffnete, langsam, den Blick starr auf den abschreckend häßlichen Christus des Gemäldes gerichtet, an den Sarg herantrat, sich einen Augenblick auf dessen Einfassung niederließ und ebenso langsam, wie um ihre Seelenkraft zu prüfen, wieder aus der Kapelle hinausschritt. Warum sich fürchten, dachte sie bei sich, man muß seine Fantasie bändigen und dabei fühlte sie das behagliche Schaudern, das sie schon in frühester Jugend sich gerne zu erwecken suchte. Als Kind besaß sie ein Märchenbuch, vor dessen einer Seite, die eine gemalte Kröte zeigte, sie sich von jeher gefürchtet. Jetzt erinnerte sie sich wieder an jenes Bild und dachte mit Lächeln an die Angst, mit der sie damals die Blätter umwendete, bis das gefürchtete Krötenportrait auftauchte. Alsdann hatte sie das Buch schreiend zu Boden fallen lassen und war schutzsuchend an die Brust Frau von Porkʼs geflüchtet. Dies Spiel hatte sie jeden Tag getrieben, bis man ihr das Buch wegnahm. Und jetzt suchte sie mit ähnlicher kindischer Abenteurerlust das Angsteinflößende auf. So weilte sie bis zum Abend allein in dem einsamsten Teile des weitläufigen Gebäudes, ließ sich dann durch den Diener bei Frau von Pork entschuldigen und eilte auf ihr Zimmer, das die Fürsorge der Gesellschafterin bereits wohnlich hergerichtet hatte. Wie müde sie sich fühlte, wie wohlthuend die Dunkelheit des Gemaches sie umfing. Sie legte sich angekleidet auf das Bett und ließ den Nachtwind, der einen feuchten Waldgeruch in das Zimmer brachte, mit ihren Haaren spielen. Sonderbar, dieser Waldgeruch weckte plötzlich ihre Erinnerung an jenen Maler, den Sohn des Försters Enger. Sie lächelte, ärgerte sich über ein Erröten, das sie wie einen brennenden Hauch über die Stirne ziehen fühlte und fragte sich selbst, ob sie etwa vor den Wänden ihres Zimmers in Verlegenheit zu kommen nötig habe, oder was denn dies Erröten bedeuten solle. Nun! er möge nur zusehen, der stolze Mensch, sie werde ihm die Kränkung zurückgeben, meinte sie, unwillkürlich mit dem Kopfe nickend. Auf welche Art man ihn wohl am besten in Verlegenheit setzen könnte, denn gedemütigt mußte er werden. Freilich war es rachsüchtig, sie fühlte es und schämte sich dieses unweiblichen Zugs. Was hatte sie vor ihm voraus? Daß sein Vater der Untergebene ihres Vaters war, sollte sie das nicht eher zum Mitleid bewegen? Und schien er nicht unglücklich zu sein? Vielleicht waren seine Antworten nur die Ausflüsse einer tief gereizten, unglücklichen Seele. Vielleicht waren diese Leute sehr arm. Arm sein! Isabella hatte nur sehr unvollkommene Vorstellungen von diesem Zustand. Jeden, von dem sie hörte, er sei arm, bemitleidete sie, mehrmals schon hatte ihr der Anblick eines Bettlers für einen ganzen Tag die Lebensfreude geraubt. Nicht nur, daß sie in solchen Fällen gern Alles hingab, sondern sie machte sich dann meist Vorwürfe über ihren Reichtum, verachtete ihr Wohlleben und umgab das Leben des Bedürftigen mit einer Glorie. Als nun die Dienerin Licht in das Zimmer brachte, erhob sich die Gräfin, um sich beim Auskleiden Hülfe leisten zu lassen. Sie sei müde, möge man Frau von Pork sagen, sei deshalb früher zu Bette gegangen. Ob sie nicht den Thee wünsche, frug die Zofe. Nein, sie wünsche nicht zu Abend zu speisen. Als die Zofe den jugendlichen Körper von den engen Kleidungsstücken befreite, fiel der Blick Isabellaʼs auf ihren eignen, einen Moment hindurch entblößten Arm. Wunderlicherweise mußte sie, was ihr noch niemals begegnet war, über diesen Anblick erröten. Ja, es fuhr ihr plötzlich der Einfall durch den Kopf: Du hast doch schöne Arme. Welche Thorheit! Emma, die Zofe, konnte sich anfangs nicht erklären, warum ihre Herrin heute mit so auffallender Hast in das Nachtkleid schlüpfte, sagte jedoch mit jener instinktiven Dienerschlauheit, die jede kleine Schwäche der Herrin zu ihrem Vorteil zu benutzen weiß:

      »Gnädiges Fräulein sehen heute reizend aus in dem Nachtkleid.«

      »Dummes Ding,« erwiderte die Gräfin, »lösche die Lampe und gehe.« Emma hing die Kleider vorsichtig in den Schrank, stieß ein entschuldigendes: »Oh!« heraus und that, wie ihr geheißen wurde. Isabella drückte ihre Wange in die Kissen und sah nach dem Fenster, das sie im Sommer des Nachts nie zu schließen gewohnt war. Wie behaglich sich vom Bette aus der kühl über die Waldung heraufdämmernde Mond beschauen ließ, wie angenehm es war, in weichen Kissen zu versinken, während der frische Nachthauch die Schläfen streifte, als wolle der Geist der Nacht uns seine Traumgestalten senden. Es dauerte nicht allzulang, so schloß Isabella die Augen, um sich dem erfrischenden Lufthauch hinzugeben. Schon fühlte sie den süßen Schauer eines erquickenden Schlummers auf sich niederschweben, als sie noch einmal die Augen öffnete, von dem heftigeren Rauschen des Vorhangs aufgeschreckt. Sie gehörte zu den Menschen, die überhaupt schwerer einschlafen. Als nun ein bleicher, vom Monde ausgehender Lichtschimmer