Seelenrätsel. Wilhelm Walloth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Walloth
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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älter erscheinen zu lassen. Ob dieses Augenleiden in Verbindung mit den Lebenserfahrungen stand, würde schwerlich zu entscheiden gewesen sein. Wie vorsichtig prüfend sie die Teller stellte, wie unsicher sie nach dem Messer tastete. Der Sohn warf zuweilen durch die geöffnete Thüre einen besorgten Blick auf die Beschäftigte, die mit ihren mageren Armen über den Tisch fuhr. Die Bäume, die das Haus auf jener Seite dicht umgaben, warfen über das weiße Tischtuch, über das Geschirr und über das bleiche Gesicht der Frau einen grünen Schleier, der zuweilen zitternd seine runden Lichtflecken bewegte. Auf dem Schrank standen mehrere Bücher, die deutschen Klassiker, sogar griechische Schriftsteller in Uebersetzungen, welche der Förster billig erstanden und die er sich abendlich von seiner Frau hatte vorlesen lassen, solange deren Augen es erlaubten. Verstand er auch nicht alles, so gefielen ihm die Bücher doch, ja es war ihm, dem Ungelehrten, vielleicht mehr zum Bedürfnis geworden, zu lesen, als vielen der sogenannten Gebildeten. Auch schien die Familie bessere Tage gesehen zu haben, die Bruchstücke einer glänzenderen Haushaltung, z.B. ein Spiegel mit vergoldetem Rahmen, bewiesen das; Eduard hatte manchmal über frühere Verhältnisse nachgefragt, erinnerte sich auch eines größeren Hauses und einer Mühle. Der junge Maler war nicht mit sich zufrieden, seine Arbeit mißfiel ihm gründlich und manchmal zuckte es ihm in der Hand, das ganze Gemälde mit einem energischen Pinselstrich zu verunstalten. Es ging ihm gewöhnlich so. Er begann eine Arbeit mit außerordentlichem Enthusiasmus, bis er nach einigen Tagen die Lust daran verlor. Zwar waren ihm mehrere Bilder gelungen, aber es hatte dabei die beständige Ermutigung seiner Freunde bedurft, um ihn an diesen Arbeiten festzuhalten; hier fehlten ihm jene Ermutigungen, er fühlte sich nicht genug gesteigert und setzte sein Talent in seinen eignen Augen herab.

      »Ich sehe Dir bereits eine Stunde lang zu,« sagte die Mutter, einen Teller in der Hand, nähertretend, »Du hast in dieser Stunde wenig gearbeitet. Auch bist Du so nachdenkend, was fehlt Dir denn, liebes Kind?« Sie legte ihre Hand auf seine Schulter, vergebens auf eine Antwort harrend. Nachdem er so einige Zeit hastig weiter gemalt, lachte er verdrießlich vor sich hin. »Es ist eine Thorheit, liebe Mutter.«

      »Was ist Thorheit?« frug sie verwundert.

      »Ei nun! Das Menschenleben überhaupt,« sagte er.

      Frau Enger war andrer Meinung. Sie gab ihrem Sohne zu verstehen, das seien wunderliche Redensarten, an die er selbst nicht glaube, er möge nur den Geruch des Rehbratens einziehen, der aus der Küche herüberdränge, der werde ihn eines Besseren belehren. Eduard erklärte sich für überwunden, für völlig geschlagen, an den Rehbraten habe er freilich garnicht gedacht, als er sein großes Wort ausgesprochen, fügte jedoch, als sich die Mutter bereits zufrieden erklärte, mit seinen umgewandelten Ansichten hinzu: Wenn ihn seine Kunst nicht hielte, liebe Mutter, glaube mir, Dein Sohn wäre längst dem Leben davongelaufen. Frau Enger strich ihm über das krause Haar und betrachtete den Sohn kopfschüttelnd mit bekümmerten Blicken. Er muß krank sein, dachte sie, dies München hat seine Gesundheit angegriffen.

      »Nicht wahr,« frug sie, »Du hast recht schlecht gegessen in München?«

      Der Künstler lachte und meinte, sein Magen habe allerdings zuweilen Gelegenheit gehabt, das Verdauen zu verlernen.

      »Nun, von was hast Du denn gelebt?« frug Frau Louise ängstlich. Eduard erzählte, daß das Stipendium von 600 Mark, das ihm der Graf Ibstein verschafft, nicht ausgereicht habe, die Modelle zu bezahlen und dabei auch auf die Gesetze der Ernährung Rücksicht zu nehmen. Er habe zum ersten Male die Segnungen des Kaffees empfunden. Da die Mutter eine nähere Erklärung des Wortes »Model!« wünschte, ließ sich der junge Mann hierauf nicht näher ein, sondern setzte ihr seine Absicht auseinander, sich hier in Ibstein für die Entbehrungen Münchens zu entschädigen.

      »Hättest Du dem Vater gefolgt,« murmelte Louise, »er wollte einen Gärtner aus Dir machen; das Malen ist Dein Unglück, Du hättest jetzt Dein Brot.«

      »Freilich, freilich,« bestätigte der Sohn, die Stirn runzelnd, »es ist mein Unglück, Gärtner hätte ich werden sollen. Du hast vollkommen recht.« Und er schleuderte nervös gereizt den Pinsel von sich. Die Mutter, erschrocken über ihr vorschnelles Wort, das ihr Kind so tief berührt, stammelte:

      »Nein, nein, so meinʼ ichʼs nicht – male nur weiter, der Graf sagte doch, Du habest viel Talent – gewiß, dies schrieb mir auch Dein Freund Alfred.«

      »Alfred hat Dir geschrieben?«

      »Ja gewiß, ich will Dir den Brief zeigen.« Sie eilte an die Kommode und legte ihm den Brief des Freundes vor. Eduardʼs Züge nahmen, als er die belobende Stelle gefunden, sogleich einen mutigeren Ausdruck an.

      »Er verstehtʼs,« sagte er, »nun, es mag sein. Alfred ist ein guter Junge, ich stehe nicht einmal sehr gut mit ihm, desto mehr freut mich sein Urteil.« Frau Louise sah immer noch traurig auf ihren Sohn herab. Als nun aber dieser, sich umwendend, zu ihr empor sah, gab sie ihrer Miene sogleich einen heiteren Ausdruck, durch welchen er jedoch den bekämpften Schmerzenszug noch durchleuchten sah.

      »Gewiß, Du wirst Dir Dein Brod schon verdienen,« sagte sie, »später oder früher, es hat keine Eile, so lange wir noch leben. Deine Bilder sind ja gewiß schön, ich verstehʼs nicht, aber Alfred sagtʼs.«

      Er faßte die Hand der alten Frau und versuchte die Heiterkeit, die sich seines Gemüts bemächtigt, auch der Mutter mitzuteilen.

      »Alfred verstehtʼs,« sagte er, »der ist ein scharfer Kritiker und ein eminenter Maler. Weiß Gott, nun habʼ ich wieder Lust zur Arbeit.«

      Nochmals griff er zu jenem Brief und las jene Zeilen mit freudiger Stimme sich selbst laut vor. »Ist bald Essenszeit?« frug er darauf, »wo bleibt Ludwig? Ich habe den Jungen heute noch nicht zu Gesicht bekommen.«

      »Er ist in den Wald, den Vater zu Tisch zu bitten,« entgegnete die Mutter, die sich nun ausführlich über die verschiedenen Gewohnheiten des Försters, besonders über seine immer zunehmende schlechte Laune, zu verbreiten begann. »Es ist zuweilen schwierig mit ihm auszukommen,« seufzte sie, »er war immer barsch, je älter er wird, desto schlimmer wird es. Ich darf kaum drei Worte aussprechen, so werde ich zur Ruhe verwiesen, eine eigene Meinung darf ich natürlich nicht haben, überhaupt verstehe ich gar nichts, er allein ist allwissend und allmächtig.« Sie trocknete sich rasch die Augen mit der Schürze und gab ihrem Sohn mit einem gutmütigen, durch Thränen schimmernden Lächeln zu verstehen, er solle nicht weiter fragen, da sei nichts zu ändern und im Übrigen sei der Vater der beste Mann von der Welt. Ohne rechten logischen Zusammenhang berichtete sie sodann, daß der Vater heute Bäume fällen ließe, daß er nach solcher Arbeit müde nach Hause käme, es liebe die Suppe dampfend auf dem Tisch zu finden und daß man ihm alsdann auch ein Gläschen Rum nicht mißgönnen dürfe. Diese Bemerkung mit entschuldigendem Hüsteln begleitend, eilte sie an den Tisch zurück, ihr Werk zu beenden. Als man nun von weitem die fröhliche Stimme Ludwigs, vermischt mit Hundegebell, erschallen hörte, trat Eduard, sein Malzeug bei Seite legend, an das Fenster. Durch das Hofthor schritt, Ludwig an der Hand, von seinen Hunden umwedelt, der alte, weißbärtige Förster. »Hans, Hans!« erscholl seine Stimme über den Hof. Der Knecht, dem er gerufen, kam ihm aus einer Stallung entgegen; beide blieben im Hofe stehen, wie es schien, in ein Gespräch über Hundedressur vertieft.

      »Hans,« rief der Förster darauf, »gib den Hunden zu fressen, dem Kato eine besonders reichliche Mahlzeit, er hatte sehr unter der Hitze zu leiden, das arme Tier. Nicht wahr, Alter?« Hiermit beugte er sich zu dem Hund hernieder, der keuchend die rothe Zunge aus dem Rachen hängen ließ und klopfte ihm auf den schweißbedeckten Rücken. »Darfst nicht so springen in der Hitze,« fuhr der Förster fort, freundlich den Hund anzureden, »aber das wird schmecken, das Fressen heutʼ, wie? Hans, daß Du dem kalten Wasser umʼs Himmels Willen warmes beimischst, ehe es die Tiere trinken.«

      Eduard ergriff die Zärtlichkeit, mit welcher der Vater für seine Tiere sorgte, und doch ward ihm seltsam weh umʼs Herz, als er den alten Mann darauf mit solchem Ernst, solcher Wichtigkeit von Dingen sprechen hörte, die ihm so trivial, so gleichgültig vorkamen. Gewiß, er liebte seine Eltern und doch schob die Bildung, die er sich allmälig in der Fremde errungen, zwischen ihn und die Eltern eine dunkle, unübersteigliche Wand, seiner Liebe mischte sich eine Kälte der Gefühle bei, über die er selbst zuweilen schauderte. Die Kunst erzieht den, der sich ihr ergeben, zum Egoisten. Schon als er zum ersten