Seelenrätsel. Wilhelm Walloth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Walloth
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
der Sonnenschirm, welchen zu suchen der Lakai sogleich ausgesandt ward. Dann machte sich das Herz der Dame in verschiedenen Anklagen Luft. Warum man sie denn habe einschlafen lassen, sobald sie ein Auge zuthue, passiere ein Unglück, man solle doch nie mehr (wie sie es heute gethan) sein Geschick preisen, ohne das Wort: »unberufen« dazuzufügen. Und warum habe Isabella, da sie ausgestiegen, nicht ihren Mantel angezogen, die Luft fange an kühl zu werden und wie sie etwa ein Fieber ihrer Schutzbefohlenen vor Gott und dem Grafen verantworten solle. Isabella behandelte Frau von Porks Sonderbarkeiten mit der größten Geduld und hatte nur ein nachsichtiges Lächeln für dieselben. Was diese Frau für das früh verwaiste Kind gethan hatte, würde die Weltgeschichte längst aufgezeichnet haben, wenn diese hohe Schriftstellerin es nicht vorzöge, die Grausamkeiten eines Tiberius lieber als die Fürsorglichkeit einer armen Erzieherin zu schildern. Rasch entschloß sich Frau von Pork trotz dem ihr unbegreiflichen Widerstreben Isabellaʼs den Wagen, so lange nach dem Schirme gesucht wurde, zu verlassen. Nun verband diese starkknochige Frau mit der Trockenheit und Nüchternheit ihrer Lebensanschauung ein ganz klein wenig Schwärmerei und als sie am Arm ihres Kindes unter den Ästen breitstämmiger Eichen dahinwandelte, konnte sie nicht umhin, einige französische Verse zu recitiren, unterbrach jedoch z. B. Kloppstocks Ode: »Schön ist Mutter Natur Deiner Erfindung Pracht,« mit der trockenen Frage, wie sich das Milchgeschäft der gräflichen Meierei wohl in diesem Jahr rentieren würde. Sodann freute sie sich über ihre Zimmerblumen, die in diesem Jahre herrlich zu gedeihen versprachen und mit welchen sie sich von jeher die liebevollste Mühe gegeben. Sie warf hierauf, wie sie es schon oft gethan, Isabella ihre Gleichgültigkeit diesen schönen Pflanzen gegenüber vor, es sei doch so befriedigend, dieselben wachsen zu sehen, sie zu waschen, zu pflegen. Isabella erwiderte nichts, doch als man sich dem Standorte des Malers näherte, ward sie sichtlich unruhig und ersuchte ihre Begleiterin, die lebhaftes Interesse an dem Kunstwerk zu nehmen schien, dasselbe lieber ungesehen zu lassen, hier führe ja ein schöner Weg abseits an dem Maler vorüber. Frau von Pork sah gar nicht ein, warum sie an dem Maler vorübergehen sollte; sie drückte ihr Erstaunen über die Teilnahmlosigkeit ihrer Pflegetochter aus, die doch selbst zuweilen den Pinsel führe, und schritt mit gutmüthigem Lächeln auf dem ehrwürdigen Gesicht dem Maler entgegen. Es lag ein Trieb in dieser Frau, jedem Menschen etwas Angenehmes zu sagen, sich stets ein Ideal von allen noch unbekannten Menschen zu bilden, und wenn sie dadurch zuweilen auch zudringlich erschien, oder diese Sucht das Leben zu idealisieren einen Hauch von Affektation erhielt, so verzieh man ihr das gern, denn sie verband mit allen ihren Handlungen eine Naivität, von der man hätte sagen können, sie wandle diese sechzigjährige Matrone in ein achtzehnjähriges Mädchen um. So sprach sie denn auch sofort den Maler mit einer Freundlichkeit an, die denselben nötigte, mit derselben Freundlichkeit zu antworten. Isabella aber hielt sich im Hintergrunde auf, wagte sich nicht herbei, hörte jedoch, indem sie that, als pflücke sie Blumen, den größten Theil der Unterhaltung mit an. Der alten Frau gegenüber benahm sich der Künstler auffallend ernst, sein Lächeln glich eher einer andern Art von Schmerzausbruch und Isabella hörte mit Erstaunen, daß er, als die gutmütige Frau sein Bild loben wollte, sich mit sehr entschiedener Betonung einen Stümper nannte. Frau von Porks Augen leuchteten, sie sah sogleich ein Ideal von Bescheidenheit in dem jungen Manne und ihr menschenfreundliches Herz legte ihr die schönsten Worte des Trostes auf die Zunge, die indeß der Maler mit Kopfschütteln begleitete.

      »Ich spreche mich Ihnen gegenüber offener aus,« sagte er, »weil Sie eine ältere Frau sind, weil ich sehe, daß Sie mir mit nicht gewöhnlicher Herzlichkeit entgegengekommen. Ich wollte, ich könnte die ganze Malerei an den Nagel hängen, so sehr ich sie liebe. Was ich kann, können Hunderte auch. Architekt hätte ich werden sollen, doch dazu istʼs nun zu spät. Wir müssen weiter pinseln.«

      Frau von Pork erfuhr nun, daß sie den Sohn des gräflichen Försters Enger vor sich habe, was sie sehr erfreute.

      »Wie?« sagte sie, »so sind Sie mir ja gar nicht fremd? Habe ich doch, als Sie ein kleiner Knabe waren, das Vergnügen gehabt, Sie, der Sie in den Mühlbach gefallen, mit einem neuen Kleide zu versehen. O, welchʼ ergötzliche Scene das war, und welchen Schrecken die Gräfin damals hatte.«

      Auch Eduard erinnerte sich jener Scene.

      »Ja,« sagte er lachend, »mir blieben von diesem Vorfall einige dunkle Spuren im Gedächtnis, vornehmlich die Schläge, die mir mein Vater dabei applicirte vermochte kein Lethe vergessen zu machen.«

      »Wie groß und stattlich Sie geworden sind,« fuhr die Dame fort, »d. h. eigentlich mehr schlank, denn den zarten Knaben von damals erkennt man noch in Ihnen wieder. Sehen Sie dort? Das ist Isabella, die Tochter des Grafen. Sie haben der Familie manches zu verdanken, ich hoffe, Sie zeigen sich dadurch erkenntlich, daß Sie uns bisweilen durch Ihren Besuch, Ihre Unterhaltung in dieser Einsamkeit von Ibstein eine vergnügte Stunde bereiten. Besuchen Sie uns zuweilen,« setzte sie hinzu, »die Sammlungen des Schlosses stehen Ihnen zu Diensten, sie enthalten manches, was Sie vielleicht bei Ihrer Arbeit benutzen können.«

      Den Maler interessirte hauptsächlich ein altes Ölgemälde, das die Grabkapelle des Schlosses barg, das Werk eines altdeutschen Meisters; er bat um die Erlaubnis, es sich nochmals ansehen zu dürfen. Gern ward ihm diese Erlaubnis zu teil, und da Frau von Pork den Knaben gewahrte, rief sie ihn herbei und schenkte dem verlegen Dreinschauenden eine Tafel Chokolade, die sie für unvorhergesehene Fälle auf die Reise mitgenommen. Erst auf die Aufforderung des Malers hin dankte der Knabe unbehülflich genug.

      »Ist dies Ihr Bruder?« frug die Gesellschafterin.

      »Nein,« entgegnete der Künstler, »er ist der Sohn eines mir befreundet gewesenen Malers. Sein Vater starb, ich nahm das Kind zu mir.«

      Eduard Enger hatte mit so einfacher Betonung gesprochen, daß Frau von Pork, dieser That des Edelmuts nicht einmal mit Worten Beifall zu zollen wagte. Sie schwieg gerührt und betrachtete mit Teilnahme den jungen Menschen, der, nachdem er dem Knaben einen Augenblick die Hand auf das Haupt gelegt, ruhig weiter malte.

      Als Frau von Pork wieder mit der schweigsamen Isabella zusammentraf, wußte sie viel von der breiten Stirn, dem offenen Blick, dem bescheidenen Benehmen des jungen Mannes zu berichten und als sie bereits auf ganz andere Gesprächsgegenstände gekommen war, unterbrach sie sich manchmal mit den Worten, der junge Mann thäte ihr leid, ob sich sein Los nicht vielleicht verbessern ließe.

      »Kennst Du ihn denn nicht mehr,« frug sie dann das Mädchen, »er ist ja der Sohn des Försters, der kleine Junge, der Dich, als Du, 7 Jahre alt, Schloß Ibstein besuchtest, über den Mühlbach tragen wollte?«

      Die Gräfin schüttelte den Kopf, obgleich sie sich jener Scene wieder dunkel zu erinnern begann. »Du mußt es doch noch wissen,« fuhr die alte Dame fast ärgerlich fort, »erinnere Dich doch! Mama stand in der Nähe der Mühle; Du wolltest ihr in die Arme eilen, doch der reißende Bach trennte euch. Als dies der kleine Eduard gewahrte, lief er herzu, Dir die Hand zu bieten. Erinnerst Du Dich jetzt? Der Kleine stand auf einem Stein mitten im Wasser, als er Dich fassen wollte, schlug der Stein um, Du und er, ihr lagt beide im Bache, ehe man zu Hilfe eilen konnte.«

      »Mag sein,« entgegnete Isabella trocken.

      »Schade, daß er ein Jude ist,« meinte sie dann. Erst bei dieser Bemerkung erwachte Isabella aus ihrem Hinbrüten und sagte, unwillig lachend: »Zerstöre mir doch meine Illusionen nicht. Ein Jude, das wäre ja abscheulich.«

      »Soviel ich mich erinnere, stammt er mütterlicherseits aus jüdischer Familie,« entgegnete Frau von Pork.

      »Das werde ich nie glauben,« sagte Isabella fast heftig. Man hatte den Wagen erreicht und während man nun dem Schlosse entgegenfuhr, setzte Frau von Pork dem ungläubigen, aber dennoch neugierigfragenden Mädchen die Familienverhältnisse des Förstersohns auseinander, die sie ziemlich genau kannte, da der alte Förster ungefähr um dieselbe Zeit in den Dienst des Grafen eingetreten war, wie sie selbst. »Eigentlich solle man solche Geschichten nicht erzählen,« meinte Frau von Pork, doch konnte sie ihrem Mitteilungsdrange nicht länger widerstehen und so berichtete sie denn, was ihr der Förster selbst einst ausführlich erzählt hatte, nachdem sie dem sonst schweigsamen Mann durch ihren menschenfreundlichen Zuspruch das Herz weichgemacht. Förster Enger hatte einen verkommenen Juden, den er mehrmals bei Wilddiebereien ertappt, ernstlich gewarnt. Da dies nichts fruchtete, der verwegene Mensch nur immer verwegener wurde, betrat der