Seelenrätsel. Wilhelm Walloth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Walloth
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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ja, die Vögel,« rief Isabella heiter, »die vergaß ich ganz. Sehen Sie, Herr Enger,« rief sie dem jetzt wiederkehrenden Maler entgegen, »diese Vögel habe ich einem Bauernjungen abgekauft. Welchʼ dürftiger Käfig – nicht wahr? – komm, gieb ihn her, Konrad. – Aber vorsichtig, Du wirfst ja die armen Tiere an das Gitter.« Der Diener reichte ihr den rohen Holzkäfig und sie öffnete mit neugierigem Behagen die Thüre desselben.

      »Sollen sie wegfliegen?« frug Ludwig.

      »Gewiß, das sollen sie,« rief sie kindlich hellauflachend, »dazu habe ich sie ja gekauft. Die armen Tiere – oh! die armen Tiere. Nun will keines zuerst hinaus!«

      Die beiden Amseln fürchteten sich und flogen scheu hinter dem Gitter umher. Der Diener wollte seiner Herrin den Käfig wieder abnehmen, da die Tiere in ihrer flatternden Angst den schmutzigen Inhalt ihrer Wohnung auf Isabellaʼs Kleidung schleuderten.

      »O nein,« rief sie, »es bereitet mir solche Freude, sie frei zu lassen. Gieb Acht, so wird es gehen, so beruhigen sie sich.«

      Hierauf hielt sie den Käfig mit einer graziösen Armbewegung weit von sich weg. Alle schwiegen erwartungsvoll, bis nach einigem Zögern mit schnurrendem Flügelschlag erst der eine, dann der andere Vogel aus dem Behälter schwirrte. Ludwig klatschte, ein freudiges Geheul anstimmend, in die Hände, Isabella sah nach den beiden Flüchtlingen. Sie saß ganz still, fast mit einem Ausdruck von Schwermut hing ihr weit offenes, weltverlorenes Auge an den beiden immer kleiner werdenden Punkten, bis sie im Blau des Himmels verschwanden. Dann atmete sie tief auf, sah sich erstaunt um, und wie aus einem Traum erwachend, errötete sie ein wenig, als sie des Malers aufmerksames Auge ernst auf sich gerichtet sah. Dieser stand neben ihrem Pferd und hielt das Glas Milch, das er der Magd abgenommen, während des ganzen Vorgangs hoch zu ihr empor. Ihr Anblick war ein künstlerischer Genuß für sein Auge gewesen. Besonders hatte sich ihm jene weichlich anmutige Armbewegung in die Seele geprägt, mit welcher das Mädchen den Käfig von sich gehalten; auch der traumverlorene Blick, den sie den Entfliehenden nachsandte, weckte seine Beobachtungsgabe und Forscherlust. An was mochte sie wohl gedacht haben? Nun kam er wieder zu sich und fühlte neben dem rein ästhetischen Genuß, den ihm diese Scene gewährt, eine Art Beschämung, als jetzt Isabella ihre kleine Hand nach dem Glase ausstreckte.

      »An was, gnädiges Fräulein,« frug er lächelnd, »haben Sie wohl gedacht, als Sie den beiden Tieren nachsahen?«

      »Ich – nachsah —? Davon weiß ich gar nichts —« gab sie zurück, das Glas ergreifend.

      »Ja – ich habe Sie beobachtet —«

      »Ich weiß wahrlich nicht, an was ich dachte,« sagte sie leise. Dann that sie einen Schluck aus dem Glase, blickte ein wenig starr über dessen Rand hinweg und sagte: »Ja, erraten Sie, an was ich dachte —«

      »Wer kann die hohen Gedanken eines hochgeborenen Fräuleins erraten, wenn es hoch zu Roß sitzt?« entgegnete Eduard achselzuckend, wieder in seine sarkastische Laune verfallend. Sie jedoch überhörte diese Bemerkung.

      »Ich besitze sie nicht,« sagte sie ernst, einen bedeutungsvollen Blick auf Eduard werfend, der, von diesen für ihn inhaltslosen Worten seltsam berührt, dastand, nicht wissend, was er von diesem Blick halten sollte. Was besitzt sie nicht? tönte es in ihm wieder. Er senkte den Kopf. Während er nachgrübelte, scharrte der Pferdehuf vor seinen Augen. »Was das Pferd schön gebaut ist,« fuhr es ihm durch den Sinn, dabei wehte das Rauschen von Isabellaʼs Reitkleid leise an sein Ohr und es entstand eine augenblickliche Gedankenleere in seinem Kopf. Sie trank hastig ihr Glas zur Hälfte leer, sogleich ein gezwungen heiteres Wesen annehmend, da Eduard nicht auf ihre Stimmung einging. Mit einem Ernst, der sich vergeblich bemühte als Heiterkeit zu gelten, richtete sie mehrere gleichgültige Fragen an die sich verbeugende Frau Enger, deren Antwort gar nicht abwartend, oder vielmehr dieselbe mit ihren Fragen beständig durchschneidend, was, da Frau Enger sehr redselig wurde, dem Gespräch der Beiden einen gar eigenen Charakter gab.

      »So, so,« plauderte sie in die lebhaften Ausrufe der Frau hinein, »also Ihr Mann – brummig? – zuweilen – wie? – so meinen Sie? – ja – gewiß – schöner Wald – ganz wohl, gute Milch – köstlich – danke – danke – mein Durst ist gestillt – grüßen Sie mir den Förster – nein! bitte, bitte, lassen Sie ihn schlafen – um Gotteswillen den Schlaf des alten Mannes nicht stören – werde nächstens wiederkommen – gewiß – der Herr Förster soll mir einen hübschen Hund ziehen – sagen Sie ihm dies —«

      »Gewiß, gewiß, gnädige Gräfin,« rief Frau Enger mit devoter Miene, »das werde ich ihm ausrichten – bleibe vom Pferd, Ludwig, Ungezogener – Du siehst, es spitzt die Ohren – es wird unruhig —«

      Eduard stand noch immer sinnend, bis die Gräfin ihrem Pferde ein: »Vorwärts, Hector!« zurief, was die Mutter veranlaßte, den kleinen Ludwig am Kragen festzuhalten, bis das Thier sich in Bewegung gesetzt. Eduard ging, ohne zu wissen, was er thun solle, der Reiterin nach. Als diese an dem Hofthore angekommen war, ließ sie den Diener Konrad vorreiten. Plötzlich wandte sie dem Maler ihr Gesicht zu, das einen gleichgültigen, nichtssagenden Ausdruck angenommen.

      »Sehen Sie noch einen der Vögel, Herr Enger?« frug sie nachlässig, ohne Betonung.

      »Jetzt noch? Nein!« entgegnete Eduard erstaunt.

      »Ich auch nicht,« sagte sie ruhig, »sie besitzen die Freiheit.« Damit sprengte sie von dannen. Eduard schlenderte nach dem Hause zurück. Er mußte über die Koketterie oder vielmehr über die kokette Natürlichkeit des Mädchens lächeln, doch schien ihm dies ihr Gebahren eigentlich zu ernst, um darüber zu lächeln. Dadurch kam er in eine Stimmung, in der er selbst nicht wußte, was er wollte, eine Stimmung, die ihn weich und zugleich verdrießlich machte.

      »Merkwürdiges Frauenzimmer,« sagte er leichtfertig vor sich hin, ging pfeifend, die Hände in den Taschen auf sein Zimmerchen, das im oberen Stock des Hauses lag und lehnte sich gelangweilt in die Fensterbrüstung, die Landschaft betrachtend, über die sich allmählig Wolken zogen. Fühlte er sich wirklich gelangweilt, oder redete er sich nur ein, sich gelangweilt zu fühlen? Vielleicht hielt er die Spannung seines Geistes, die jede Erfassung eines bestimmten Gedankens unmöglich machte, für Langeweile. Als er sich so laut pfeifen hörte, schämte er sich über sich selbst, hielt inne, konnte aber dem Drang nicht widerstehen, von neuem die Lippen zum Pfeifen zu spitzen. Was ist das nur! Habe ich nichts Gescheidteres zu thun, als zum Fenster hinauszublicken, dachte er. Als er nun das Fenster schloß, bemerkte er Ludwig im Zimmer, der ihm gefolgt war.

      »Nun, mein Kind, gefällt es Dir hier?« frug er so heiter als möglich.

      »Sehr, sehr,« entgegnete der Knabe, »es ist hier viel schöner als in München.«

      »Wir müssen aber dennoch wieder nach München zurück —«

      »Wann denn?«

      »Sehr bald, sehr bald, mein Kind,« sagte er, setzte sich auf sein Bett und schloß bald darauf die Augen.

      »Pfui, Du willst schlafen; nein, es ist zu dumm von Dir, ich willʼs nicht,« rief Ludwig, eilte zu dem Maler heran und drückte ihm mit den kleinen Fingern die geschlossenen Augenlider auseinander.

      »Du sollst nicht schlafen,« lachte er, indeß Eduard, vor sich hinbrummend, die Augenlider immer wieder zupreßte, sobald sie ihm der Knabe gewaltsam geöffnet. Nachdem dies Spiel einige Zeit gedauert, raffte sich Eduard empor.

      »Laß uns in den Wald gehen, mein Lieber,« sagte er. Ludwig war gern bereit hierzu, besonders da ihm sein Freund die Aussicht eröffnete, sie würden draußen Rehe sehen. Vater Enger hatte ausgeschlafen und war schon vor einer Viertelstunde an die Arbeit gegangen. Eduard hing ein Gewehr, das er aus seines Vaters Schrank genommen, über die Schulter, nahm den Kleinen bei der Hand und eilte raschen Schrittes dem Waldeingang entgegen, dessen geheimnisvolles Dunkel er aufatmenden Herzens begrüßte.

      »Willst Du ein Reh schießen?« frug Ludwig. Doch der Künstler, schweigend weiterwandelnd, überhörte, in allerlei Reflexionen vertieft, gänzlich diese Frage. Zuerst fesselte ihn wie immer, wenn er im Wald wandelte, das gedämpfte Licht, das in der Ferne durch die stolz aufragenden Stämme grünlich spielte und das ihn an das zauberhafte Wirken eines märchenhaften